# taz.de -- Geflüchtete in Tunesien: Sie müssen die Drecksarbeit machen | |
> Die EU und Tunesien haben sich auf eine „strategische Partnerschaft“ | |
> geeinigt. Mit europäischem Geld werden flüchtende Menschen in die Wüste | |
> geschickt. | |
Bild: Geflüchtete in der Wüste an der libanesisch-tunesischen Grenze im Juli … | |
Mehr als tausend Menschen wurden in den vergangenen Tagen von Tunesien | |
[1][in der Wüste abgesetzt] – ohne Wasser und Versorgung, bei über 40 Grad | |
Hitze. So berichten es NGOs aus der Region. Dies geschah just in jener | |
Zeit, in der sich die Europäische Union und das nordafrikanische Land | |
[2][auf eine „strategische Partnerschaft“ bei der Migrationskontrolle | |
geeinigt haben]: Die EU zahlt, Tunesien hält die Flüchtlinge auf. Und weil | |
das Land sie selbst auch nicht will, kommen sie eben in die Wüste. | |
Das Sterben dort unterscheidet sich aus europäischen Sicht von jenem im | |
Mittelmeer vor allem dadurch, dass es hierzulande kaum bemerkt wird. | |
Während eine Vielzahl NGOs und die UN die Vorgänge im Meer heute fast | |
lückenlos dokumentieren, ist die unzugängliche Wüste, oft ohnehin | |
Sperrgebiet, ein Niemandsland der Wahrnehmung. Was dort geschieht, ist – | |
buchstäblich – die Drecksarbeit der europäischen Flüchtlingsabwehr. | |
Sie wird befeuert von der Angst vor der hierzulande erstarkenden Rechten. | |
So aber materialisiert sich ihr Programm, schon bevor sie die Macht | |
übernimmt: Was bei uns als Bruch zivilisatorischer Mindeststandards gilt, | |
wird südlich des Mittelmeers vollzogen, um uns die Unerwünschten vom Hals | |
zu halten. | |
Manchen reicht das nicht. Immer noch einen Schritt weiter, auf dass bloß | |
keiner denkt, uns geht es noch nicht hart genug zu – nach diesem Motto | |
verfährt dieser Tage die Union. „Aus dem Individualrecht auf Asyl muss eine | |
Institutsgarantie werden“ – das [3][forderte diese Woche] der | |
Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei. Eine | |
Antragstellung auf europäischem Boden soll nicht länger möglich sein, der | |
Bezug von Sozialleistungen und Arbeitsmöglichkeiten gehörten „umfassend | |
ausgeschlossen“. | |
## Die Tore würden geschlossen bleiben | |
Frei begründete seinen Vorschlag damit, dass das derzeitige Asylrecht | |
„nicht die Schwächsten“ schütze, sondern eine „zutiefst inhumane Auswah… | |
treffe. Wer zu alt, zu schwach, zu arm oder zu krank ist, sei „chancenlos“: | |
Er oder sie könne sich nicht auf den Weg durch die Wüsten Afrikas und über | |
das Mittelmeer machen. | |
Das stimmt. Nur liegt es vor allem daran, dass die EU – und mit ihr die | |
Bundesregierung – in den vergangenen Jahren alles dafür getan hat, dass es | |
dort heute so gefährlich für Flüchtende ist. | |
Frei jedenfalls will an die Stelle des individuellen Asylrechts ein | |
jährliches europäisches Kontingent von „300.000 oder 400.000“ Menschen | |
auflegen. Mit dem sollen Schutzbedürftige direkt aus dem Ausland | |
aufgenommen und in der EU verteilt werden könnten. Seine Begründung dafür | |
klingt rational, gar human. Das Argument ist seit Jahren immer wieder | |
bemüht worden, um zu rechtfertigen, warum es den individuellen | |
Rechtsanspruch nicht mehr geben soll. In etwas abgewandelter Form, mit | |
Betonung auf den Gedanken nationaler Souveränität, ist dies auch in | |
Osteuropa zu hören: Wir bestimmen, wen wir reinlassen. Also bestimmen wir | |
auch, wem wir Schutz gewähren wollen. | |
Die Folge wäre, dass die Menschen, die es nötig haben, darauf hoffen | |
müssen, dass die Staaten sie freiwillig zu sich holen. Jede Erfahrung der | |
Vergangenheit zeigt jedoch nur eines: Wer darauf angewiesen ist, ist | |
verloren. Denn freiwillige Aufnahme findet stets nur in homöopathischen | |
Dosen statt. | |
Sei es die Resettlement genannte Umsiedlung über Kontingente des | |
UN-Flüchtlingswerks UNHCR, sei es die Relocation genannte Umverteilung aus | |
den Staaten Südeuropas innerhalb der EU, seien es die Notaufnahmeprogramme | |
aus den Lagern Libyens oder der Ägäis oder Schiffbrüchiger aus Malta oder | |
Italien. Immer dann, wenn die Menschen freiwillig aufgenommen werden | |
sollen, kommt am Ende kaum jemand durch. Man kann davon ausgehen, dass Frei | |
das weiß. Zu behaupten, dass die EU freiwillig Hunderttausende Menschen pro | |
Jahr hereinholt, ist Augenwischerei. Das wird nicht geschehen. Die Tore | |
würden geschlossen bleiben. | |
25 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Human-Rights-Watch-ueber-Lage-in-Tunesien/!5948544 | |
[2] /Fluechtlingsdeal-mit-Tunesien/!5944857 | |
[3] /Asylrecht-des-Einzelnen-infrage-gestellt/!5948426 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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