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# taz.de -- Urlaub in der Schweiz: Wo Golfer sich einlochen lassen
> Im schweizerischen Chur kann man beim Citygolf einheimische
> Köstlichkeiten kennenlernen. Manche Touris schlafen danach hinter
> Gittern.
Bild: Der Churer Zuckerbäcker Arthur Bühler in seiner Backstube
CHUR taz | Niemand bemerkt, wie wir aus dem Gefängnis flüchten. Warum wir
überhaupt drin waren? Keine Zeit, das müssen wir später erzählen. Jetzt
erst einmal Rucksack über den Zaun werfen, Räuberleiter machen – draußen.
Wir sehen nicht wie Ausbrecher aus, eher wie stinknormale Touristen, die
Chur erkunden wollen. Bloß mit Golfschlägern. Denn in der Hauptstadt des
Schweizer Kantons Graubünden kann man sich durch die Innenstadt golfen. Die
neun Bahnen liegen nicht an den Hotspots, sondern in ruhigeren Winkeln und
Gassen, in denen man aber viel entdecken kann.
Wo das rote Kreuz auf den Asphalt gesprayt ist, legen wir den Ball ab und
schlagen ihn Richtung Ziel. Mal ist das ein Hydrant, mal ein Brunnen, mal
ein Stück Mauer. Auch wer zum ersten Mal einen Golfschläger in der Hand
hält, kommt ohne große Mühe zurecht und der neongelbe Ball ist so weich,
dass er keine Dellen in Autotüren und keine blauen Flecken auf menschlicher
Haut hinterlassen könnte.
Die Idee ist simpel, das Spiel einfach, der Spaßfaktor hoch. Was aber
wirklich zählt, steht nicht auf dem Scoreboard, auf dem man die Schläge
notiert. Es spielt keine Rolle, ob der Citygolfer mal über den Ball haut
oder das Ding in einem Container versenkt. Eigentlich muss man auf diese
Missgeschicke hoffen, denn sie bringen einen ins Gespräch mit den
Einheimischen.
## Citygolf kann auch Abenteuer sein
Auf dem Hegisplatz befindet sich der Abschlag direkt an einer Eingangstür.
Als wir ausholen zum ersten Schlag tönt es aus der Freisprechanlage: „Sie
müssen nur den Brunnen treffen, viel Spaß.“ Am Fenster im ersten Stock
taucht ein Mann auf und reckt den Daumen nach oben. Die Motivation hilft,
nach drei Schlägen ist der Ball am Ziel.
Nächste Bahn, kleine Seitengasse, kräftiger Abschlag. Der Ball roll und
rollt. Genau vor die Füße von Marco Leibundgut. Er ist auf dem Weg zur
Arbeit im [1][Sennhof], einem langgezogenen Gebäude mit weißer Fassade,
Stacheldraht und hohen Mauern. Seit 2020 ist das ehemalige Zuchthaus ein
Hostel und Leibundgut der Gastgeber.
„Die Grundinfrastruktur war da. Hier haben ja schon Menschen gelebt“, sagt
Leibundgut. Die Türen und Zellen sind geblieben, alles andere ist neu.
Betten vom Schreiner, neue Bäder, frische Farbe. Nach der Führung lässt er
uns zur Hintertür raus in den Gefängnishof. Dass das Tor draußen
verschlossen ist, hat er nicht gewusst. Nun ist das Rätsel gelöst, warum
wir über den Zaun klettern mussten. Citygolf kann auch Abenteuer sein.
Offiziell heißt es Urbangolf und ist seit zwei Jahren in Chur möglich. Man
leiht Schläger und Ball gegen eine Gebühr von 15 Euro pro Erwachsener bei
der Tourist-Info am Bahnhof und zieht los. Die erste Schweizer Stadt, die
Urbangolf angeboten hat, war Winterthur.
## Das Café ist gleichzeitig ein Schmuckatelier
Heute kann man es zum Beispiel auch in Biel oder Sursee spielen, doch
niemand treibt das Thema so stark voran wie die Churer. Trotz Pandemie
haben im vergangenen Jahr 2.872 Menschen die kleine Kugel über das
Kopfsteinpflaster gejagt. Auf dem Churer Hausberg Brambrüesch, wohin im
Sommer gemütlich die Gondel fährt, gibt es auch [2][eine
Crossgolf-Variante].
