# taz.de -- Gentrifizierung in Berlin: Die Nachbarn spielen nicht mit | |
> Die Tomsky Bar in Prenzlauer Berg, eine der letzten Kneipen aus der | |
> Nachwendezeit, steht vor dem Aus. Nun startet Wirt Martin Kaltenmaier | |
> eine Petition. | |
Bild: Wirt Martin Kaltenmaier in seiner Kneipe, dem Tomsky | |
Berlin taz | Wer einen Abend in der [1][Tomsky Bar], eine der letzten | |
Kiezkneipen in Prenzlauer Berg, verbringt, der hat die seltene Chance, | |
einen Blick in diesen Kiez zu werfen, wie er vor 20 Jahren war. Hier | |
plaudern und rauchen Gott und die Welt miteinander, und wenn wider Erwarten | |
doch mal die Themen ausgehen, steht weiter hinten ein Billardtisch zur | |
allgemeinen Erheiterung. Der Tresen ist lang, das Bier ist immer noch | |
bezahlbar. Eigentlich alles so, wie es sein sollte. | |
Doch mit diesem Idyll könnte im Sommer Schluss sein. | |
An einem schönen Frühlingsvormittag im Mai sitzt Tomsky-Betreiber Martin | |
Kaltenmaier wegen der frühen Stunde noch ganz allein in seiner Bar, die es | |
seit 1992 gibt und die er seit 1997 führt. „Wir haben Corona tapfer | |
überstanden, sind durch alle Krisen durch“, erzählt er. Aber nun laufe der | |
schriftliche Mietvertrag aus. Es gebe genervte Nachbar*innen und eine | |
überforderte Eigentümerin, die den Laden vor drei Jahren von ihrem | |
verstorbenen Mann übernommen habe und nun ihre Ruhe wolle. Sie möchte | |
verkaufen. Und die Hausverwaltung sei gelinde gesagt ebenfalls nicht an | |
einer Schlichtung interessiert. Deshalb hat Kaltenmaier nun eine | |
[2][Petition zum Erhalt seiner Kneipe gestartet.] | |
Das Haus in der Winsstraße 61 ist ein typisches, ein schönes Berliner Haus | |
aus der Gründerzeit, in dem es lange bezahlbare Mietwohnungen gab, in dem | |
auch Studierende und brotlose Künstler*innen lebten. Heute besteht es | |
aus Eigentumswohnungen. Bis kurz vor Corona, so Martin Kaltenmaier, machte | |
das noch wenig Probleme. Doch nach der Pandemie seien plötzlich | |
Nachbar*innen aufgetaucht, die ihm nicht etwa zum Überleben gratuliert | |
hätten. Sie hätten sich im Gegenteil über die Rückkehr des alten Lärmpegels | |
beschwert. „Plötzlich riefen manche regelmäßig um 22.30 Uhr die Polizei, | |
und wenn man an einem tropischen Berliner Sommerabend um diese Uhrzeit die | |
Gäste reinschicken möchte, dann gehen halt die meisten weg.“ | |
Das ist noch nicht alles. Es gab auch Nachbar*innen, die sich plötzlich | |
über die Abluftanlage beschwerten. „Auch, wenn das nach einem | |
Prenzlauer-Berg-Klischee klingt: Es gab sogar welche, die meinten, ihre | |
Kinder würden durch den Geruch aus der Kneipe drogenabhängig“, so Martin | |
Kaltenmaier. | |
Die Nachbar*innen verteidigen sich im Gespräch mit der taz: Die | |
angebliche Aussage über eine drohende Drogensucht durch die Lüftung habe so | |
nie gegeben. Man habe sogar die Petition unterschrieben und bei den | |
Verhandlungen über die Abluftanlage dem Wirt angeboten, den Einbau einer | |
neuen Technik zu finanzieren. Dazu sagt Kaltenmaier, das Angebot sei | |
lediglich mündlich erfolgt. Eine von den Nachbar*innen beauftragte | |
Fachfirma habe den Vorschlag gemacht, übers Dach zu entlüften. Das sei von | |
Nachbar*innen wie Hausverwaltung aber abgelehnt worden, weil es die | |
Fassade verschandeln würde, worunter dann die Wertsteigerung der Immobilie | |
leide. | |
