# taz.de -- Russland und Armenien: Käse als Gefahr | |
> Moskau stoppt den Import von Milchprodukten aus Armenien. Diese | |
> entsprächen nicht russischen Standards. Der Schritt dürfte politisch | |
> motiviert sein. | |
Bild: Armeniens Außenminister Ararat Mirsojan (l.) und sein russischer Amtskol… | |
BERLIN taz | Russland hat hohe Ansprüche an die Qualität von Lebensmitteln | |
und dabei offensichtlich vor allem von Milchprodukten. Das bekommt jetzt | |
Armenien zu spüren. Seit Mittwoch dieser Woche dürfen aus der | |
Südkaukasusrepublik keine Milchprodukte mehr nach Russland exportiert | |
werden. Diese Anweisung des Föderalen Dienstes für Veterinär- und | |
Pflanzenschutzaufsicht Rosselkhoznadzor erging am vergangenen Wochenende an | |
die zuständigen armenischen Behörden. Das Importverbot gilt ab Mittwoch | |
dieser Woche. | |
Zur Begründung hieß es, eine kürzlich erfolgte Inspektion in zwei Betrieben | |
habe ergeben, dass die in Armenien hergestellten Produkte nicht russischen | |
Sicherheitsstandards entsprächen. Mit ein Grund dafür sei, dass für die | |
Produktion Milch aus dem Iran verwendet werde. | |
Entsprechende Lieferverträge hätten Iran eine Hintertür in die Eurasische | |
Wirtschaftsunion (EEU) geöffnet. Der EEU gehören neben Russland und | |
Armenien auch Belarus, Kasachstan und Kirgistan an. Über die Möglichkeit | |
einer Wiederaufnahme der Exporte nach Russland könne diskutiert werden, | |
sobald Jerewan alle Regelverstöße beseitigt habe, heißt es in der Erklärung | |
von Rosselkhoznadzor weiter. | |
Jerewan reagierte mit Unverständnis auf den Schritt Russlands. Die jüngste | |
Inspektion habe keine Anhaltspunkte dafür geliefert, dass es Probleme gebe, | |
die die Gesundheit und das Leben von Menschen bedrohten. Die aus dem Iran | |
importierte Milch sei sicher, zitiert der Sender Radio Freies Europa einen | |
Sprecher der armenischen Lebensmittelaufsichtsbehörde. | |
## Lebensmittelbann als Strafmaßnahme | |
An die Mär von qualitativ minderwertigen und gesundheitsschädigenden | |
armenischen Milchprodukten wollen Beobachter*innen nicht so recht | |
glauben. Vielmehr werten sie den Lebensmittelbann Moskaus als Aktion, um | |
den kleinen „Verbündeten“ politisch abzustrafen. | |
[1][Am 23. März 2023 hatte das armenische Verfassungsgericht entschieden, | |
dass das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (IstGh) mit | |
dem armenischen Grundgesetz vereinbar sei und damit den Weg für eine | |
Ratifizierung freigemacht]. Jerewan hatte das Dokument 1998 unterzeichnet. | |
2004 erklärte das höchste Gericht das Statut in Teilen für | |
verfassungswidrig. | |
Dessen jüngste Entscheidung in dieser Angelegenheit wäre in Moskau wohl | |
nicht weiter beachtet worden, hätte der IstGh nicht am 17. März 2023 | |
Haftbefehle gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin sowie dessen | |
sogenannte Beauftrage für Kinderrechte, Maria Lwowa Belowa, wegen | |
mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine erlassen. | |
Während Expert*innen noch darüber spekulierten, ob Jerewan nach einer | |
Ratifizierung Putin, sollte er Armenien besuchen, festsetzen müsse, sprach | |
Moskau bereits unverhohlene Drohungen aus: Die Pläne Jerewans, dem | |
Römischen Statut beizutreten, seien inakzeptabel und könnten „extrem | |
negative“ Konsequenzen haben, hieß es aus dem Moskauer Außenministerium. | |
## Erster Vorbote | |
Das Importverbot ist möglicherweise ein erster Vorbote dieser Konsequenzen. | |
Doch was auch immer deren wahrer Grund ist, fest steht: Um die bilateralen | |
Beziehungen zwischen Jerewan und Moskau – beide Staaten gehören dem von | |
Russland geführten Militärbündnis „Organisation des Vertrages über | |
kollektive Sicherheit“ (OVKS) an – ist es derzeit nicht zum Besten | |
bestellt. | |
Grund ist der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um die von | |
Armenier*innen bewohnte Region Bergkarabach. Dieser droht auf | |
armenisches Territorium überzugreifen. Russland, das mit Friedenstruppen | |
seit dem Ende von 40-tägigen Kampfhandlungen 2020 einen Waffenstillstand | |
überwachen soll, bleibt – zum Ärger Jerewans – jedoch weitgehend untätig. | |
[2][So sagte Regierungschef Nikol Paschinjan Militärübungen des OVKS, die | |
2023 in Armenien stattfinden sollten, kurzerhand ab]. | |
Vahan Kerobjan, armenischer Wirtschaftsminister, versuchte sich in | |
Schadensbegrenzung. Man sei mit der russischen Seite in Kontakt, in der | |
kommenden Woche werde es ein Treffen geben. „Ich denke, dass es keinen | |
politischen Kontext gibt. Alles hat nur mit der Gewährleistung hoher | |
Standards der Lebensmittelsicherheit zu tun“, zitiert ihn der russische | |
Kommersant auf seiner Webseite. | |
Das sieht der Wirtschaftsexperte Armen Ktojan etwas anders. Er äußerte sich | |
besorgt darüber, dass Russland das Verbot auf andere Produkte ausdehnen | |
könnte, wenn sich die politischen Widersprüche verschärften: „Wir wissen, | |
dass Rosselkhoznadzor bestimmte Entscheidungen auch auf der Grundlage der | |
politischen Situation trifft“, sagte er gegenüber dem Kommersant. | |
## Erpressung als Prinzip | |
Ehemalige Satelliten mit Lebensmitteln zu erpressen, hat in Russland | |
Methode. 2006 verhängte Moskau als Reaktion auf die Festnahme von vier | |
Diplomaten in Georgien wegen mutmaßlicher Spionage ein Embargo auf | |
Mineralwasser und Wein aus der Südkaukasusrepublik – angeblich wegen | |
mangelnder Hygienestandards. 2013/14 ereilte die Republik Moldau das | |
gleiche Schicksal. Dabei ging es zunächst um Wein, später dann auch um | |
Fleisch und Fleischprodukte. | |
Die Auswirkungen des Verbotes der Einfuhr von armenischen Milchprodukten | |
nach Russland dürfte sich übrigens in Grenzen halten. Laut Angaben der UNO | |
gingen 2022 zwar über 93 Prozent der armenischen Exporte an Milchprodukten, | |
Eiern und Honig im Wert von umgerechnet knapp 30 Millionen Euro nach | |
Russland. Doch das machte nur 3,8 Prozent aller Exporte Armeniens dorthin | |
aus. Diese haben sich seit dem Beginn von Russlands Krieg gegen die Ukraine | |
verdreifacht. | |
6 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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