| # taz.de -- Roller Derby in Hamburg: Vollkontakt im Schutzraum | |
| > Drücken, schieben, durchkommen: Roller Derby üben ganz überwiegend | |
| > FLINTA*-Sportler*innen aus. Jetzt traf der FC St. Pauli auf Stuttgart und | |
| > München. | |
| Bild: Ihre Derby-Spitznamen hinten auf den Trikots haben sich die Spieler*innen… | |
| Hamburg taz | Pfeile aus kariertem Band zeigen auf dem Fußweg bei der | |
| S-Bahn-Station in Hamburg-Othmarschen, wo es langgeht. Sie führen vorbei an | |
| Villen und einem Tennisplatz. In der Sporthalle des Gymnasiums Christianeum | |
| nebenan läuft Punkmusik, es quietscht und knallt auf dem Hallenboden, | |
| Klettverschlüsse ratschen. Es gibt Limo, Bier und selbstgemachte Kuchen. Um | |
| 13 Uhr beginnt das erste von drei Roller-Derby-Spielen. Gastgeber ist am | |
| Samstag [1][St. Pauli Roller Derby], die Roller-Derby-Abteilung des FC St. | |
| Pauli. Wer dem Weg bis hierher gefolgt ist, den erwartet, kurz gesagt, ein | |
| Vollkontaktsport auf Rollschuhen. | |
| Zoë ist bereit: Die Rollschuhe sind geschnürt, Mundschutz und Helm sind | |
| angelegt – die Schoner werden mit Tape noch mal festgemacht, damit sie auf | |
| dem „Track“, dem ovalen Spielfeld, im Gerangel nicht verloren gehen. Ein C | |
| für „Captain“ prangt auf ihren Oberarmen, mit einem Stift auf die Haut | |
| geschrieben. Immer mehr Zuschauer*innen füllen die Tribünen auf beiden | |
| Seiten der Halle. Heute wurden 156 Karten verkauft. „Ich bin super | |
| aufgeregt“, gesteht Zoë. Trotzdem setzt die 18-Jährige leichtfüßig einen | |
| Schuh vor den anderen und rollt über den ovalen Track, als ihr | |
| Roller-Derby-Name aufgerufen wird: „Krawallschachtel“. | |
| Sie steht auf Rollen, seitdem sie denken kann. Ihre Mutter gründete den | |
| Verein vor 15 Jahren mit, da war Zoë zweieinhalb. Bei Trainings sah sie zu, | |
| begann selbst zu spielen und kam 2017 in das damals neu gegründete | |
| Juniorteam des FC St. Pauli. Mittlerweile trainiert sie die Kinder. „Mit | |
| mir sind wir drei Personen, die aus dem Juniorteam bei den Erwachsenen | |
| mitspielen oder dorthin gewechselt sind“, sagt sie. Sie liebe das Training | |
| und die Spiele mit den Älteren und doch sei es manchmal noch etwas seltsam: | |
| „Einige kennen mich ja schon, seit ich ein Kleinkind bin, und nun gehen wir | |
| nach Spielen zusammen feiern, das ist schon lustig.“ | |
| Seit 2013 gibt es zwei feste Teams, A und B. Das A-Team spielt an diesem | |
| Tag ein Bundesliga-Spiel gegen Stuttgart Valley Roller Derby und im | |
| Anschluss ein Freundschaftsspiel gegen Munich Rolling Rebels und Friends. | |
| Das B-Team, zu dem auch Zoë gehört, spielt gegen ein „Mixed Team“: „Es … | |
| zuvor eine offene Ausschreibung und jede*r auf dem Level konnte sich dafür | |
| anmelden“, erklärt Zoë. | |
| Ein Spiel besteht aus zwei 30-minütigen Halbzeiten. Zwei Teams aus je bis | |
| zu 15 Spieler*innen treten gegeneinander an. Innerhalb der Spielzeit | |
| gibt es mehrere „Jams“, in denen pro Team fünf Personen im Einsatz sind und | |
| Punkte machen können. Nach zwei Minuten ist ein Jam vorbei. Bis dahin | |
| versucht die sogenannte „Jammer*in“ des Teams, an den gegnerischen | |
| „Blocker*innen“ vorbeizukommen und sie zu überrunden. Dafür gibt es Punkt… | |
| Die vier Blocker*innen versuchen mit viel Körpereinsatz ihrer eigenen | |
| Jammer*in beim Durchkommen zu helfen und die gegnerische Jammer*in | |
| aufzuhalten. | |
| ## Hart blocken im Safe Space | |
| [2][Der Sport] nutzt viele englische Begriffe, denn er kommt ursprünglich | |
| aus den USA. Seinen Ursprung hat Roller Derby in Chicago, wo 1935 das erste | |
| Rennen stattfand. Die Regeln waren damals noch ganz anders als heute und es | |
| handelte sich eher um ein Wettrennen. Erst als zur Jahrtausendwende vor | |
| allem weibliche und feministische Akteur*innen das Roller-Derby-Feld | |
| dominierten, bekam der Sport neuen Aufschwung. Es gründete sich ein | |
| internationaler Verband. Und es bleibt seitdem dabei: Roller Derby wird | |
| hauptsächlich von FLINTA*-Personen ausgeübt und soll ihnen einen Schutzraum | |
| bieten, einen sogenannten „Safe Space“. | |
| Alle Spieler*innen tragen Derby-Spitznamen, quasi eine zweite Identität | |
| während des Spiels, die sie sich selbst ausgesucht haben. Auf einer | |
