# taz.de -- Pentagon-Leaks in den USA: Geheimnisverrat aus Angeberei | |
> Das FBI nimmt einen 21-jährigen Nationalgardisten in Massachusetts fest. | |
> Er soll zahlreiche geheime US-Militärdokumente ins Netz gestellt haben. | |
Bild: Straßensperre nahe Dighton, Massachussets: Hier wurde der Verdächtige f… | |
BERLIN taz | In roten Shorts und Stiefeln wurde der 21-jährige | |
Nationalgardist am Donnerstag im Haus seiner Mutter von schwerbewaffneten | |
Beamten festgenommen und in Handschellen zu einem Fahrzeug des FBI | |
gebracht. Er leistete keinen Widerstand. | |
Bei dem jungen Militärangehörigen Jack T. soll es sich um den Mann handeln, | |
der [1][geheime Dokumente der US-Geheimdienste und des Pentagon im Netz | |
veröffentlicht hat]. Aus ihnen ließen sich Einschätzungen der | |
US-Nachrichtendienste zur Lage im Ukrainekrieg entnehmen, aber auch | |
Rückschlüsse auf die Methoden ziehen, mit denen die USA in Russland | |
spionieren. | |
Seit einige der Dokumente vor gut einer Woche an die breite Öffentlichkeit | |
gelangten, hatten Ermittler fieberhaft nach der undichten Stelle und dem | |
Urheber des Leaks gefahndet. Am Dienstag sagte Verteidigungsminister Lloyd | |
Austin, man werde „jeden Stein umdrehen, bis wir die Quelle gefunden | |
haben“. | |
Die Veröffentlichung der Geheimdokumente hat dem Ansehen Washingtons als | |
westlicher Führungsmacht zumindest kurzfristig erheblich geschadet. Sie | |
zeigen, dass die USA auch Verbündete wie Israel oder Südkorea | |
ausspionieren. „Ich würde es den Südkoreanern oder Israelis oder | |
Franzosen nicht übelnehmen“, sagte der demokratische Abgeordnete Jim Himes | |
gegenüber CNN, „wenn sie ihre geheimsten Informationen nicht mehr mit den | |
USA teilen, weil sie nicht verhindern können, dass sie in die Hände von | |
21-Jährigen kommen.“ | |
## Echtheit unklar | |
Die Dokumente schüren auch Zweifel an der amerikanischen Zuversicht, die | |
Ukraine werde sich auch dank der umfangreichen westlichen Unterstützung am | |
Ende gegen Russland behaupten können. Allerdings ist nicht gesichert, dass | |
die Papiere alle echt sind. Auch [2][die Ukraine] bestreitet, dass die dort | |
gemachten Aussagen etwa über fehlenden Munitionsnachschub glaubwürdig | |
seien. | |
Russland sagt bisher lediglich, die Dokumente seien „interessant“. Die USA | |
verfügen den Dokumenten zufolge über Erkenntnisse aus dem Inneren des | |
russischen Militärgeheimdienstes und der berüchtigten Söldnergruppe Wagner. | |
Sie hatten auch Gespräche zwischen Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi | |
und hohen Militärs des Landes über Raketenlieferungen an Russland | |
überwacht. Die Lieferungen müssten geheim bleiben, soll al-Sisi gesagt | |
haben, „um Probleme mit dem Westen zu vermeiden“. | |
Ob sich Jack T. der Tragweite seines Tuns bewusst war, ist zweifelhaft. Er | |
diente in einer Nachrichteneinheit der Massachusetts Air National Guard und | |
war auf einer Basis auf der Insel Cape Cod stationiert. T.s Einheit ist für | |
die Überwachung des Luftraums zuständig und bildet mit den Air National | |
Guards anderer Bundesstaaten die Reserve der US-Luftwaffe. Er war erst im | |
Juli zum Gefreiten befördert worden. | |
Bisher ist nicht bekannt, warum ein Reservist mit dem zweitniedrigsten | |
Dienstgrad der Streitkräfte Zugang zu hochbrisanten Militärgeheimnissen | |
hatte. Auf entsprechende Fragen gaben US-Regierungsstellen keine Antwort. | |
Die Festnahme des 21-Jährigen wurde mit Verstößen gegen den „Espionage Act… | |
begründet. Er sollte noch am Freitag einem Bundesgericht in Boston | |
vorgeführt werden. Sollte er wegen Spionage verurteilt werden, drohen ihm | |
pro veröffentlichtem Dokument bis zu zehn Jahren Haft. | |
## Rassistisches Gedankengut | |
Kurz vor der Festnahme Jack T.s hatte die Washington Post ein Interview mit | |
dem Mitglied eines Chatforums veröffentlicht, das Jack T. kannte und ihn | |
als unbeherrschten und geltungssüchtigen Menschen beschrieb, der bisweilen | |
