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# taz.de -- Türkei gewährt Nato-Beitritt Schwedens: Nicht ohne Gegenleistung
> Die Türkei hat ihre Blockade gegen Schwedens Nato-Beitritt vorerst
> aufgegeben. Das türkische Parlament muss noch zustimmen. Auch Ungarn
> kooperiert.
Bild: Wie weit ist der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson der Türk…
Vilnius taz | Am ersten von zwei Tagen des Nato-Gipfels in der litauischen
Hauptstadt waren die meisten Augen auf Schweden gerichtet. Von Anfang an
war das skandinavische Land ein Sondergast in zwei der Arbeitstreffen am
Dienstag. Nach dem überraschenden Durchbruch in den Verhandlungen zwischen
Nato, Schweden und der Türkei am Montagabend wurde deshalb vor allem der
Auftritt des schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson mit Spannung
erwartet. „Wir haben uns sehr gut unterhalten und sind uns über eine
gemeinsame Erklärung einig“, fasste der schwedische Regierungschef vor der
Presse zusammen. Türkei wird den Nato-Beitritt Schwedens [1][doch
ratifizieren], aber nicht ohne Gegenleistungen.
In dem kurzen Satz von Kristersson konzentriert sich ein wochenlanger
diplomatischen Marathon, der sich vor dem Nato-Gipfel am Montagabend in
Vilnius auflöste. Die Entscheidung des türkischen Präsidenten erfolgte nach
intensivem Druck, insbesondere von US-Präsident Joe Biden, der Recep Tayyip
Erdoğan noch am Sonntag anrief. Denn das Ende der türkischen Blockade wurde
auch dadurch möglich, dass die USA der Türkei zusagte, ihre türkische
F-16-Kampfjets-Flotte doch zu modernisieren – seit langer Zeit eine
Forderung des türkischen Präsidenten.
[2][In Vilnius] bestritt Bidens Berater Jake Sullivan, dass Washington eine
Zusage Ankaras gegenüber Schweden als Bedingung für die F-16 gemacht hätte.
Auch in Litauen äußerte sich der US-Außenminister Antony Blinken zu der
vollständigen Nato-Norderweiterung: „Wir haben jetzt eine stärkere Allianz,
dies ist die Botschaft an Wladimir Putin.“
Ein weiterer Punkt, der den Deal mit dem türkischen Präsidenten möglich
machte: Stockholm und Ankara haben einen bilateralen „Sicherheitspakt“ mit
jährlichen Treffen in Terrorismusbekämpfung beschlossen. Seit geraumer Zeit
wirft der türkische Präsident der schwedischen Regierung vor, zu wenig
gegen Mitglieder der Arbeiterpartei Kurdistans, der PKK, zu tun.
Nach dem [3][letzten Nato-Gipfel im Juni 2022], in dem ein neues
Strategisches Konzept und die Leitlinien für die Ausrichtung des Bündnisses
in den kommenden 10 Jahren definiert wurden, lenkte Schweden ein.
Inzwischen hat es unter anderen ein neues Antiterrorgesetz verabschiedet,
das im vergangenen Juni in Kraft trat. „Wir wollen langfristig den
Terrorismus und die organisierte Kriminalität bekämpfen“, sagte Kristersson
am Dienstag. Was der Sicherheitsdeal für die Kurd*innen in Schweden
bedeutet, bleibt unklar.
„Putin wollte weniger Nato, nun hat er mehr Nato“
Noch eine Gegenleistung für Erdoğans Zustimmung ist ein Sonderbeauftragter
innerhalb der Militärallianz für den Kampf gegen Terror. Zum ersten Mal in
der Nato-Geschichte wird diese Figur eingesetzt. „Putins Krieg ist ein
strategischer Fehler gewesen, denn er hat die Einheit der Verbündeten und
ihre Folgen unterschätzt. Putin wollte weniger Nato, nun hat er mehr Nato“,
sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei einem Presseauftritt am
Dienstag. Im Zuge des Ukrainekrieges hatten Finnland und Schweden im Mai
2022 ihren Beitritt zur Nato beantragt und sich damit von ihrer
jahrzehntelangen Neutralität verabschiedet. Finnland wurde bereits Anfang
April als 31. Nato-Mitglied aufgenommen.
Auch aus Brüssel kamen am Montag Gegenleistungen für die Türkei. Im Laufe
der Verhandlungen in Vilnius hat Erdoğan das Gespräch mit
Nato-Generalsekretär und dem schwedischen Regierungschef kurz verlassen, um
sich mit dem Präsidenten des EU-Rates, Charles Michel, zu unterhalten. Vor
seinem Abflug nach Litauen hatte Erdoğan überraschend eine neue Forderung
bzw. Erpressung für die Aufnahme des 32. Nato-Mitglieds auf den Tisch
gebracht. Etwas, das selbst die proeuropäische türkische Opposition in der
jüngsten türkischen Wahlkampagne erstaunt hätte.
Erdoğan schlug die [4][Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen]
zwischen Brüssel und Ankara vor, die seit 2006 teilweise auf Eis liegen –
ein Jahr nach ihrem Beginn. Im Mai 2021 hatte dann eine deutliche Mehrheit
des Europaparlaments die Europäische Kommission aufgefordert, die
EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auszusetzen. Nun soll die Handels-
und Wirtschaftskooperation zwischen Stockholm und Ankara gestärkt werden,
und Michel sprach darüber, die Beziehungen wieder „in Schwung“ bringen zu
wollen.
„Schweden war immer damit einverstanden, die Wiederaufnahme der
Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu ermöglichen“, versuchte
Kristersson in Vilnius den Deal zu verteidigen. Bessere Visabestimmungen in
Schweden für türkische Bürger*innen seien am Montag auch beschlossen
worden. Ein bilaterales Treffen zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und
Erdoğan war für Dienstagabend geplant. „Die Türkei ist ein wichtiger
Partner Deutschlands. Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, dass der
Europäische Rat entsprechende Entscheidungen trifft, was ein Neuaufsetzen
der Zusammenarbeit mit der Türkei betrifft“, sagte Scholz in Vilnius.
Ein Datum für die Ratifizierung im türkischen Parlament steht noch nicht
fest. Neben der Türkei hat sich bisher auch Ungarn gegen den Nato-Beitritt
Schwedens quer gestellt, Einstimmigkeit unter den Nato-Staaten ist
Voraussetzung. Doch wie erwartet zog Ungarn der Türkei nach. So stellte der
ungarische Außenminister Péter Szijjártó am Dienstag in Vilnius vor den
Medien die baldige Zustimmung seines Landes in Aussicht. Das fehlende
ungarische Votum bezeichnete er als eine rein „technische Angelegenheit.“
11 Jul 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Gemma Teres Arilla
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Nato
Türkei
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