| # taz.de -- Sommer im Ukrainekrieg: Lauter als die Sirenen | |
| > Die ukrainische Hauptstadt ist nahe und der Krieg bestimmt die Gespräche. | |
| > Wie ein Sommerausflug an den Fluss Stuhna dennoch etwas Leichtigkeit | |
| > bringt. | |
| Bild: Der Dnipro in Saporischschja | |
| Ufer der Stuhna taz | Am Ende des Tages werden es nur noch die Ameisen | |
| sein, die uns Schmerzen zufügen. „Sie beißen mich in den Arsch“, sagt | |
| Khrystyna, als der Himmel vom Hellblau ins Hellgraue gewechselt hat. Sie | |
| sagt es auf Ukrainisch, Russisch und Englisch, damit es auch jeder | |
| versteht. Wir sind ja nur sechs hier am Strand, sechs Freund:innen. | |
| Wir waren mal sieben, aber der Angler hat sich verzogen, nachdem wir ihn | |
| erst freundlich gefragt hatten, ob wir hier sein dürften, und dann laut | |
| schreiend ins Wasser rannten. Die Sirenen haben wir fast nicht gehört, so | |
| laut waren wir. Ihr Heulen kam von der anderen Seite des Flusses, von | |
| hinter den Bäumen. Die Sonne schien grell von dort zu uns hinüber. Die | |
| Sirene. Das Ende eines Luftalarms. [1][Eigentlich ist Krieg.] | |
| Mit glühenden Zigaretten sitzen wir 45 Kilometer südlich von Kyjiw an einem | |
| Strand. Oder sind es 50 Kilometer? Es könnten 1.000 an diesem Tag sein. Es | |
| ist Krieg, aber wir sind hier draußen. Die schmale Stuhna schiebt ihr | |
| trübes Wasser an uns vorbei in Richtung Dnipro. In ein paar Windungen nur | |
| hat sie es geschafft. Dann saugt der Riesenfluss alles auf, was sie zu | |
| bieten hat, und reißt es nach Südosten mit, weiter nach Cherson und dann | |
| ins Schwarze Meer. | |
| [2][Cherson. Wir waren doch eben noch dort.] Lizza, Slava und Khrystyna, | |
| weil sie Dokumentarfilme drehen über diesen Krieg. Ich, weil ich darüber | |
| schreibe. Wir haben überschwemmte Straßen und Häuser gesehen. Wo das Wasser | |
| weg ist, ist der Schlamm geblieben und saugt sich an jedem Schuh fest. „Wie | |
| in einem Computerspiel sieht es hier aus“, hat Lizza in Cherson gesagt, | |
| immer wieder. Dass sie doch noch etwas fassungslos machen kann, nach neun | |
| Jahren Filmen im Krieg in der Ostukraine. | |
| ## Der Checkpoint ist am Wochenende nicht besetzt | |
| Auch Khrystyna wollte am Ende nur noch weg aus Cherson. Sie war sogar in | |
| Bachmut, dieser von Russlands Artillerie zu einer Mondlandschaft zerbombten | |
| Stadt. Das Wasser sei fast schon wieder abgeflossen aus Cherson, so viel | |
| Nachrichten lesen wir dann doch noch am Strand. Wir lesen, dass der Dnipro | |
| Öl und unbekanntes Gift nach Süden trägt. Und sehen ein Video, auf dem das | |
| Schwarze Meer vor Odessa grün ist; ein helles Giftgrün, nicht das | |
| freundliche Schlamm-und-Algen-Grün der Stuhna hier vor uns. Wir sitzen | |
| stromaufwärts und sind dankbar dafür. | |
| Sasha legt Holz ins Feuer. „Das muss brennen, bis da nur noch glühende | |
| Asche ist“, sagt er. „Nur dann wird das Schaschlik gut.“ Er trägt sein | |
| langes Haar offen und Lizzas geflochtenen Hut mit dem weißen Band. Er | |
| lächelt. Was für eine Angst er hatte, vor der Fahrt mit dem Bus hierher. | |
| Angst vor dem Checkpoint zwischen Kyjiw und der Kleinstadt unweit unseres | |
| Strandes. Sasha ist 24 Jahre alt, noch anderthalb Jahre, bis ihn die Armee | |
| einziehen könnte. „Sie wollen nur die ab 26 als Soldaten“, sagt er. | |
| Aber er ist noch dort gemeldet, wo er geboren wurde, in einer Stadt im | |
| Osten und nicht in der Hauptstadt, wo er eigentlich wohnt. Er will nicht | |
| auffallen bei einer Militärkontrolle. Er fürchtet, sie könnten ihn doch | |
| schon holen, er fürchtet den Krieg. Wie oft hat Lizza ihm am Telefon | |
| gesagt, dass dieser Checkpoint am Wochenende nicht besetzt ist? Egal. Sasha | |
| liegt hier und starrt in die Flammen. „Aua.“ Khrystyna schlägt mit einer | |
| Hand auf ihr rechtes Bein. Die Ameisen. Ein guter Schmerz, er bleibt nicht | |
| lang. | |
| 23 Jun 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Daniel Schulz | |
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