| # taz.de -- Neuer „Tatort“ aus Zürich: Bäriger Krimi, halb ruiniert | |
| > Realismus prägt diesen „Tatort“: Die Mafia ist legal, sexualisierte | |
| > Gewalt allgegenwärtig. Leider fehlt das Vertrauen in die Sprachkompetenz. | |
| Bild: Die Ermittlerinnen Tessa Ott (Carol Schuler, li.) und Isabelle Grandjean … | |
| „Forget the facts and remember the feelings“, heißt es in einem derzeit | |
| viel zitierten zeitgenössischen Roman – von dem dann spontan auch nicht der | |
| faktische Titel vor dem geistigen Auge auftaucht, sondern das Gefühl, | |
| welches mit und vor allem um ihn herum hergestellt wird. | |
| Für unsere Zwecke hier ist an dem Zitat relevant, dass eher niemand die | |
| Handlung von Krimiklassikern wie „Der große Schlaf“ oder „Rote Ernte“ … | |
| detail nacherzählen kann, das Gefühl hingegen, das sich beim Lesen | |
| eingestellt hat – und immer wieder einstellt: Klassiker halt! – einem aber | |
| eingebrannt bleibt. | |
| Der neue [1][„Tatort“ aus Zürich] ist gerade in der ersten Hälfte nicht | |
| einfach erzählt. Eventuell frustriert es sogar ein wenig, der Entwirrung | |
| der titelgebenden „Seilschaft“ zu folgen. Dafür stimmt im zweiten Teil die | |
| Intensität der Gefühle, die einem dieser Krimi mit in die Woche gibt, dann | |
| um so mehr. | |
| Aber fragen wir doch mal ganz öffentlich-rechtlich: Ist denn dann noch | |
| jemand anwesend [2][und sogar wach vor den Empfangsgeräten?] Die Frage ist | |
| um so berechtigter, als es sich hier um einen Schweizer Tatort handelt, der | |
| vor Ort auf Schweizerdeutsch gedreht und anschließend für die deutschen und | |
| österreichischen Zuschauer:innen nachsynchronisiert wird. Durchgehende | |
| Untertitel können dem dumpfen heimischen und depperten alpin-benachbarten | |
| Publikum offenbar nicht zugemutet werden, zumindest nicht mit Fernbedienung | |
| in der Hand. | |
| ## Sterile Tonspur | |
| Das führt zu enorm merkwürdigen Verdrehungen, wenn etwa der zugezogene | |
| Sonderermittler wie auch der nette Uhrenspezialist erst französisch | |
| sprechen, um dann mal in die Hochsprache, mal ins akzentuierte Deutsch zu | |
| wechseln. | |
| Über dem bis in die Nebenrollen tadellosen Spiel liegt noch dazu die | |
| sterile Tonspur der Synchronisation, was zusammen mit der | |
| breiig-leitmotivischen Musik an die kürzliche Aussage von Bayern-Trainer | |
| Thomas Tuchel erinnert: „Zwei Dinge konnten das Niveau des Spiels nicht | |
| halten“. | |
| Das ist schade und typisch für die kunstfeindliche Angstkultur im | |
| öffentlich-rechtlichen System, kann aber den Film nicht völlig zerstören. | |
| Beide Ermittlungsstränge, die das Team um Isabel Grandjean | |
| (toll-zurückgenommen: Anna Pieri Zuercher) und Tessa Ott | |
| (toll-extrovertiert: Carol Schuler) verfolgen, sind realistisch: Bei der | |
| Mafia ist inzwischen alles legal, und sexueller Missbrauch ist | |
| allgegenwärtig, eine Triggerwarnung muss an dieser Stelle sein. | |
| Die Darstellerinnen prägen diesen Film (Buch: Claudia Pütz, Karin | |
| Heberlein), die Männer bleiben banal, auch im Ekligen, einen | |
| hohl-angeberischen Praktikanten à la Richard David Precht könnte man sich | |
| gut als Ergänzung des Casts vorstellen. | |
| ## Ziemlicher Horror | |
| Die Personenführung ist präzise, die Dramaturgie nicht immer glücklich | |
| (Regie: Tobias Ineichen), und der Klassiker, dass die Ermittelnden | |
| grundsätzlich allein und mit abgeschaltetem Mobiltelefon an die | |
| gefährlichsten Orte gehen – ja mei: Geht es denn wirklich nicht auch mal | |
| ohne diese Billigmittel der Spannungserzeugung? | |
| Die drei Morde hingegen sind sehr anschaulich inszeniert, und nicht zuletzt | |
| ist das, was für uns nur zu hören ist und lediglich in den Augen von | |
| Ermittlerin Tessa Ott zu sehen, schon ein ziemlicher Horror. | |
| Last but not least ist es ein Moment ganz am Schluss, sind es Augen, die | |
| auch in einem Moment großer Innigkeit sich nicht schließen, die nie mehr | |
| aufhören werden zu sehen, was ist und was zu erleiden gewesen ist. Da wäre | |
| dann fast zu wünschen, dass es lieber nicht dieses schrecklich-stumpfe | |
| Gefühl wäre, das in Erinnerung bleibt, sondern irgendein noch so banales | |
| Detail. | |
| 30 Apr 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
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