# taz.de -- Dokfilm über Grenfell: Schemen im Dunkeln | |
> Steve McQueen legt in „Grenfell“, einer Doku über die Brandkatastrophe | |
> eines Hochhauses, Behördenfilz offen. | |
Bild: Stillfoto mit Trauerrand: „Grenfell“ von Steve McQueen | |
Die Zeugenaussagen und Schlussplädoyers der öffentlichen Untersuchung zur | |
Ursache des verheerenden Großfeuers im Grenfell Tower sind gehört. 72 | |
Menschen starben in dem Londoner Hochhaus in der Nacht vom 13. zum 14. Juni | |
2017. Der Abschlussbericht wird erst Ende 2023 erwartet, die polizeilichen | |
Ermittlungen laufen weiter – bis jetzt ohne eine Anklage. | |
Es gab viele Versuche, das Unglück aufzuklären, etwa durch | |
Fotoausstellungen, Radiodokumentationen und Theaterstücke. Jetzt nimmt sich | |
[1][der britische Regisseur und Videokünstler Steve McQueen] des Reizthemas | |
an, das britischen Behördenfilz zum Vorschein gebracht hat. In der | |
Serpentine Gallery im Hyde Park läuft McQueens 24-minütiger Dokumentarfilm | |
„Grenfell“. Der Raum ist in Schwarz getaucht, nur Decke und Leinwand sind | |
weiß. | |
Alles beginnt an einem milden Dezembertag am Nordrand von London. | |
Vorstädtische Häuser reihen sich entlang gewundener Straßen und kleiner | |
Parks. Allmählich rückt die City ins Bild, dazu ihr Sound: Vogelstimmen, | |
das Dröhnen von Motoren. Die Kamera fliegt über das Wembley-Stadion hinweg, | |
bis am Horizont fünf Wohntürme durch den Smog von Westlondon schimmern. | |
Einer davon ist der abgebrannte Grenfell Tower. | |
## Ruine des Wohnsilos | |
McQueen hat die zentralen Szenen des Films noch aufnehmen können, bevor die | |
Ruine des 24-stöckigen Wohnsilos im Jahr 2018 eingerüstet und abgedeckt | |
wurde. Seine Kamera umkreist die verkohlten Überreste des Gebäudes. Immer | |
wieder, es kann einem schwindelig werden. Man sieht verbogene Metallstäbe, | |
zerborstene Wandisolierungen, zerstörte Wohnparzellen. Schemenhaft zeichnet | |
sich das verrußte Gerüst eines Doppelbetts ab. | |
Achtzehn Kinder starben damals bei dem verheerenden Brand. Hier und da sind | |
Arbeiter in weißen Schutzanzügen zu sehen. Der Ton wird immer lauter, bis | |
er plötzlich abbricht. Irgendwann herrscht bedrückende Stille, wie bei den | |
Schweigemärschen, die seit dem Unglück in London monatlich in Gedenken an | |
die Opfer stattfinden. Manchmal kommen die umliegenden Häuser zum | |
Vorschein, viele davon sind Sozialbauten, wie auch das Grenfell-Hochhaus. | |
Nach dem Inferno hatten Anwohner:Innen auf Schildern darum gebeten, das | |
verkohlte Gebäude nicht zu fotografieren. Doch McQueen zeigt es nun wieder | |
in seinem gespenstischen Zustand, als schwarzes, 70 Meter hohes Skelett. | |
## In Kontakt mit Anwohnern | |
Fünfeinhalb Jahre blieb er für die Filmaufnahmen in Kontakt mit den | |
Anwohnern und den Überlebenden. „Sobald der Tower abgedeckt wird“, schreibt | |
der Regisseur in einem Statement zu seiner Filmarbeit, „wird er aus unserem | |
Bewusstsein verschwinden.“ | |
McQueen will mit „Grenfell“ erinnern und finanzierte den Film selbst. Viele | |
sehen die Bauruine als Mahnmal dafür, wie Missstände, Ignoranz und | |
struktureller Rassismus der Behörden mit dafür verantwortlich waren, dass | |
es zu so einer Katastrophe kommen konnte. | |
Kurz vor dem Brand war der Grenfell Tower im Besitz einer städtischen | |
Immobiliengesellschaft saniert worden, doch die damals neuangebrachte | |
günstige Fassadenverkleidung kollidierte mit dem ursprünglichen | |
Brandschutzkonzept der Architekten. Auch der Rettungseinsatz bei den | |
Löscharbeiten schlug zunächst fehl und kostete Menschenleben. Die Behörden | |
wussten nicht mal, wie viele Personen zum Zeitpunkt des Unglücks dort | |
lebten. Viele von ihnen hatten keinen legalen Aufenthaltsstatus. | |
Desinformation sei in der Aufarbeitung von den Verantwortlichen bewusst | |
eingesetzt worden, schreibt der Soziologe und Stuart-Hall-Schüler [2][Paul | |
Gilroy] in einem Kommentar. McQueens „Grenfell“ sei deshalb ein | |
Beweismittel für mangelhafte Verwaltungsstrukturen. Gilroy erklärt: „Wir | |
können Grenfell nicht verstehen, ohne uns die Realität dieses Gebäudes ins | |
Bewusstsein zu rufen.“ | |
17 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
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