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# taz.de -- Devo-Abschiedskonzert in Berlin: Männer ohne Berührungsangst
> Keine Satisfaktion: Die US-New-Wave-Band Devo beschließt ihre
> Farewell-Tour in Berlin. Und verspricht weitere 100 Jahre De-Evolution.
Bild: Devo in ihren gelben Jumpsuits auf der Abschiedstour
Berlin taz | Ganz vereinzelt sind Energy Domes schon draußen zu sehen, in
der Schlange am Einlass der Zitadelle in Berlin-Spandau: Diese meist roten,
runden, ring-terrassierten Plastikkopfbedeckungen, die die US-Band Devo
1980 erstmals feilgeboten hat, anlässlich der Tour zu ihrem Album „Freedom
of Choice“. Angeblich sind diese Hüte angelehnt an babylonische
Tempelarchitektur und geeignet, Orgon-Energie zu binden; ja, die von
Wilhelm Reich. Auch von ihrer Liebe zu Bauhaus-Design und Lego haben die
Devo-Gründer in diesem Zusammenhang schon gesprochen.
Drinnen werden diese entfernten Verwandten von Blumentöpfen auch verkauft,
35 Euro pro Stück, genauso viel kosten die 50-Jahre-Devo-T-Shirts. Daneben
gibt es signierte Drum-Felle, also für richtiges Schlagzeug, aber die sind
dann doch teurer, 250 Euro das Stück. Der kleine Ausflug an den – Achtung!
– Devotionalienstand ergibt Sinn, weil er mehr als bei anderen Bands
erzählt über diese nun also Farewell sagenden New-Wave-Nerds. Gegründet
1973 in Akron, Ohio, damals Welthauptstadt des Autoreifens.
Devo-Songs haben Punk-Drive und klingen zugleich nach Fahrstuhlmusik,
Gegen- trifft Massenkultur, Avantgarde-Wissen fällt mit billigen
Industrieerzeugnissen zusammen, Protest mit doppelbödiger Affirmation:
Klaro, dass widersprüchliche Elemente auch bei manchen
Punk-und-Folgendes-Zeitgenossen im Spiel gewesen waren. Devo aber sind
damit bis ins Begleitprogramm der Olympischen Spiele gelangt.
Denn wenn sie eines immer waren, dann ist die Band scheinbar ohne jede
Berührungsangst: Sie kooperieren mit Nike und Coca-Cola, umarmen das Neue,
feiern den Reiz der Oberfläche. In ihrer Musik, aber vielleicht noch mehr
all dem Drumherum, den Videoclips, Computerspielen und
Plastik-Actionfiguren hallen 20er-Jahre-Avantgarde und
50er-Jahre-Wohlstandsversprechen wider, der [1][Soundtrack zur
Weltherrschaft des Brillenträgers mit Elektrobaukasten, auch Kindern
zugänglicher Quatsch] und gleich darauf wieder gallige Dystopie. Denn die
De-Evolution, dieses Konzept hinter dem Namen, das auftaucht in so vielen
ihrer Texte und Titel, ist ja gar nichts Gutes – eher der Rückfall des
Menschen in die Barbarei.
## Ist die De-Evolution real?
Eine Idee, geboren aus profunder Enttäuschung über das Ende des
60er-Jahre-Aufbruchs im Kugelhagel an der Kent State University: Unter den
vier dort von Nationalgardisten erschossenen Student:innen waren
Freund:innen von Devo-Gründer Gerald Casale. Er sprach vom 4. Mai 1970,
dem „Kent State Massacre“, wiederholt als dem Tag, an dem er aufhörte,
Hippie zu sein – eine Aussage, die mit Vorsicht zu genießen ist, wie so
vieles im Devo-Kosmos.
„Wie viele von euch glauben, dass De-Evolution real ist“, fragt Gerald V.
Casale, mehr als 50 Jahre später, das Berliner Publikum am Dienstagabend.
„Vielleicht nicht so sehr da, wo ihr seid. But in the United States, we’re
drowning in filth.“ Blitzen da einfach gekränkte Liberale hervor hinter all
den Schichten von Konzeptkunst, Ironie, Maskerade? Sie wechseln mehrfach
die Outfits an diesem Abend, erinnernd an die Epochen der Bandgeschichte,
auf den Bühnenhintergrund projizieren sie Collagen ihres immer auch
visuellen Outputs, dann wieder riesengroße Textauszüge.
Etliche Hits werden am Ende gespielt worden sein, auch der tatsächliche,
„Whip It“. Aber wichtiger wohl für viele im annähernd vollen Freilichtrund
sind die Hits der Herzen: „Uncontrollable Urge“ und „Gut Feeling“, das
heute sicher nicht mehr genauso vorstellbare „Mongoloid“, die
Dekonstruktion von „(I can’t get no) Satisfaction“, „Smart Patrol/Mr DN…
und das Devo-Stück überhaupt: „Jocko Homo“ mit seinem Call-and-response
„Are we not men?/We are Devo!“
Im Publikum sind alte Punk- und neue Hipster-Outfists zu identifizieren,
sogar ganze Familien sind da: Väter mit kleinen Töchtern, die sich auf „die
gelben Anzüge“ freuen. Der grau gewordene XTC-T-Shirtträger mit Frau und
erwachsener Tochter, beide so begeistert wie textsicher: Wer hat da wen
eingeladen?
## Der letzte Abend der ersten 50 Jahre Devo
Vor dem Einlass plaudern mittelalte VIP-Karteninhaber, angereist aus
Hamburg und Leverkusen. Überraschend, dass sie finden, damals in den
1980ern, das sei wenigstens noch Musik gewesen, nicht wie in den 1990ern
dann nur noch Techno. Kennen diese Leute überhaupt das Album, auf dem Devo
einen Schwung alter Hits entwaffnend ehrlich als „E-Z-Listening“ inszeniert
haben?
Pünktlich viertel nach acht beginnt die Band, als Vorprogramm haben wir ein
sehr stilsicheres DJ-Set zu hören bekommen: mit Songs von Pere Ubu, auch
aus Ohio; Spizz Energi, Gang of Four, solche Sachen – das wird auch denen
mit den VIP-Tickets gefallen haben.
Nicht genau eine Spielfilmlänge später ist die Show vorbei, keine Zugabe.
Im Finale aber hat ein alter Bekannter seinen Auftritt, „Boji Boy“, eine
von Devos vielen Kunstfiguren: Es sei dieser Abend in Deutschland ein
besonderer. So hätten sie hier ja einst [2][ihr Debütalbum aufgenommen (mit
Brian Eno in Conny Planks legendärem Studio nahe Köln)]. Und es sei der
letzte Abend der ersten 50 Jahre Devo, hören wir – aber auch der erste der
nächsten 100. Mal sehen, was da noch kommt.
16 Aug 2023
## LINKS
[1] /Thor--Tag-der-Entscheidung-im-Kino/!5456902
[2] /Filmdoku-ueber-Conny-Plank/!5448205
## AUTOREN
Alexander Diehl
## TAGS
Konzert
New Wave
Techno
Bauhaus
Ohio
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