Die Winsstraße ist eine Straße in Prenzlauer Berg, die bis vor etwa zehn | |
Jahren nicht ganz so schick war wie andere umliegende Straßen, etwa die um | |
den Kollwitzplatz oder am Volkspark Friedrichshain. Aber in den letzten | |
Jahren ist die Stimmung zunehmend gekippt. Dort, wo es einmal eine ziemlich | |
improvisierte Krimibuchhandlung gab, residiert heute ein Café mit | |
handgefertigten Zitronenthymian-Törtchen. Dort, wo es noch lange eine | |
kleine Druckerei gab, ist eine exquisite Theaterbuchhandlung eingezogen. | |
## Die Clubs sind alle weg | |
Bis 2010 befanden sich ums Tomsky herum zahlreiche Ausgehmöglichkeiten und | |
Clubs wie das Knaack, Magnet und Coffy. Sie gibt es nicht mehr oder sind | |
weitergezogen, das Blow-Up-Kino verschwand ebenfalls 2010. Schräg gegenüber | |
vom Tomsky wurde stattdessen ein Edeka überbaut: Letzten Herbst begann das | |
Direktmarketing über die Internetseite des Investors, der Richtwert für die | |
Miete einer Dreiraumwohnung betrug 23,86 Euro pro Quadratmeter netto kalt. | |
„Die Leute hier sind intoleranter geworden. Es wird langsam anstrengend, | |
hier zu arbeiten“, findet der Tomsky-Wirt. | |
Und trotzdem gibt es auch noch Mieter*innen aus dem Mittelstand, die | |
sich an ihren alten Mietverträgen festkrallen. Martin Kaltenmaier weiß das, | |
er hat noch Gastpublikum, das ihm davon erzählt. „Ich bin der festen | |
Überzeugung, dass dieser Kiez meine Kneipe braucht“, sagt Kaltenmaier. | |
Während Corona hat er [3][eine Crowdfunding-Aktion gestartet, die das | |
Tomsky rettete]. Da habe er gemerkt, wie wichtig der Laden in dieser Gegend | |
sei. „Die Tomsky Bar hat eine soziale Funktion.“ | |
Insgesamt gehe es ihm eher gar nicht so sehr um ihn selbst, betont er. „Ich | |
gehe auf die 60 zu und kann das nicht ewig machen.“ Aber er habe | |
Angestellte, die den Laden übernehmen wollen. „Ich fände es einfach schade, | |
wenn hier demnächst ein Starbucks oder ein weiteres schniekes Café | |
einzieht“, sagt Martin Kaltenmaier. „Diese Kneipe ist einer der letzten | |
Orte, wo Promis mit Hartz-IV-Empfängern trinken.“ | |
17 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Freiberufler-in-der-Coronakrise/!5700574 | |
[2] https://tomsky-bar.de/ | |
[3] /Freiberufler-in-der-Coronakrise/!5682402 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
## TAGS | |
Prenzlauer Berg | |
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
Kneipensterben | |
Freiberufler | |
taz.gazete | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Berlins Selbstständige in der Krise: Die Stimmung ist wolkig bis trübe | |
Viele Solo-Selbständige trifft die Coronakrise besonders hart. Wie geht's | |
ihnen im Novemberlockdown? Sechs Protokolle. | |
Freiberufler in der Coronakrise: Tapfere Solokämpfer | |
Im April und auch im Mai hatten wir Soloselbstständige befragt, wie sie die | |
Coronakrise überstehen. Wie geht es ihnen jetzt im Juli? Sechs Protokolle. | |
Freiberufler in der Coronakrise: Die Solokämpfer | |
Anfang April hatten wir Soloselbstständige befragt, wie sie die | |
Corona-Krise überstehen. Wie geht es ihnen sechs Wochen später? | |
Freiberufler und Coronakrise: Berlins Prekariat ist krisenerprobt | |
Gut gelaunt in den Abgrund: Freiberufler sind besonders von der Pandemie | |
betroffen – und bleiben dank schneller Hilfe dennoch optimistisch. |