# taz.de -- Studentisches Arbeiten an Berliner Unis: Der Vertrag lässt auf sic… | |
> Die X-Tutorials der Berlin University Alliance können im Studium | |
> Erfahrungen in Forschung und Lehre sammeln. Die Arbeitsverträge kommen | |
> aber oft verspätet. | |
Bild: Die Uni-Allianz, eine exzellente Sache. Halt nicht immer für alle | |
BERLIN taz | An einem drückend heißen Donnerstag sitzen 13 Studierende in | |
einem Raum der Freien Universität (FU). Die Luft steht, der Schweiß läuft, | |
auch die Diskussionen sind heiß. Es geht um „Paratexte im Rap“. Kein | |
originärer Forschungsschwerpunkt der FU. Zwei junge Menschen in der Ecke | |
spielen an ihren Handys, zwei andere, Anton Fery und Tobias Krüger, sitzen | |
vorne neben einer Musikbox. Sie forschen über Rap. Ihre Ergebnisse teilen | |
sie mit den Studierenden in ihrem Kurs, in dem sie die Dozenten sind. | |
X-Tutorial nennt sich das Konzept. Student:innen können als | |
Tutor:innen hier bereits im Studium erste Erfahrungen in Forschung und | |
Lehre sammeln. Was auf den ersten Blick gut klingt, ist es auf den zweiten | |
nur bedingt. Viele der Tutor:innen arbeiten zunächst unbezahlt. Sie | |
erhalten ihre Verträge verspätet, werden von den Koordinator:innen | |
der Tutorials vertröstet. | |
Fery und Krüger haben ihr Tutorial im Oktober 2022 gestartet, zu Beginn des | |
Wintersemesters – einen Arbeitsvertrag haben sie erst im November | |
unterschrieben, sagen sie. Einen Monat lang müssen sie auf ihr erstes | |
Gehalt warten. Damit waren sie nicht allein und auch dieses Semester gibt | |
es Probleme: Die derzeit für die Tutorials zuständige Technische | |
Universität (TU) hat drei Monate nach Seminarbeginn 15 von 46 | |
Tutor:innen noch keine Verträge ausgestellt. | |
Der studentische Personalrat der Humboldt-Universität hat Tutor:innen, die | |
sich an ihn gewandt haben, empfohlen, zu klagen. Für viele, denen eine | |
akademische Karriere vorschwebt, ist das keine Option. „Man hilft sich | |
nicht selbst, wenn man sich dagegen wehrt“, sagt eine Tutorin. Wer will | |
schon jemanden als Doktorant:in, der:die schon einmal die Universität | |
verklagt hat? Aus Angst vor Konsequenzen für die eigene wissenschaftliche | |
Karriere wollen viele auch nicht mit ihrem Namen in die Öffentlichkeit. | |
## Als Exzellenzcluster eingestuft | |
Die Charité, Technische, Humboldt und Freie Universität arbeiten in der | |
Berlin University Alliance (BUA) zusammen. Der Verbund ist sogar als | |
Exzellenzcluster eingestuft. Dabei werden verschiedene – auch studentische | |
– Projekte angeboten, die den wissenschaftlichen Nachwuchs fördern sollen. | |
Wie die X-Tutorials. Wer ein X-Tutorial gibt, unterschreibt einen Vertrag | |
als studentische Hilfskraft aber nicht an der BUA selbst, sondern bei einer | |
der Verbundpartnerinnen, unabhängig von der Universität, an der sie | |
studieren. Derzeit ist eben die TU zuständig. Der Umfang beträgt meist 40 | |
Stunden im Monat, der Stundenlohn liegt bei knapp 13 Euro. | |
Ein guter Deal für beide Seiten: Die BUA kann Nachwuchs fördern, die | |
Studierenden können forschen und lehren und brauchen dabei nur selten | |
weitere Jobs. Insgesamt finanziert die BUA in diesem Semester 25 | |
X-Tutorials. | |
Die Hälfte der Studierenden in Einpersonenhaushalten hat weniger als 825 | |
Euro im Monat zur Verfügung – inklusive Bafög. Die Anstellung an der BUA | |
ist für die Studierenden also wichtig; wer mit dem Geld rechnet, braucht es | |
auch. Fiona ist Studentin und gibt in diesem Semester ein X-Tutorial. Seit | |
Mitte Januar weiß sie, dass ihr Tutorial gefördert wird. Die Förderung | |
sollte Anfang des Sommersemesters – also im April – beginnen. Die | |
beinhaltet auch einen Job für sie als studentische Hilfskraft. Fiona | |
glaubt, dass sie an der Technischen Universität angestellt wird. | |
Dann kommt der April – und kein Vertrag. Aber die junge Frau beginnt das | |
Tutorial trotzdem. Wer das sinnvoll durchführen will, muss pünktlich mit | |
dem Semester starten. Also fängt die Studentin ohne Arbeitsvertrag an und | |
finanziert sich durch ihre Rücklagen. Aber diese Rücklagen sind nicht | |
unendlich. „Man verlässt sich auf die Uni, dass das klappt“, sagt Fiona. | |
Einen Vertrag hat sie bis heute, Monate später, nicht. Sie arbeitet seit | |
Monaten unbezahlt. | |
Die zuständige Stelle der BUA verweist darauf, dass die Studierenden nicht | |
direkt bei der Alliance, sondern bei einer der Mitgliedsuniversitäten | |
angestellt sind. Nach der HU ist dieses Semester die TU zuständig. Unter | |
