# taz.de -- Schule „42 Heilbronn“: Die Programmierer-Kommune | |
> Vor zehn Jahren gründete ein französischer Tech-Milliardär eine | |
> Programmierschule ohne Lehrer und Noten. In Heilbronn gehen die ersten | |
> Absolventen. | |
Bild: Tom Krüger, Programmierer, und Thomas Bornheim (r), Geschäftsführer de… | |
Seit Juni 2021 lernt Frasch, 29, in der Programmierschule „42 Heilbronn“ | |
programmieren – nachdem sie einen Bachelor in Pflege absolviert hat. Ihr | |
Fernziel: Programme entwickeln zur Dokumentation auf den Stationen in der | |
ambulanten Pflege. | |
Alisja Frasch wurde schon in ihrer Ausbildung zur Gesundheits- und | |
Krankenpflegerin klar, dass es mehr Digitalisierung braucht, um die Arbeit | |
in der Pflege zu erleichtern. Oft könne man sich nicht so viel Zeit für | |
Patienten nehmen, wie man gerne würde. Dazu kommt die Gefahr, etwas zu | |
übersehen, je größer der Stress werde. Der [1][Krankenhaus-Report], der | |
über Entwicklungen im Krankenhaussektor berichtet, bestätigte das bereits | |
2019. Dort heißt es, dass „digitalen Techniken das Potenzial zugesprochen | |
wird, die Situation in der Krankenhauspflege verbessern zu können“. | |
Zur Relevanz kommt Fraschs persönliches Interesse: „Ich habe mich schon | |
länger für das Programmieren interessiert.“ Die Ausbildung am 42 Heilbronn | |
hat sie angesprochen. „Ich wollte nicht noch weiter studieren. Das hier ist | |
etwas ganz anderes“, sagt sie. Sie beschäftigt sich in einem der | |
Computerräume für bis zu 300 Studierenden mit der Programmiersprache C++. | |
Am Standort Heilbronn sind 250 Studierende eingeschrieben, davon 50 Frauen. | |
Frasch schätzt auch die familiäre Atmosphäre. So gebe es | |
Tischtennisturniere in der Schule. Weltweit gibt es knapp 50 Standorte in | |
mehr als 25 Ländern mit nach eigenen Angaben rund 15.000 Studenten.Der | |
erste Standort in Deutschland wurde Anfang 2021 in Wolfsburg gegründet, | |
dann folgten Mitte des Jahres Heilbronn und Anfang 2022 Berlin. Die erste | |
42-Programmierschule [2][wurde 2013 vom französischen | |
Telekommunikations-Milliardär Xavier Niel gegründet]. | |
## Die Arbeitskultur hat sich verändert | |
Es gibt keine Noten, keine Professoren und keine Stundenpläne, die | |
Studierenden brauchen kein Abitur. Einen offiziellen Abschluss gibt es | |
nicht, aber jeder Studierende baut sich ein Portfolio auf, in dem er seine | |
Programmierkünste präsentiert. Als Programmierer ist es wichtiger, was man | |
kann, als einen Uni-Abschluss mit guten Noten vorweisen zu können. Das Ziel | |
ist es, die Studierenden in eine Anstellung zu führen oder ein Start-up | |
gründen zu lassen. | |
„42 schafft eine Alternative zum Status quo, der in Deutschland herrscht“, | |
sagt Steve Killian. Am Heilbronner Zentrum kümmert er sich als Community | |
Manager darum, dass es den Studierenden gut geht. Killian kritisiert die | |
konservative Arbeitskultur mit festen Arbeitszeiten und | |
Anwesenheitspflicht. | |
„Wenn du in der normalen Arbeitswelt effizient bist, wirst du bestraft und | |
bekommst mehr Arbeit.“ Unsere Arbeitskultur sei in der Industrialisierung | |
entstanden, sagt Killian. „Wir stehen aber nicht mehr alle am Fließband.“ | |
Nur weil man länger arbeite, produziere man nicht zwangsweise mehr. Die | |
Menschen müssten heute verstärkt selber entscheiden, [3][wann und wie sie | |
am besten arbeiten] könnten. | |
## Das Schwarz-Unternehmen profitiert von der Schule | |
Thomas Bornheim, 46, ist der Geschäftsführer von 42 Heilbronn. Bevor er | |
nach Heilbronn kam, hat er 14 Jahre bei [4][Google] gearbeitet – die Hälfte | |
der Zeit im Silicon Valley – als Analyst und Inhouse Consultant. Er hat | |
etwa Handlungsempfehlungen erarbeitet und sich um den Erfolg der Teams | |
gekümmert. Seine Arbeit jetzt sieht er ähnlich. Es gehe darum, eine | |
Organisation aufzubauen, die sich zu 100 Prozent auf die Studierenden | |
konzentriert und hört, was sie brauchen. | |
Dazu gehören auch Räume für Filmabende, Super-Mario-Cart-Rennen und | |