Wer sich durch Chur golft, bemerkt alsbald die vielen Bars, Cafés und
Restaurants. Auf die 40.000 Einwohner kommen laut Stadtpolizei fast 300
gemeldete Gastwirtschaften. Für uns wird es Zeit, in eine davon
einzukehren.
Der Stadtplan lotst uns durch schmale Gassen, bis hinter der Musikschule
kleine Tische auftauchen, die zum Schmuckcafé gehören, einem schnuckeligen
Lokal direkt an der Golfbahn. Ein Saxophon tönt das Lied vom „Drunken
Sailor“, als wir noch schnell einen Ball ins Nirgendwo jagen und
schlussendlich eine peinliche Zahl im Scoreboard eintragen müssen.
Wir nehmen Platz, nebenan weist uns jemand auf den hervorragenden Kaffee
hin. Eine Blitzumfrage am Lokal ergibt: Es sitzen nur Churer hier – und
alle kommen wegen Cappuccino und Co. Eine Frau zeigt stolz einen Ring. Sie
hat ihn hier im Café, das zugleich ein Schmuckatelier ist, anfertigen
lassen.
## Vom Tellerwäscher zum Restaurantbesitzer
Der Goldschmied ist wie jeden Sommer zum Segeln in Mexiko. Salina
Wierzchula hat für ihn übernommen. Sie ist Österreicherin, wohnt aber schon
einige Jahre in Chur. „Das Klima, die Menschen, es ist einfach schön hier.“
Mittlerweile haben wir rund die Hälfte der Bahnen absolviert. Keiner der
Passanten beschwert sich, obwohl sie manchmal warten müssen, bis wir den
kleinen Ball versenkt haben. Viele wollen wissen, warum wir das tun und wo
wir herkommen. Ob wir noch einen Tipp für feines Gebäck oder ein leckeres
Abendessen bräuchten? Danke, wir sammeln fleißig Adressen.
Ein kleiner Junge mit großem Handtuch spricht uns an, was wir hier treiben.
Der Vater, der ihn ins Schwimmbad bringen will, kommt ums Eck. Auch er ist
neugierig, lädt uns auf eine Stange Bier ein – im eigenen Biergarten.
Schon bald geht es nicht mehr darum, was wir hier in Chur machen, sondern
um ihn: Salmon Sellathurai kam 1985 aus Sri Lanka. Sein Lebensweg in den
ersten Jahren war eine große Schweizreise. Luzern, St. Moritz und so
weiter. Er fing als Tellerwäscher an, seit 23 Jahren betreibt er das
Restaurant Marsöl, serviert mediterrane und indische Spezialitäten. „Du
gehst Golf spielen, ich ins Schwimmbad“, sagt er zum Abschied.
## Geheimnisvolle Pfirsichsteine
Unser Zeitplan ist aus den Fugen geraten. In zweieinhalb Stunden sollte man
mit dem Citygolf eigentlich durch sein, wir brauchen fast doppelt so lange.
Am Ende falten wir den Zettel auseinander, auf dem die Geheimtipps der
Churer stehen.
Einer davon: [3][Bühler’s Zuckerbäckerei], ein geschäftiger Treffpunkt, an
dem trotzdem keine Hektik aufkommt. Das ehrwürdige Haus, in dem sich schon
Anfang des 19. Jahrhunderts eine Pfisterei befand, ist schmal. Die Kunden
stehen entlang der verglasten Vitrine, die Verkäuferinnen stapeln Pralinen
in kleinen Schachteln.
Arthur Bühler, der die Zuckerbäckerei vor 28 Jahren übernommen hat, hütet
in der Backstube über dem Laden ein Geheimnis: die Zutaten für die Bündner
Pfirsichsteine, eine Spezialität aus Marzipan. „Das Rezept kennen nur meine
Tochter und ich.“ Klein, weich und rund liegen sie in der Hand, fast wie
der Citygolfball. Nur, dass wir sie dieses Mal mit einem Versuch versenken.
Transparenzhinweis: Die Reise wurde unterstützt von Chur Tourismus.
16 Jul 2023
## LINKS
[1] https://sennhof.info/
[2] /Unabhaengigkeit-des-Crossgolfens/!5694330
[3] https://www.altstadtchur.ch/lokale/buehlers-zuckerbaeckerei/
## AUTOREN
Christian Schreiber
## TAGS
Schweiz
Reisen
Golf
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