| # taz.de -- Spaltungen in der Politik: Der Aktivismus-Liebeskummer | |
| > Wenn politische Gruppen sich spalten, fühlt sich das oft an wie eine | |
| > Scheidung. Nicht nur wegen der bürokratischen Fragen – auch das Herz | |
| > leidet. | |
| Bild: Wir sollten uns auch um die Herzen unserer Genoss*innen kümmern – bevo… | |
| Liebeskummer hatte ich auch schon mal. War nicht so gut. Aber wegen eines | |
| Jungen zu weinen (mein Liebeskummer war meist hetero), ist nichts im | |
| Vergleich dazu, wenn eine Politgruppe zerbricht. Denn gegen den Schmerz im | |
| Aktivismus, die Sinnfrage im Hausprojekt oder den Bruch während der | |
| Demo-Orga gibt es keine traurigen Songs und keine kitschigen Filme. | |
| Über Gefühle im Politikmachen wird wenig gesprochen. Dabei würden sich | |
| viele von uns den ganzen Kampf gar nicht erst geben, wäre nicht neben dem | |
| Verstand auch das Herz mit dabei. Darum sollten wir uns um unsere Herzen | |
| auch kümmern – und emotionaler Arbeit unter Genoss*innen mehr Raum | |
| geben. Immer mal checken, wie es uns geht und was wir brauchen. Bevor es | |
| zur Trennung kommt. | |
| Es ist schmerzhaft, sich von einer Idee zu verabschieden oder von den | |
| Menschen, mit denen man gemeinsam für diese Idee einsteht. Es tut weh, | |
| nicht mehr Teil einer Bewegung zu sein, was auch immer diese zerschlagen | |
| hat. In diesem Bewusstsein werde ich mit Taschentüchern und Eiscreme | |
| bereitstehen, wenn in meinem Umfeld mal wieder ein Bündnis zerbricht. | |
| Über den activist burnout wurde in den letzten Jahren viel geschrieben. | |
| Über den activist heartbreak meines Wissens noch nichts. Wer sich | |
| leidenschaftlich Gruppen anschließt, Initiativen gründet oder Banden | |
| bildet, wird aber früher oder später auch mit Trennungen konfrontiert sein. | |
| Diese können auch hässlich verlaufen: Eine Form der Trennung ist die | |
| Spaltung. Spaltungen sind wie Scheidungen. Welche Partei behält die Räume, | |
| die Website, den Gruppennamen? Wer behält die gemeinsamen Freund*innen, | |
| Verbündeten, Förderer, Kooperationspartner*innen? | |
| ## Lieber Schluss machen als ghosten | |
| Die meisten Polit-Beziehungen schleichen eher aus. Haben keinen klaren | |
| Schlussstrich oder werden durch [1][ghosting] beendet. Dabei wird das den | |
| intensiven Hochs und Tiefs, der gemeinsamen Zeit, der Solidarität, den | |
| inhaltlichen Auseinandersetzungen und dem Vertrauen meistens nicht gerecht. | |
| Es ist nicht fair, ohne ein Wort zu gehen, andere mit einem Haufen Arbeit, | |
| einem Mietvertrag, eimerweise Farben und Transpi-Stoff oder einem | |
| erstarkten politischen Gegner zurückzulassen. | |
| Wir sollten also zumindest ein letztes Mal zum Plenum gehen und ehrlich | |
| sagen: „Es tut mir leid. Wir haben uns auseinandergelebt.“ Ich hoffe, | |
| irgendwer dreht die passende Rom-Com dazu: Ehemalige Hausbesetzer*innen, | |
| die nun einsam zur Miete wohnen, verstehen erst am Ende des Films, dass sie | |
| die ganze Zeit gegen den gleichen Investor gekämpft haben. | |
| Auch wenn ich gerade enttäuscht bin und keine Kampagne in Sicht ist, in die | |
| ich mich brennenden Herzens hineinstürzen mag: Ich bin bereit für die | |
| nächste Liebelei mit dem Widerständigen. Ich sehne mich nach | |
| Revolutionsromantik und dem Gefühl, Menschen gefunden zu haben, mit denen | |
| man gemeinsam die Welt ein bisschen besser machen kann. | |
| 24 Apr 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Simone Dede Ayivi | |
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