| Webseite kann man nachschauen, ob der Name schon vergeben ist oder nicht. | |
| So tragen Zoës Mitspieler*innen Namen wie „Troublegum“, „Doc Block“ | |
| oder „Barbie Salesch“. | |
| Das „Bout“, so heißt ein Spiel, wird von einem der rund sieben | |
| Schiedsrichter*innen, die ebenfalls auf Rollschuhen stehen, angepfiffen. Da | |
| Roller Derby aus so vielen Regeln besteht, braucht es viele wachsame Augen. | |
| So gibt es noch rund zehn „Officials“ ohne Rollen unter den Füßen, die | |
| unter anderem die Punkte und Strafen mitzählen oder die Zeit in der | |
| Strafbox stoppen. | |
| „Blocks auf die Wirbelsäule, alles Hals aufwärts und auf den Kopf sind | |
| illegal – Kontakte an diesen Stellen enden auf der Strafbank“, sagt Zoë, | |
| die als Blockerin im Angriff steht. Sie bekomme häufiger etwas ab, gerade | |
| mit einer Größe von 1,55 Metern. Die Brille, die Zoë auch auf dem Track | |
| trägt, habe das bisher gut überstanden. Beim Spiel in Hamburg kassieren sie | |
| und ihre Mitspieler*innen einige Strafen – das gehöre aber dazu, | |
| erklärt Zoës Mutter Lilli. „Gerade am Ende des Spiels gibt es häufiger | |
| Strafen, weil man seine Ellbogen oft nicht mehr so gut im Griff hat“, meint | |
| Lilli. Ab sieben Strafen ist für Spieler*innen allerdings Schluss – aus | |
| diesem Grund behält Coachin Anke die Anzahl im Blick und wechselt immer | |
| wieder durch. Nach jedem Jam gibt es 30 Sekunden Pause – und die Teams | |
| tauschen ihre Jammer*innen und Blocker*innen aus. Zoë kommt wieder | |
| als Blockerin auf das Feld. So anstrengend wie das Drücken, Pressen und | |
| Aneinandervorbeischieben aussieht, sind die kurzen Pausen wohl auch | |
| unvermeidbar. | |
| Nach der Halbzeit steht es gegen das Mixed Team von St. Pauli Roller Derby | |
| 94 zu 56. Zoë ist zufrieden mit dem Zwischenstand. Das Team stellt sich im | |
| Kreis auf und hält die Hände übereinander, wirft die Arme in die Luft und | |
| brüllt: „Wir blocken hart und springen weit und machen uns ’ne gute Zeit!�… | |
| Und das tun sie dann auch: Am Ende steht es 216 zu 88 für Zoës Team. | |
| Charly, 17 Jahre alt, ist wie Zoë von den Juniors zu den Erwachsenen | |
| gewechselt. Als „Checkpoint Chaaly“ jammt Charly bei diesem Spiel in einem | |
| einzigen Jam 32 Punkte – erstaunlich viel. Und macht damit dem Spitznamen, | |
| der im Team für „Chaaly“ entstand, alle Ehre: „Weil ich mich überall | |
| vorbeischlängele, wurde ich Aal genannt“, sagt Charly. | |
| ## Kuscheln nach dem Spiel | |
| Auch nach dem Spiel wird weitergerollt – die Spieler*innen drehen noch | |
| ein paar Runden, um Zuschauer*innen und Gegner*innen abzuklatschen. | |
| Sie jubeln einander zu. Das sei auch etwas, was den Sport besonders macht, | |
| meint Zoë. Dafür gebe es sogar einen Begriff: „Wir sprechen immer von | |
| Derby-Love. Das zeigt, wie sich der Sport zum Beispiel von Fußball | |
| unterscheidet: Auf dem Spielfeld wird sich kein Punkt geschenkt, nach dem | |
| Spiel wird dann aber gekuschelt und so.“ | |
| Diese Atmosphäre absorbiert auch Neulinge, keiner blickt aufs Handy, alle | |
| verfolgen das Spiel oder unterhalten sich mit ihren Sitznachbar*innen. Das | |
| mag vielleicht auch daran liegen, dass es immer neuen Gesprächsstoff gibt: | |
| Ein Zuschauer erklärt einer anderen Zuschauerin noch einmal die Regeln. Es | |
| treffen erfahrene Derbyfans auf solche, die zum ersten Mal dabei sind. So | |
| erzählt eine Zuschauerin, die mit ihrem Freund gekommen ist: „Wir haben | |
| [3][den Film ‚Roller Girl‘] gesehen – jetzt wollten wir uns auch einmal e… | |
| richtiges Spiel anschauen.“ Trotz der vielen Regeln könnten sie dem wilden | |
| Geschehen gut folgen. Sonst helfen die rot-schwarzen Flyer, die der Verein | |
| vorher auf den Plätzen verteilt hat. | |
| Für die Spieler*innen von St. Pauli Roller Derby läuft es an diesem Tag | |
| noch mehr als gut: Sie gewinnen auch das Bundesliga-Spiel gegen Stuttgart | |
| und das Spiel gegen München. Danach wird gemeinsam gefeiert – auf dem | |
| Wohlwillstraßenfest auf St. Pauli, wo das Team sozusagen zu Hause ist. | |
| 27 Aug 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.fcstpauli.com/verein/abteilungen/roller-derby/ | |
| [2] /Roller-Derby/!5079195 | |
| [3] https://www.youtube.com/watch?v=2-xIUPfUp9E | |
| ## AUTOREN | |
| Emily Kietsch | |
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