# taz.de -- Abgang von Fußballer Zlatan Ibrahimović: Zauberer der Selbstbefre… | |
> Der schwedische Fußballspieler Zlatan Ibrahimović taugt nicht zum Idol. | |
> Dennoch ist seine Ich-Bezogenheit faszinierend. Es geht ein Prometheus. | |
> Danke, Ibra. | |
Bild: Zlatan Ibrahimović hat weit mehr zu bieten als sein breites Ego | |
Als Zlatan Ibrahimović bei L.A. Galaxy unterschrieb, ließ er in der Stadt | |
Plakate anbringen, auf denen er zu sehen war und darunter stand: You’re | |
welcome, L.A. | |
Es gibt immer wieder einzelne Spieler*innen, an denen sich Widersprüche und | |
Kämpfe moderner Gesellschaften besonders deutlich zeigen. Zinédine Zidane | |
war diese Art Heroe für Frankreich, Mesut Özil für Deutschland, und Zlatan | |
Ibrahimović ist es für Schweden. Es ist nicht unbedingt falsch, | |
[1][Ibrahimovićs Geschichte als jene eines hyperindividuellen Egomanen zu | |
erzählen,] der mit Berlusconi kungelt und ein unerträglicher Machist ist. | |
Allerdings geht dabei ein für meine Begriffe zentraler Aspekt verloren. | |
Der schwedische Mythos ist der einer sozialdemokratisch geprägten | |
Mittelschichtsgesellschaft. Es ist eine Gesellschaft, die sich als | |
Gemeinschaft denkt und deren Zusammenhalt recht gut im Gesetz von Jante | |
geschildert wird. Das erste Gebot lautet: „Du sollst nicht glauben, dass du | |
etwas Besonderes bist.“ | |
Das ist nun freilich ein Gebot, gegen das [2][Zlatan Ibrahimović jederzeit | |
geradezu lustvoll verstieß]. Als er einmal mit seinem norwegischen Kollegen | |
John Carew verglichen wurde, antwortete er ungefähr: Was der mit dem Ball | |
kann, mach ich mit einer Orange. Es ist ein Selbstbewusstsein, das ihm oft | |
als Arroganz ausgelegt wird; die es ihm aber gleichzeitig auch ermöglicht | |
hat, diese außergewöhnliche und weltweit gefeierte schwedische | |
Persönlichkeit zu sein, die er ist; einer, der Fallrückzieher aus über 40 | |
Metern versenkt. | |
## Die netten Jungs vor Ibrahimović | |
Schweden hat sich lange vor Ibrahimović schon gern als weltoffen und modern | |
präsentiert, gerade im Fußball. Seine Vorgänger im Sturm, Martin Dahlin und | |
später dann Henrik Larsson, standen beispielhaft für das Versprechen der | |
Gesellschaft auf einen Aufstieg. Dahlin und Larsson waren (oder mimten) die | |
netten Jungs, die sich den schwedischen Idealen unterwarfen, um so mehr, | |
als dass sie anders markiert wurden. | |
Für Zlatan Ibrahimović wäre dieser Aufstieg [3][aber nur in Form des | |
Klassenverrats] zu haben gewesen. Zu Beginn seiner Karriere hieß es oft, er | |
wäre so erfolgreich, obwohl er in Rosengard, einem Arbeiterbezirk in Malmö, | |
unter prekären Bedingungen aufgewachsen ist. Seine ersten Trainer und | |
Kollegen schilderten ihn auch als zurückhaltend, ja schüchtern und | |
angepasst. Recht bald allerdings begann Zlatan Ibrahimović, diese Erzählung | |
umzukehren: Er sagte, dass er der wurde, der er ist, gerade weil er dort | |
aufwuchs. Mit diesem take stellt er die gesamte Tektonik dieser | |
Klassengesellschaft in Frage. | |
Zlatan Ibrahimović stellte auch eine Frage an den Fußball, nämlich: Was ist | |
Erfolg? Sein wichtigstes Turnier war rückblickend eines, da war er gar | |
nicht dabei: 2018 bei der WM in Russland. Entscheidender Spieler damals: | |
Jimmy Durmaz. Der hatte diesen Freistoß verschuldet, den Toni Kroos in der | |
95. Minute in den Winkel setzte, und damit erstens das Weiterkommen der | |
schwedischen Mannschaft gefährdete, was, zweitens, eine Welle rassistischen | |
Hasses gegen Jimmy Durmaz nach sich zog. | |
Daraufhin solidarisierte sich öffentlich die schwedische Mannschaft in | |
einem rührenden Video, in dem Durmaz angesichts all der Unterstützung in | |
Tränen ausbrach. Die schwedische Nationalmannschaft kam bis ins | |
Viertelfinale, davon allerdings gibt es (im Gegensatz zu Ibrahimovićs | |
Toren) kaum Tiktoks, weil: Beeindruckend war es zwar, aber nicht sehr | |
ansehnlich. Es war der Erfolg eines biederen Kollektivs, dem der solide | |
Zusammenhalt über den Zauber der Selbstbefreiung ging. | |
Diese Art von Zusammenhalt hat Zlatan Ibrahimović immer abgelehnt, weil sie | |
ihn auf die Rolle des dankbaren Bittstellers reduziert hätte. Sicher taugt | |
Ibrahimović nicht zum Idol; jede gesellschaftliche Frage, die sich an ihm | |
bricht, beantwortet er ohne zu Zögern mit: „Ich“. Faszinierend daran ist, | |
dass es ihn unvereinnahmbar macht; er steht für sich und für alles | |
gleichermaßen. Es geht ein Prometheus. Danke, Ibra. | |
14 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Frédéric Valin | |
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