anderem durch den Wechsel kommen die Verzögerungen – schreibt die BUA | |
zumindest den Tutor:innen. Auf die Frage, warum dieser Wechsel erfolgte, | |
gab die BUA keine Antwort. | |
## Ein Problem seit langem | |
Aber die Probleme mit den Verträgen sind auch bereits älter. Im Semester | |
davor war die Anstellung vieler Tutor:innen noch an der HU und trotzdem | |
nicht pünktlich. Kurz vor Beginn der Vorlesungszeit – am 8. Oktober – | |
schreibt die zuständige Stelle der BUA den Studierenden: Der Arbeitsauftrag | |
zur Durchführung beginne erst mit der Anstellung. Mindestens zwei Tutorials | |
starten trotzdem vor Vertragsunterschrift. Für die BUA kein Problem. Sie | |
schreibt den Tutor:innen. „Alles, was vor Unterschrift des Vertrages | |
passiert, entzieht sich unserer Kenntnis.“ Tutorials nach Semesterbeginn | |
starten zu lassen macht für die Tutor:innen keinen Sinn – sie beginnen | |
zu arbeiten. Ohne Vertrag, ohne Gehalt. | |
Bei einem Studenten, Georgios Sollbach, dauerte die Wartezeit bis zur | |
Anstellung drei Monate. „Es war eine Zeit, in der ich einfach kein Geld | |
hatte“, sagt er. Immer wieder wird er vertröstet, Rechnungen, die sich in | |
diesen Monaten ansammeln, kann er erst nach Vertragsbeginn bezahlen. | |
Dennoch bereut Georgios Sollbach das X-Tutorial nicht. „Für mich überwiegt | |
die Erfahrung, selbst zu forschen“, sagt er. Kein Wunder, die X-Tutorials | |
sind eine tolle Chance. Forschung schon im Bachelor ist für die Karriere in | |
der Wissenschaft ein großes Sprungbrett. | |
Doch scheitert die gute Idee wie so oft in Berlin an der Bürokratie? „Viele | |
Studierende mussten Kündigungen früherer Arbeitsverhältnisse mit Ach und | |
Krach rückgängig machen“, erzählt eine andere Tutorin, die anonym bleiben | |
will. In einem anderen Fall steht möglicherweise die Aufenthaltsgenehmigung | |
einer Studentin in Deutschland auf dem Spiel. Die Studentin will aus Angst | |
vor negativen Konsequenzen ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Sie | |
studiert mit einem befristeten Visum in Berlin und muss eine Verlängerung | |
beantragen, um ihr Studium zu beenden. Dafür ist ein Nachweis eines | |
bestimmten Einkommens nötig. Zwei Jobs braucht sie, einen hat sie sicher. | |
Der andere ist ein X-Tutorial. Auch sie gibt an, bislang keinen Vertrag zur | |
Unterschrift erhalten zu haben. Ihre Zukunft in Berlin: unsicher. | |
Irgendwann bekommen die Studierenden, die X-Tutorials geben, ihren | |
Arbeitsvertrag. Manche einen, manche drei Monate nach dem versprochenen | |
Vertragsbeginn. Der Vertrag dauert dann auch die zugesicherten zwölf | |
Monate, auch wenn die Tutorials schon gegeben sind. Eine Studentin wird im | |
Wintersemester ihr Studium beenden – kann dann also nicht mehr als | |
studentische Hilfskraft arbeiten. „Wo ist mein Anspruch auf die Hälfte | |
meines Geldes?“, fragt sie. Etwa 1.500 Euro könnte sie – wenn die Praxis | |
wie in den letzten Semestern gelebt wird – dadurch verlieren. „Ich weiß | |
nicht, wie ich damit umgehen soll.“ | |
## Eigentlich ein Sprungbrett | |
Anton Fery und Tobias Krüger sind an diesem Donnerstag immer noch in der | |
Diskussion mit ihren Studierenden. Auch bei 30 Grad hat noch niemand | |
gemerkt, dass sie bereits mehrere Minuten überziehen. In einem normalen | |
Seminar undenkbar. Im Gespräch nach der Sitzung loben sie immer wieder die | |
Berlin University Alliance. Genau wie Georgios Sollbach und Fiona. Keine:r | |
der Gesprächspartner:innen für diesen Artikel kritisiert die Idee der | |
X-Tutorials. Studentische Forschung sogar schon im Bachelor? Für die | |
Karriere in der Wissenschaft ein großes Sprungbrett. | |
Und trotzdem schafft es die BUA seit mindestens einem Jahr nicht, diese | |
Idee richtig umzusetzen. Jeder der mindestens fünf Studierenden, die seit | |
drei Monaten auf ihre Verträge warten, hat mit diesem Einkommen gerechnet. | |
Wann sie endlich angestellt werden? Unklar. Ende Juni kann die BUA ihnen | |
gegenüber noch kein Datum nennen. Das erinnert an die Arbeitsbedingungen | |
Wissenschaftlicher Mitarbeiter des akademischen Mittelbaus. #Sie werden | |
Hanna? | |
Die Pressestelle der TU hat auf Anfrage nicht reagiert. Die Pressestellen | |
der HU und FU verweisen auf die Pressestelle der BUA. Die erklärte | |
schließlich: „Die Berlin University Alliance und auch die | |
Verbundpartnerinnen arbeiten zu jedem Zeitpunkt auf eine schnellstmögliche | |
Lösung hin.“ | |
21 Jul 2023 | |
## AUTOREN | |
Erwin Hitzler | |
Leonard Hennersdorf | |
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