# taz.de -- Design von Zügen: „Wir sprechen nicht von Klassen“ | |
> Christiane Bausback und Andreas Bergsträßer designen Züge für die | |
> Deutsche Bahn. Für sie sind die Zeiten vorbei, in denen es nur um | |
> Rentabilität ging. | |
Bild: Entwurf einer Business-Zone mit neuen Sitzanordnungen | |
wochentaz: Frau Bausback, Herr Bergsträßer, Sie haben schon viele Züge der | |
Deutschen Bahn mitentworfen. Was macht eine gute Inneneinrichtung aus? | |
Christiane Bausback: Wir verstehen Design als Werkzeug, um Probleme zu | |
lösen, nicht als Verschönerungsmaßnahme. Ein gutes Design muss durchdacht | |
sein, man muss sich darin wohl fühlen, es muss die Marke widerspiegeln, und | |
zwar über alle Berührungspunkte von der Buchung bis zum Zug. | |
Andreas Bergsträßer: Ein gutes Design zeichnet sich hier vor allem durch | |
seine Langlebigkeit aus, da die Züge oft 30 Jahre und mehr fahren. Also | |
muss es eher visionär sein, anstatt temporäre Trends zu beachten. Das ist | |
immer dann der Fall, wenn es möglichst neutral gestaltet ist und nicht | |
geschmäcklerisch. Sonst denkt der eine: Oh, das ist ja toll! Und der | |
andere: Das geht gar nicht. | |
Gibt es unterschiedliche Kriterien für die Inneneinrichtung einer | |
Regionalbahn und die eines Hochgeschwindigkeitszugs? | |
Bausback: Ja. Die Verweildauer in einem Hochgeschwindigkeitszug ist in der | |
Regel sehr viel höher als in einem Regionalzug. Deshalb muss die | |
Ausstattung, etwa die Sitze, darauf ausgerichtet sein. Hinzu kommt, dass | |
ein Regio einen Teil des Landes repräsentiert, was sich durchaus auch im | |
Interior-Design widerspiegeln kann, und ein Hochgeschwindigkeitszug das | |
gesamte Land. Und dann ist da noch das Exterior-Design: Wenn eine S-Bahn | |
wie ein sehr schneller Zug aussieht, stimmt etwas nicht. | |
Wenig Leder, dafür mehr Holz, Wollanteil und Gemütlichkeit: Was halten Sie | |
vom geplanten ICE-Innendesign, das vor einigen Monaten vorgestellt wurde? | |
Bergsträßer: Meiner Auffassung nach werden dort viele Schwachstellen des | |
aktuellen ICE 4 behoben. Es gibt mehr Privatsphäre und Wohnlichkeit, und | |
die Sitzposition ist auch verbessert worden. Vieles im Restaurantbereich | |
basiert auf unseren gemeinsamen Entwicklungen für die Deutsche Bahn der | |
letzten Jahre. | |
Das Design erinnert sehr an Mid-Century. Was ist daran neu? | |
Bergsträßer: Auch ein Design, das sich an der Vergangenheit orientiert, | |
kann langlebig sein. Entscheidend ist, ob es gelingt, es in die Zukunft zu | |
übertragen. | |
Ist viel Holz die Zukunft? Wäre es nicht ökologisch sinnvoller, etwa | |
Plastik wiederzuverwerten? | |
Bergsträßer: Nachhaltigkeit hat viele Facetten. Auch Langlebigkeit und die | |
Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen gehören dazu. Holz kann als warmes | |
Material helfen, eine nüchterne und funktionale Reiseumgebung wohnlicher zu | |
machen. | |
Apropos Wohnlichkeit: Laut der Deutschen Bahn soll man sich in ihren Zügen | |
künftig wie im eigenen Wohnzimmer fühlen. Heißt das, wir dürfen dann alle | |
die Schuhe ausziehen und unseren Reiseproviant ausbreiten? | |
Bausback: Es geht ums Wohlfühlen, wie in der Lobby eines Hotels. Dort ziehe | |
ich ja auch nicht unbedingt gleich die Schuhe aus, aber ich kann mich | |
fallen lassen und genießen. | |
