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# taz.de -- Warten auf die Zahlung vom Amt: Eine Behörde schottet sich ab
> In Hamburg warten Geflüchtete monatelang auf Zahlungen, die ihnen
> zustehen. Sofiya S. und ihre Schwester haben dagegen geklagt.
Bild: Wer bei der Notfallsprechstunde des Amts für Migration dran kommen will,…
Hamburg taz | Sofiya S. und ihre Schwester haben zusammen noch 150 Euro
Ersparnisse. Damit müssen sie mindestens bis Ende September alles bezahlen,
[1][was zum „persönlichen Bedarf“ gehört.] Also zum Beispiel Handyguthabe…
Gesichtscreme, Hygieneartikel oder auch Essen, falls sie es mal nicht
schaffen, zur Essenszeit in der Unterkunft zu sein.
Eigentlich stehen den beiden Schwestern finanzielle Leistungen nach dem
Asylbewerbergesetz zu. Aber bislang konnten sie nicht mal den Antrag darauf
stellen, ihr Termin dafür ist erst am 21. September. Dabei ist unstrittig,
dass ihnen das Geld – 180 Euro monatlich – zusteht. Die
Aufenthaltsgestattung, die sie dazu berechtigt, haben sie bereits seit dem
7. Juli.
„Zwar sind wir es aus Russland gewöhnt, mit wenig Geld auszukommen“, sagt
Sofiya S. „Trotzdem ist es hart.“ Während des Deutschkurses etwa müsse sie
zum Teil mehrfach zwischen dem Kurs und der Unterkunft hin und her fahren,
um zur Essenszeit in der Unterkunft zu sein. Sich beim Imbiss etwas zu
holen, sei leider keine Option.
Der Fall von Sofiya S. und ihrer Schwester ist keine Ausnahme. Dass
Geflüchtete drei Monate und länger auf ihr Geld warten, ist in Hamburg
derzeit die Regel. Bis vor ein paar Monaten war das noch anders:
Geflüchtete mussten lediglich ihre Duldung oder eine andere
Aufenthaltsgestattung beim Sozialamt des jeweiligen Bezirks vorzeigen und
einen unkomplizierten Antrag stellen. Doch zum 1. Januar dieses Jahres
wanderte die Zuständigkeit von den Bezirksämtern zum Amt für Migration, das
bei der Innenbehörde angesiedelt ist. Seitdem läuft es nicht mehr.
## Es fehlt sogar an Klopapier
S. sagt, dass sie und ihre Schwester noch gut dran seien, weil sie Englisch
sprechen, gut informiert seien und für niemanden sorgen müssen, außer für
sich selbst. „Viele andere in der Unterkunft [2][haben kleine Kinder“],
sagt S. Wie die an Milch und Windeln kommen, sei ihr schleierhaft, in der
Unterkunft gebe es nicht mal Klopapier. Als sie einen Mitarbeiter danach
gefragt habe, sei der ungehalten geworden.
Er habe ihr zwar eine Rolle gegeben, aber gesagt, sie solle ihn nicht noch
einmal fragen. Eine andere Mitarbeiterin habe ihr einige Tage später
erklärt, dass die Stadt dem Träger kein Geld für Klopapier zur Verfügung
stelle. Auch die Mitarbeiterin habe S. eine Rolle Klopapier gegeben, aber
gesagt, dass S. mit ihrer Schwester teilen solle und sie nicht jedem eine
Rolle geben könne, weil sie so viel nicht habe.
Das Amt für Migration hat eine Notfallsprechstunde für Geflüchtete
eingerichtet, die Probleme mit ihrem Leistungsbezug haben: Erst an zwei
Tagen pro Woche, mittwochs und freitags, dann nur noch freitagvormittags.
Warum nur noch einmal pro Woche? Die Innenbehörde gibt in einer Antwort auf
eine parlamentarischen Anfrage der Linksfraktion „organisatorische Gründe“
dafür an.
Es befinde sich mittwochs bereits „sehr viel Publikum des Referates
‚Aufenthalt von Asylbewerbern und Flüchtlingen‘ im Dienstgebäude. „Die
Steuerung einer weiteren großen Zahl von Kundinnen und Kunden im Haus ist
organisatorisch nicht möglich.“ Mit anderen Worten: Mittwochs sind schon zu
viele Ausländer im Haus, das wird uns zu chaotisch.
## Sozialgericht eingeschaltet
Auch Sofiya S. und ihre Schwester waren an einem Freitag dort, sogar zwei
Mal. „Beim ersten Mal kamen wir um acht, [3][da warteten schon 300
Personen]“, sagt S. Sie kamen natürlich nicht dran. Beim zweiten Mal kamen
sie früher, sechs Uhr morgens. Da schafften sie es unter die ersten 150
Wartenden und kamen nach sechs Stunden Wartezeit tatsächlich dran.
Doch die Sachbearbeiterin konnte ihnen nicht helfen. S. und ihre Schwester
hätten ja den Antrag auf Leistungen noch gar nicht gestellt,
dementsprechend seien sie auch nicht im Leistungssystem erfasst. „Ich habe
der Frau gesagt, dass das ja genau das Problem ist, wegen dem wir da sind“,
sagt Sofiya S. Die Sachbearbeiterin habe das auch verstanden, ihr aber
trotzdem nicht helfen können.
S. und ihre Schwester haben daraufhin eine Anwältin eingeschaltet und sich
an das Sozialgericht gewandt. „Die Grundleistungen, die das
Asylbewerberleistungsgesetz den Antragsteller*innen zusichert, sind
gerade noch geeignet, die Menschenwürde zu sichern“, schreibt die Anwältin
dem Gericht.
Eine Wartezeit von fast drei Monaten, um überhaupt den Antrag zu stellen,
sei nicht zumutbar. Die Innenbehörde erwidert schroff: „Die Terminvergabe
erfolgt in chronologischer Reihenfolge. Da die Antragsteller nicht die
einzigen Ausländer sind, die Leistungen begehren, kann es zu Wartezeiten
bei der Terminvergabe kommen.“
## Linke hält Behördenhandeln für „offenen Verfassungsbruch“
Für die flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Carola Ensslen,
ist das derzeitige Vorgehen des Amts für Migration „offener
Verfassungsbruch“. „Zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum
gehört auch, dass der Staat die notwendigen Vorkehrungen trifft, um den
Anspruch auf Leistungen zu verwirklichen“, sagt Ensslen.
Die Linksfraktion ruft für diesen Freitag zu einer Kundgebung auf. Ab zehn
Uhr wollen sich Betroffene und Unterstützer*innen vor dem Amt für
Migration treffen und protestieren. Das Ziel der Aktion sei, dass direkt
vor Ort Eilanträge der Betroffenen an das Sozialgericht gefaxt werden.
Den Weg über das Sozialgericht hat Sofyia S. mittlerweile hinter sich. Am
Montag gab das Gericht ihr Recht und verpflichtete die Innenbehörde, S. und
ihrer Schwester umgehend das Geld auszuzahlen. Erhalten haben die beiden
Schwestern allerdings noch nichts.
25 Aug 2023
## LINKS
[1] /Bezahlkarten-fuer-Gefluechtete/!5950500
[2] /Unterricht-fuer-gefluechtete-Kinder/!5927422
[3] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Amt-fuer-Migration-in-Hamburg-Wandsb…
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Hamburg
Asylrecht
Asylpolitik
Geld
Minderjährige Geflüchtete
Griechenland
Schwerpunkt Flucht
Entwicklungspolitik
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