# taz.de -- Krönung von Charles III: Im Reich des magischen Denkens | |
> Zwischen gesunkener politischer Bedeutung und gestiegener öffentlicher | |
> Erwartung: Wird der neue britische König Charles III diesen Spagat | |
> hinkriegen? | |
Bild: Auf Charles wartet eine schwierige Aufgabe, aber er hatte sehr viel Zeit … | |
Auf manche politischen Fragen gibt es keine allgemeingültige Antwort. Wozu | |
gibt es Könige? Was dürfen Politiker? Die Krönung des britischen Königs | |
[1][Charles III.] an diesem Samstag wird Befürworter und Kritiker der | |
Monarchie in Großbritannien gleichermaßen auf den Plan rufen, und beide | |
werden sich in ihren Meinungen durch diese Zeremonie eher bestätigt fühlen | |
als sie zu hinterfragen. | |
Veränderlicher als die Meinungen zur britischen Monarchie ist diese | |
Monarchie selbst. Als Queen Elizabeth II. 1953 gekrönt wurde, lebte | |
Großbritannien noch im Schatten des Zweiten Weltkriegs. Es war zugleich | |
ausgelaugtes Kriegsopfer und mächtige Siegernation. Das Empire war am | |
Zerbröseln, es herrschte Rationierung, aber der neue Wohlfahrtsstaat | |
modernisierte das Land. Der zurück ins Amt gewählte Kriegspremier Winston | |
Churchill war kraft- und ideenlos, aber die 27-jährige Königin, die ihr | |
Leben noch vor sich hatte, verkörperte Frische und Aufbruchstimmung. „The | |
sweetest Queen the world’s ever seen“, lobte der Musikhit jenes Sommers | |
1953, als ein junges England in eine neue Welt eintreten wollte. | |
Im Jahr 2023 ist der neue König nicht 27 Jahre alt, sondern 74, er hat | |
seine wichtigsten politischen und persönlichen Prägungen längst hinter sich | |
und übt sein Amt mit der ruhigen Hand einer langen Lebenserfahrung aus. | |
Aber er steht nicht für den Aufbruch in eine neue Ära. Großbritanniens | |
erfrischender Hang zu politischer Respektlosigkeit untergräbt jeden | |
Populismus, aber erschwert auch seriöse Reformpolitik und befördert | |
Selbstzweifel und Polarisierung. Mit seiner Offenheit für nichteuropäische | |
Zuwanderer und ihre Nachfahren selbst in höchsten Ämtern von Politik und | |
Wirtschaft hat dieses Land mehr als jedes andere in Europa die | |
postkoloniale Globalisierung verinnerlicht, aber die selbstgefällige | |
Beschwörung des Niedergangs gehört in intellektuellen Kreisen wieder einmal | |
zum guten Ton. Das überträgt sich auch auf die Wahrnehmung des Königs. | |
Die politische [2][Bedeutung der Monarchie] ist in den vergangenen 70 | |
Jahren massiv gesunken. Der neue König ist keine Leitfigur, und vom Palast | |
geht keine politische Orientierung aus. Das ist kein Makel. Der oberste | |
Repräsentant des Staates soll repräsentieren, aber was er repräsentiert, | |
entscheidet nicht er selbst. Dafür gibt es Parlamente und gewählte | |
Regierungen. Zugleich steht der König unter einem gesellschaftlichen | |
Erwartungsdruck wie nie zuvor. Jede Regung und Äußerung wird bewertet und | |
kommentiert. Jederzeit und überall muss das Richtige gesagt und getan | |
werden. | |
Aus dieser Erwartungshaltung entspringen politische Forderungen: Der König | |
soll sich für die Sklaverei entschuldigen, er soll sich zu Brexit oder | |
Klimawandel oder Rassismus positionieren und seine Meinung sagen – aber | |
eigentlich natürlich nicht seine eigene Meinung, sondern die an ihn | |
herangetragene Wunschmeinung, die er dadurch, dass sie aus seinem Mund | |
kommt, gewissermaßen adelt und unangreifbar macht. Es ist ein magisches | |
Denken aus den Zeiten des Absolutismus, das eine Frage für geklärt hält, | |
wenn der König sie beantwortet, und ein politisches Problem als gelöst | |
ansieht, wenn der König sich ihm widmet. | |
## Die Memoiren der Queen wären interessanter | |
Diese gesellschaftliche Erwartungshaltung steht eigentlich im kompletten | |
logischen Widerspruch zum politischen Bedeutungsverlust. Den einzigen Weg, | |
beides zu vereinbaren, haben ausgerechnet [3][Harry und Meghan] gefunden, | |
die freiwilligen Exilroyals: Sie inszenieren sich permanent in der | |
Öffentlichkeit, reden dabei aber ausschließlich über sich selbst. Das | |
Ergebnis ist eine Absurdität: öffentliche Figuren, deren einziges Thema ihr | |
Privatleben ist. Zum Glück langweilt das schnell. Die Welt wäre ein | |
interessanterer Ort, wenn nicht Prinz Harry, sondern die verstorbene Queen | |
ihre Memoiren geschrieben hätte. | |
Charles III. hat viel Zeit gehabt, um andere Themen als sich selbst zu | |
entwickeln, und er hat sie genutzt. Sein Umgang mit Ökologie und mit | |
Geschichtspolitik ist beispielhaft und hat früh Maßstäbe gesetzt. Ob ihm | |
als König auf Dauer der Spagat gelingt, zugleich nichts sagen zu dürfen und | |
alles sagen zu müssen, hängt nun davon ab, welcher Raum ihm gelassen wird. | |
1953 markierte die Krönung von Elizabeth II. den Eintritt der britischen | |
Monarchie ins Fernsehzeitalter und ihre mediale Öffnung, die schließlich | |
außer Kontrolle geriet, wie das tragische Schicksal von Prinzessin Diana | |
offenbarte. Die Krönung 2023 findet in einer Zeit statt, in der das | |
Fernsehzeitalter zu Ende geht und die digitale Öffentlichkeit zunehmend | |
zerstörerisch wirkt. Der König wird damit umgehen müssen. Wie er das tut, | |
könnte eine neue Form von zeitgemäßer gesellschaftlicher Orientierung | |
bieten. | |
6 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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