Bergsträßer: Wenn ein Zug Wohnlichkeit vermittelt, kann er gegen den | |
Individualverkehr punkten. | |
In der Pressemitteilung zum neuen ICE-Innendesign heißt es: „Der Zug muss | |
zum Menschen passen und nicht umgekehrt.“ Das erlebe ich oft anders. Da ist | |
die Bestuhlung zu eng und für den Koffer ist wenig Platz. Wie passt das | |
zusammen? | |
Bergsträßer: Insofern, als die aktuellen Züge Ausdruck der Vergangenheit | |
sind, die Pressemitteilung sich aber auf die Zukunft bezieht. | |
Bausback: Vor 100 Jahren war das Bahnfahren noch ein Wahnsinnsereignis, das | |
sich nicht jeder leisten konnte. Danach kam eine Welt, in der alles | |
plötzlich funktional sein musste, neutral, kapazitätsgetrieben. Doch jetzt | |
besinnen wir uns zurück: Wie können wir das Gute aus der Vergangenheit in | |
die Zukunft übertragen? Aber bitte nicht bloß für die wohlhabenden 5 | |
Prozent, sondern für alle Menschen. | |
Dennoch wird auch bei Ihren Designs recht deutlich, dass die Menschen mit | |
viel Geld in Zukunft sehr bequem reisen werden – und die mit weniger nicht | |
so. In der 1. Klasse ein schicker Lounge-Bereich, [1][in der 2. Klasse | |
Stuhl an Stuhl]. Wo bleibt da die soziale Gerechtigkeit? | |
Bausback: Ich würde nicht unbedingt von Klassen sprechen, sondern von | |
unterschiedlichen Zonen. | |
Bergsträßer: Jeder Passagier bringt unterschiedliche Bedürfnisse mit, die | |
sich besonders während langer Strecken auch ändern können. Es ist also | |
sinnvoll, ihm eine Auswahl verschiedener Zonen anzubieten: zum Arbeiten, | |
zum Entspannen, zum Unterhalten, zum Telefonieren. Man könnte es künftig | |
sogar so machen, dass man für seinen Platz nur so lange zahlt, wie man ihn | |
benötigt. Die kleine Kabine für die halbstündige Telefonkonferenz, danach | |
einen Drink an der Bar, später ein einfacher Sitzplatz … | |
Wird die Idee mit den Zonen bereits irgendwo umgesetzt? | |
Bergsträßer: Vor rund 10 Jahren haben wir für Hitachi ein modulares | |
Zugkonzept entwickelt, wo es anstelle von Klassen verschiedene Zonen zum | |
Arbeiten, Socializen und Relaxen gab. Und kürzlich haben wir mit Siemens | |
und Grammer verschiedene Ansätze dazu entwickelt. | |
Wie war das früher, worauf wurde da bei der Inneneinrichtung eines Zuges | |
Wert gelegt? | |
Bausback: Auch in den 90ern hat man schon von Reiselandschaften gesprochen | |
– es ging also nicht mehr um die Gestaltung einzelner Waggons, sondern eher | |
um den Zug als Ganzes. Aber man hatte nicht so viele Möglichkeiten wie | |
heute. | |
Bergsträßer: Da musste man zum Beispiel mit ein, zwei Neon-Lichtbändern | |
auskommen und konnte nur durch die clevere Platzierung ein gewisses | |
Ambiente schaffen. Heute kann man das Licht genau dort platzieren, wo es | |
gebraucht wird, und die Intensität und Farbstimmung je nach Tages- und | |
Jahreszeit unterschiedlich programmieren. | |
Ein spezielles Lichtdesign, Touchpads, spezielle Arbeitsbereiche – wenn | |
heute so vieles möglich ist: Wieso sind wir beim Thema | |
[2][Barrierefreiheit] eigentlich immer noch so weit vom Idealzustand | |
entfernt? | |
Bergsträßer: Die größte Herausforderung ist ja, dass die Menschen | |
barrierefrei in den Zug kommen. Es muss also erst mal gewährleistet sein, | |