Sommerpartys. Die Ausbildung an der Schule ist kostenfrei. Finanziert wird | |
alles durch Spenden von Unternehmen, die sich im Gegenzug erhoffen, | |
Fachkräfte zu bekommen. Laut Branchenverband Bitkom fehlten im vergangenen | |
November [5][in Deutschland 137.000 IT-Fachkräfte]. Die öffentliche Hand | |
ist darin nicht enthalten. | |
„Wir haben einen steigenden Bedarf durch die Digitalisierung, die durch die | |
Coronapandemie zusätzlich an Schub gewonnen hat“, sagt der Pressesprecher | |
der Bitkom, Andreas Streim. Die Zahl der Absolventen für IT-Berufe sei | |
nicht im gleichen Maße gestiegen. „Wir haben ein strukturelles | |
Fachkräfteproblem, das sich immer mehr verschärft“, so Streim. Alle | |
IT-Ausbildungsarten, die einen Beitrag leisten, würden da helfen. Und | |
natürlich fordert Bitkom seit Langem, dass IT zum Pflichtfach an Schulen ab | |
beispielsweise der fünften Klasse wird, um den Nachwuchs – insbesondere | |
auch Frauen – früh mit dem Thema in Berührung zu bringen. | |
Bornheim pflegt eine Partnerschaft mit rund 50 Unternehmenspartnern in der | |
Region Heilbronn. Ein wichtiger ist die Dieter Schwarz Stiftung. Zur | |
Schwarz-Gruppe, einem der größten Arbeitgeber der Region, gehören unter | |
anderem Lidl und Kaufland. Dort werden viele Programmierer benötigt. „Von | |
unseren derzeit 26 Studierenden in Praktika sind sechs in der Schwarz | |
Gruppe beziehungsweise in Unternehmen, die der Gruppe nahestehen“, sagt | |
Bornheim. | |
Mittlerweile hätten die ersten Absolventen die Schule verlassen und nun | |
eine Festanstellung. Wer will, kann nach dem Praktikum auch noch | |
weiterstudieren und sich in bis zu 18 Monaten spezialisieren – etwa auf | |
künstliche Intelligenz oder Betriebssysteme. | |
Dabei profitiert das Unternehmen Schwarz von der Schule: „Die Studenten | |
sind für ihr jeweiliges Team bei der Schwarz IT und Schwarz Digital eine | |
Bereicherung“, sagt ein Sprecher von Schwarz der taz. | |
## Eine Uhr entscheidet, wer geht | |
Eine klassische Bewerbung gibt es bei 42 nicht. Interessenten registrieren | |
sich lediglich und lösen zwei Logikspiele in rund zwei Stunden. Wenn das | |
gut läuft, folgt ein einstündiges Online-Meeting und schließlich ein | |
vierwöchiges Bootcamp. Dort erlernen die Aspiranten Grundlagen des | |
Programmierens. | |
Team-Fähigkeit sei aber genauso wichtig, sagt Tom Krüger, 21: „Ich bin | |
schon von klein auf technikinteressiert“, sagt er. Eigentlich wollte er | |
Luft- und Raumfahrttechnik studieren, doch dann erzählte ihm sein Onkel von | |
der Programmierschule. Krüger will gar nicht unbedingt als Programmierer | |
arbeiten, aber programmieren können. Seit Juli 2021 ist er an der Schule | |
und habe „richtig viel gelernt“. | |
Jeder kann arbeiten, wann er will. Die Schule ist 24 Stunden am Tag an | |
sieben Tagen die Woche geöffnet. Aber für jedes der 16 Projekte in der | |
Grundausbildung, in denen es etwa um 3-D-Objekte, Betriebssysteme oder | |
Computerviren gehe, gibt es ein Zeitlimit – wie im Film „In Time“, bei dem | |
Menschen durch Arbeit Lebenszeit gewinnen. | |
Durch abgeschlossene Projekte erhalten 42-Studierende Zeit auf ihre Uhr. | |
Wer keine Zeit mehr hat, muss gehen. „Meine Zeit war teilweise einstellig, | |
aber ich stresse mich damit nicht“, sagt Krüger. „Man muss sich selber in | |
den Arsch treten und motivieren.“ Und man müsse im Team arbeiten können. Es | |
gibt ja keine Lehrer, aber Menschen aus aller Welt. Man ist auf Hilfe von | |
anderen angewiesen und andere auf einen selbst. Das ist die Idee der | |
Schule: kollaboratives Lernen. Alle zusammen in der Gruppe lösen die | |
Aufgabe. Krüger sagt: „Alleine kommst du nicht durch.“ | |
5 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/978-3-662-58225-1.pdf | |
[2] /Pariser-Programmierschule-42/!5324326 | |
[3] /Kampf-um-Arbeitskraefte/!5925395 | |
[4] /30-Jahre-World-Wide-Web/!5928953 | |
[5] https://www.handelsblatt.com/karriere/bitkom-umfrage-in-deutschland-fehlen-… | |
## AUTOREN | |
Jan Söfjer | |
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