# taz.de -- Rückgang an Geburten: Vögeln für Deutschland | |
> Gegen den Fachkräftemangel fordert die AfD mehr Nachwuchs „aus eigener | |
> Kraft“. Das ist eine völkische Fantasie, die die Realität verleugnet. | |
Bild: Deutsche Familie in den 1930er Jahren | |
Echt anstrengend war es neulich an der Heimatfront. Huch, habe ich das | |
jetzt wirklich gesagt: „Heimatfront“? Aber es herrscht ja tatsächlich eine | |
Art Krieg, und zwar zwischen Onkel Ulf und mir. Er wähle die AfD, erklärte | |
er mir mal. „Da könnt’ ich natürlich kotzen“, antwortete ich. Dennoch r… | |
wir weiterhin miteinander. Es ist halt: Familie, aus derselben urdeutschen | |
Matschepampe gezüchtet – „ein Blut“, wie Onkel Ulf sagt. | |
Als wir kürzlich durch „unseren“ Ort spazierten, eine hessische Kleinstadt, | |
wohlhabend und aufgeräumt, schimpfte er: „Hier eine Pizzeria, da ein Thai, | |
zwei Griechen und jetzt sogar ein Syrer!“ Nach einem Krautrippchen müsse er | |
regelrecht suchen! „Es verbietet den Deutschen ja keiner, ihre eigenen | |
Lokale zu eröffnen“, sagte ich, „stell dir mal vor, all diese Läden wären | |
dicht – wie tot es hier wäre.“ | |
Da platzte es aus ihm heraus: „Wir Deutschen sterben aus!“ „Au Mann“, | |
stöhnte ich und hörte meinen nie befruchteten Deutsche-Frauen-Bauch | |
gluckern. | |
Ein paar Tage später hatte ich Onkel Ulf schon wieder vor der Nase, diesmal | |
in Gestalt von AfD-Co-Chef Tino Chrupalla. Im [1][„ZDF-Sommerinterview“ | |
sprach er] mit Shakuntala Banerjee, Kind einer Deutschen und eines Inders. | |
Banerjee zitierte „Stimmen aus der Wirtschaft“, mindestens 400.000 | |
Zuwanderungen pro Jahr [2][seien nötig], um den Laden am Laufen zu halten. | |
## Die falschen Kinder der Falschen | |
Chrupalla antwortete, es gelte, „aus eigener Kraft heraus mit unserem | |
Nachwuchs“ [3][neue Fachkräfte] zu „generieren“. Banerjee: „Bis 2060 f… | |
16 Millionen Arbeitskräfte, die man dann irgendwie … ja … zeugen müsste �… | |
Chrupalla: „Ja, wir müssen einfach damit auch mal anfangen.“ | |
Schnell schaltete ich um, Frau Banerjee zuliebe, denn ich wollte mir die | |
beiden nicht beim Zeugungsprozess vorstellen. Und plötzlich dachte ich an | |
den FDP-Mann Daniel Bahr: „In Deutschland kriegen die Falschen die Kinder“ | |
[4][hatte der im Jahr 2005 gesagt], Thilo Sarrazin walzte den Satz auf 500 | |
Buchseiten aus: „Deutschland schafft sich ab.“ | |
Prompt schoss mir der „Attentäter von Halle“ in den Sinn, der 2019 in einem | |
Live-Stream sagte: „Der Feminismus ist der Grund für die sinkenden | |
Geburtenraten im Westen, die das Einfallstor für Massenmigration sind. Und | |
die Wurzel all diesen Übels ist der Jude.“ | |
Von da kam ich auf [5][Heinrich Himmlers „Zeugungserlass“]: „Für die Mä… | |
und Frauen, deren Platz durch den Befehl des Staates in der Heimat ist, | |
gilt gerade in dieser Zeit die heilige Verpflichtung, wiederum Väter und | |
Mütter von Kindern zu werden.“ In meinem Unterleib zog es, als ob sich da | |
ein „Mutterkreuz“ aus deutschem Kruppstahl verkeilt hätte. | |
Auf einmal tanzte ein Grüppchen „trad wives“ vor meinem inneren Auge, | |
„traditionelle Ehefrauen“ und Trump-Anhängerinnen, die an die | |
„Überlegenheit der weißen Rasse“ glauben. Eine von ihnen hatte zur | |
[6][„white baby challenge“] aufgerufen. Schließlich fiel mir Ellen Kositza | |
ein, die Rechtsaußenverlegerin, die [7][von ihren sieben deutschen Kindern] | |
schwärmt: Alle habe sie zu Hause bekommen, manche auf allen vieren hockend. | |
## Warum will niemand Kinder? | |
Bei diesem Bild wurde mir ganz blümerant, erst riss ich die Fenster auf, | |
dann das Laptop. Mit 1,46 Kindern je Frau sei die Geburtenziffer in | |
Deutschland im Jahr 2022 erneut gesunken, „auf den niedrigsten Stand seit | |
2013“, [8][las ich beim Statistischen Bundesamt]. Die Ostfrau gebiert | |
demnach 1,43 Kinder, die Westfrau 1,48, und auch bei „Frauen mit | |
ausländischer Staatsangehörigkeit“ sank die Rate ein weiteres Mal, auf | |
1,88. | |
Ich überlegte: Die Fortpflanzungsrenitenz hat viele Gründe. Einen davon hat | |
Chrupalla angeführt: fehlende Kinderbetreuungsplätze. Doch es bräuchte viel | |
mehr. Eine Stärkung von Alleinerziehenden. [9][Ein Einkommensgefüge, das | |
Zukunftspläne erlaubt], für Frauen und Männer. Womöglich ist „die deutsche | |
Frau“ auch abgeturnt, weil sie weiß, dass der Großteil der Familienarbeit | |
[10][an ihr hängen bleibt.] | |
Letztlich geht es niemanden und auch nicht den Staat etwas an, warum jemand | |
sich fortpflanzt oder nicht. Der Ruf nach „völkisch reinem Blut“ wird | |
lauter, in Ost wie West, Polen, Ungarn, den USA und hier. „Vögeln für | |
Deutschland“: Schlagartig lässt dieser Appell all meine Säfte versiegen. | |
Ich hoffe, dass es meinen 84 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ebenso | |
geht. | |
8 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zdf.de/politik/berlin-direkt/berlin-direkt---sommerinterview-vo… | |
[2] /Reform-der-Fachkraefte-Einwanderung/!5924273 | |
[3] /Demografie-und-Arbeitsmarkt/!5946608 | |
[4] /Kinder-Kinder-die-Akademiker-sterben-aus/!623577/ | |
[5] https://www.ns-archiv.de/krieg/zukunft/himmler.php | |
[6] https://www.nytimes.com/2018/06/01/opinion/sunday/tradwives-women-alt-right… | |
[7] https://www.zeit.de/2018/05/ellen-kositza-neue-rechte-feminismus-rechte-fra… | |
[8] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/07/PD23_290_12.ht… | |
[9] /Schlechte-Loehne-auf-dem-Arbeitsmarkt/!5951398 | |
[10] /Teresa-Buecker-ueber-Arbeit-und-Freizeit/!5935548 | |
## AUTOREN | |
Katja Kullmann | |
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