rechtsradikales und rassistisches Gedankengut von sich gab und ein | |
Schusswaffenfan war. Es sei wichtig, über die Weltereignisse informiert zu | |
sein, belehrte er die 20 bis 30 Mitglieder seiner Chatgruppe namens „Thug | |
Shaker Central“, die zunächst wenig Interesse an von ihm geposteten Zitaten | |
aus den Dokumenten zeigten. | |
Das änderte sich erst, als er, der sich dort „OG“ nannte, schließlich Fot… | |
von Ausdrucken postete, die in der Folge auf russlandfreundlichen | |
Telegram-Kanälen weiterverbreitet wurden. Die Ausdrucke hatte er auf einem | |
ungewöhnlich gemusterten Küchentisch fotografiert. Dieser war auch auf | |
Bildern zu sehen, die er mit seinem Klarnamen ins Netz gestellt hatte. So | |
kam das FBI auf seine Spur. | |
Ein rein politisches Motiv für die Veröffentlichung schien Jack T. aber | |
nicht zu haben, denn das Chatforum Discord wird von seinen Nutzern primär | |
zum Austausch über Computerspiele wie „Minecraft“ genutzt. Aufgetaucht | |
waren einige der Geheimpapiere auch im Discord-Forum eines philippinischen | |
Youtubers namens „wow_mao“, dessen Videos fast 250.000 Abonnenten haben. Er | |
sei nun zu einer „Internet-Mikro-Celebrity“ geworden, sagte er sichtlich | |
stolz am Dienstag in einem neuen Video. | |
Die Affäre hat in den USA eine Debatte darüber ausgelöst, warum ein | |
offenbar kaum noch überschaubarer Personenkreis Zugang zu | |
nachrichtendienstlichen Dokumenten hat, die als hoch geheim eingestuft | |
sind. Solche Top-Secret-Dokumente dürfen nicht nur sämtliche etwa 600 | |
Generäle der US-Streitkräfte einsehen, sondern auch deren Assistenten, | |
etliche ranghohe Offiziere im Pentagon, die Kapitäne der US-Marine und | |
offenbar auch niedrigere Dienstgrade in nachrichtendienstlichen | |
Militäreinheiten. | |
## Lockerung der Geheimhaltung | |
Noch größer ist die Zahl derer, die als „secret“ – geheim – eingestuf… | |
Dokumente sehen können, sie reicht bis zu Experten in Denkfabriken, die mal | |
im Militär oder im Pentagon tätig waren. | |
Dabei waren es ausgerechnet die Attentate vom 11. September 2001, die zu | |
einer Lockerung der Geheimhaltung geführt hatten. Vor jenem Einschnitt | |
wurden etwa Erkenntnisse der CIA über Terrorverdächtige bewusst nicht mit | |
dem FBI geteilt – was sich als verhängnisvoller Fehler erwies, denn so | |
schlüpften an 9/11 den Ermittlern mehrfach Beteiligte durchs Netz. | |
Als Konsequenz wurden die Zugänge zu Geheiminformationen erleichtert, und | |
die verschiedenen Behörden teilten mehr Erkenntnisse untereinander. In | |
Zukunft, sagten Sicherheitsexperten der New York Times, soll alles wieder | |
restriktiver gehandhabt werden. | |
14 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Datenleck-im-Pentagon/!5924743 | |
[2] /Pentagon-Leaks/!5927138 | |
## AUTOREN | |
Stefan Schaaf | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
USA | |
US-Geheimdienst | |
Pentagon | |
Pentagon | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Whistleblower | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nach den Pentagon-Leaks: Der Feind bleibt Putin | |
Die diplomatischen Verstimmungen werden schnell vergessen sein. Die | |
Allianzen mit den USA sind zu komplex, und wer zu bekämpfen ist, ist klar. | |
Diskussion um Kriegsbeteiligung: Selbstvergewisserung durch Streit | |
Die Linie zwischen Kriegsteilnahme und Nichtteilnahme ist nicht so klar, | |
wie es viele gern hätten. Das zeigt die Diskussion um die | |
Nato-Spezialkräfte. | |
Pentagon-Leaks in den USA: Verschlossene Augen in Washington | |
US-Präsident Joe Biden gibt sich angesichts der Pentagon-Leaks „nicht | |
besorgt“. Der Umgang mit den Enthüllungen erinnert an die Zeit von | |
Wikileaks. | |
Datenleck im Pentagon: Leak mit fatalen Folgen für Kyjiw | |
Wem nützen die Datenleaks aus den US-Geheimdiensten? Vor allem natürlich | |
den Russen. Klar ist, dass sie einen enormen Schaden für die Ukraine | |
bedeuten. |