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# taz.de -- Kinoempfehlungen für Berlin: Gepflegte Rituale und der Untergang
> Der Essayfilm „Meer werden“ verkehrt die Verhältniss in der Klimakrise.
> Und eine Retrospektive im Babylon Mitte würdigt Luis Buñuel.
Bild: „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“, FR, 1972, R: Luis Buñuel
Die einen haben zu viel davon, die anderen zu wenig: Im
schleswig-holsteinischen Landkreis Dithmarschen muss man sich vor dem
Wasser der Nordsee schützen, während im Sertão, den savannen- und
halbwüstenartigen Landstrichen im Nordosten Brasiliens, die Stauseen
austrocknen. Der Klimawandel verschärft die Situation zusätzlich.
Der Essayfilm „Meer werden“ (2020) von Philipp Hartmann und Danilo Carvalho
setzt die beiden Gegenden in eine gedankliche Beziehung – nicht vornehmlich
faktengestützt, sondern eher assoziativ in einer Mischung aus kleinen
Spielszenen mit Laiendarsteller:innen und Alltagsdokumentation.
Wenn in Deutschland fiktive Fernsehnachrichten ankündigen, man werde aus
Kostengründen den Hochwasserschutz in Dithmarschen aufgeben, den Landkreis
fluten und die Bevölkerung evakuieren, guckt man wenig später in Brasilien
auf einen vollkommen ausgetrockneten Stausee, für den einstmals tatsächlich
eine Ortschaft geflutet wurde. Und junge Frauen singen Lieder über den
Traum von Regen und fruchtbaren Obstplantagen.
Gibt es am deutschen Deich eine Inszenierung von Theodor Storms
Sturmflut-Novelle „Der Schimmelreiter“, hat eine brasilianische Adaption
den dortigen Verhältnissen gemäß den Kampf gegen die Dürre zum Thema.
Regisseur Philipp Hartmann ist mit seinem Film momentan auf Kinotournee
durch Deutschland und gastiert am kommenden Sonnabend auch in Berlin (6.
5., 18 Uhr, [1][Babylon Mitte]).
Am selben Ort ist im diesem Monat eine Retrospektive mit Filmen des
spanischen Surrealisten Luis Buñuel zu sehen. Gezeigt werden allerdings
lediglich die bekannteren Werke seines Schaffens, vornehmlich die Filme der
1960er bis 1980er Jahre, mit denen Buñuel nach Jahren eher „kommerzieller“
Kinotätigkeit in Mexiko wieder an die surrealistischen Klassiker seiner
Frühphase in den späten 20er-Jahren anknüpfte.
So demontiert der Regisseur in „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ (1972)
das vom Bürgertum besonders gepflegtes Ritual des abendlichen Dinners, zu
dem es hier niemals kommt, weil die Protagonist:innen immer wieder
durch allerlei haarsträubende Ereignisse davon abgehalten werden.
In den locker miteinander verbundenen Episoden von „Das Gespenst der
Freiheit“ (1974) ist das Dinner dann in sein Gegenteil verkehrt: Eine
Abendgesellschaft sitzt bei Tisch auf Klosetts herum und unterhält sich
angeregt über die Produktion von Tonnen menschlicher Exkremente. Später
dann wird verschämt nach dem Speisezimmer gefragt, das sich schließlich als
kloartige Kammer am hintersten Ende des Flurs herausstellt.
Buñuels letzter Film, die Literaturverfilmung „Dieses obskure Objekt der
Begierde“ (1977) greift hingegen noch einmal das bei den Surrealisten so
beliebte Thema der Amour fou auf und entwirft – mit zwei Schauspielerinnen
(Carole Bouquet und Angela Molina) abwechselnd in derselben weiblichen
Hauptrolle – ein absurdes erotisches Spiel zwischen Verlockung und
Verweigerung, das einen alternden Geschäftsmann (Fernando Rey) zusehends
enerviert ([2][Babylon MItte], „Dieses obskure Objekt der Begierde“: 5. 5.,
20 Uhr, 10.5., 20 Uhr; „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“: 6. 5., 20
Uhr, 9. 5. 20 Uhr, „Das Gespenst der Freiheit“: 7. 5., 14 Uhr, 8. 5., 18
Uhr).
Ein Klassiker des britischen Horrorfilms steht in der „Creepy Crypt“-Reihe
im Neuköllner Rollberg-Kino auf dem Programm: In „The Wicker Man“ (R: Robin
Hardy) stößt ein Polizist auf einer schottischen Insel auf einen
Naturreligionskult unter Führung von Christopher Lee (als Lord Summerisle),
der möglicherweise gerade ein Menschenopfer plant: Da brennt dann nicht
bloß die titelgebende Weidefigur. Stimmungsvoll schaurig (6. 5., 22.30 Uhr,
[3][Rollberg-Kino]).
3 May 2023
## LINKS
[1] https://babylonberlin.eu/film/5806-virar-mar-meer-werden-becoming-sea
[2] https://babylonberlin.eu/programm/festivals/luis-bu%C3%B1uel-revisited
[3] https://www.yorck.de/filme/the-wicker-man?sort=Popularity&date=2023-05-…
## AUTOREN
Lars Penning
## TAGS
Filmgeschichte
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