dass wirklich jeder Bahnhof einen funktionsfähigen Lift bereithält und eine | |
Rampe, damit der Rollstuhlfahrer bei Höhenunterschieden zwischen Gleis und | |
Eingang in den Zug gelangen kann. | |
Und welche Verbesserungsmöglichkeiten sehen Sie im Zug für Menschen, die | |
auf einen Rollstuhl angewiesen sind? | |
Bausback: Leider ist der Bereich, wo genügend Platz für Rollstuhlfahrer | |
ist, oft nicht der schönste Ort. Im Großraum befindet sich der Platz meist | |
direkt neben dem Behinderten-WC, oder der Blick geht gar in Richtung einer | |
Wand. | |
Bergsträßer: Das ist bedauerlicherweise letztlich eine Kostenfrage. Würde | |
man den Bereich, in dem sich Menschen mit Behinderung frei bewegen können, | |
ausbauen, könnte man weniger reguläre Sitzplätze einbauen. Das würde | |
wiederum bedeuten, dass insgesamt deutlich weniger Menschen mit dem Zug | |
befördert werden können. | |
Dabei lese ich sowohl bei der Deutschen Bahn als auch bei Ihnen, dass der | |
Mensch und seine Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen sollen. Wie setzen Sie | |
das um? | |
Bausback: Wir befragen ganz unterschiedliche Personengruppen wie | |
Business-Reisende, Senioren, Eltern und wollen von ihnen erfahren, was sie | |
stört, was ihnen gefällt. Und daraus generieren wir dann eine Erlebniswelt. | |
Denn ein Erlebnis ist das, was ich mitnehme. Daran erinnere ich mich. | |
Und welche Themen sind den Passagier:innen wichtig? | |
Bausback: Nachhaltigkeit, aber auch Vertrauen. Ich will, dass mein Gepäck | |
sicher ankommt und – seit Corona – dass ich mich während der Zugfahrt nicht | |
anstecke. Außerdem Flexibilität: Am Wochenende reise ich mit den Kindern, | |
da brauche ich mehr Platz. Unter der Woche möchte ich lieber meine Ruhe | |
haben und arbeiten. Und Connectivity. Wir haben gerade ein smartes | |
Sitzsystem entwickelt, bei dem ich per App einstellen und für mich | |
speichern kann, wie ich gerne sitze. | |
Gibt es eigentlich nationale Unterschiede zwischen den Bedürfnissen der | |
Fahrgäste? | |
Bergsträßer: Jede Kultur hat ihre speziellen Bedürfnisse. Die Chinesen | |
lieben Warmwasserspender in jedem Wagen, mit denen sie sich eine Suppe | |
zubereiten können, den Deutschen ist Platzreservierung, Service und | |
Pünktlichkeit wichtig. Spanier fahren lieber vorwärts, weshalb alle Sitze | |
im Hochgeschwindigkeitszug AVE S103 in Fahrtrichtung drehbar sind. | |
Und mit welchem Zug würden Sie gerne einmal verreisen? | |
Bausback: Super finde ich den [3][Glacier Express in der Schweiz]. Der hat | |
im oberen Bereich Panoramafenster, sodass man auf die Schweizer Berge sehen | |
kann. Und jetzt, ganz neu, kommt der italienische Orient-Express raus. Den | |
würde ich wahnsinnig gerne mal fahren. | |
Warum? | |
Bausback: Ich habe Lust auf das alte Reiseerlebnis. Dort gibt es ein | |
Schlafzimmer und einen Restaurantwagen. Es geht um die Langsamkeit, um das | |
Reisen selbst. Man fährt durch die Landschaft und genießt es. | |
Die Zeit des Aus-dem-Fenster-Schauens ist also nicht vorbei? | |
Bausback: Nein, überhaupt nicht. Aber entspannt wird dann, wenn man es | |
möchte. Ansonsten kann man sich die Zeit mit vielen anderen Dingen | |
vertreiben. | |
1 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Anna Fastabend | |
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