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# taz.de -- Die Wahrheit: Kinder an den Markt
> Die FDP will den Nachwuchs in die Gesellschaft integrieren –
> marktwirtschaftlich selbstverständlich. Ein kapitaler Kurz-Report.
Bild: Kinderarbeit hat auch hierzulande eine steinige Zukunft
„Niemand in der FDP hat die Absicht, die Kindergrundsicherung zu
verhindern“, sagt der sozialpolitische Sprecher der Liberalen Steffen
Hiesinger. „Unser großer Vorsitzender hat nur gesagt, dass gerade kein Geld
dafür da ist. Das ist ein Unterschied. Wenn ich mir zum Beispiel ein Paar
Schuhe kaufen will, aber gerade kein Geld dabei habe, dann heißt das ja
nicht, dass ich die Schuhe nicht haben will. So ist das auch mit der
Kindergrundsicherung.“
Der 33-Jährige sitzt zusammen mit ein paar Hauptstadtjournalisten auf
kleinen bunten Hockern im Stuhlkreis und spielt gedankenverloren mit ein
paar bunten Plastikmünzen. Er hat eine Pressekonferenz in der Kita seiner
Nichte einberufen. Deshalb ist die Kita heute geschlossen.
„Kinder sind unsere Zukunft!“, fährt er fort. „Deshalb wollen wir von der
FDP ihnen ermöglichen, selbst für die Kindergrundsicherung zu sorgen. Für
die Renten sorgen die Arbeitnehmer ja auch selbst. Und sehen wir den Fakten
ins Auge: Gegen Armut hilft nur Geld.“
Die FDP starte jetzt eine Kampagne, sagt der kinderlose Hiesinger und legt
eine CD in einen bunten Kinder-CD-Player aus Plastik. Herbert Grönemeyers
„Kinder an die Macht“ ertönt scheppernd aus dem kleinen, etwas verklebten
Lautsprecher. „Der Herr Grönemeyer hat ja erst vor Kurzem seinen Hit
‚Männer‘ umgetextet auf die aktuellen Entwicklungen, und wir haben ihn
jetzt gefragt, ob er auch sein Kinderlied für unsere Kampagne neu textet
in …“, Hiesinger macht eine Pause, wartet auf den Refrain und singt dann
mit: „Kinder an den Markt“.
## Moderne Arbeitswelt
„Sehen wir der Realität doch ins Auge“, sagt Hiesinger, „nur die Hälfte
aller Schüler macht das Abitur. Und das ist schon am Ende der Grundschule
klar. Der Rest sitzt da noch mal vier bis sechs Jahre sinnlos in der
Integrierten Sekundarschule ab. Wir dürfen die Kinder aber nicht in den
Schulen versauern lassen! Die müssen raus, raus an die frische Luft, in den
Markt. Denn wo, wenn nicht in der modernen Arbeitswelt sollen unsere Kinder
die moderne Arbeitswelt kennenlernen?“ Schon kleine Kinder fragen
neugierig: „Papa, was machst du eigentlich im Homeoffice?“
Hiesinger greift eine kleine bunte Plastikregistrierkasse und steckt Münzen
in einen Schlitz. Bei jeder Münze klingelt es.
„Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabenteilung: Die staatlichen
Schulen bringen Kindern lesen, schreiben und plus- und malnehmen bei,
spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten wie Prozentrechnung und Dreisatz
lernen sie vor Ort an der Werkbank. Da sind vor allem die Arbeitgeber
gefragt, die Kinder im Rahmen einer neuen entschlackten Ausbildung so
auszubilden, wie sie schließlich gebraucht werden. Wer sich dann noch für
Physik oder Chemie interessiert, kann das ja auf freiwilliger Basis nach
Feierabend lernen.“
Schöner Nebeneffekt: Wer früh anfängt zu arbeiten, verdient auch früher
Geld und hat ratzfatz seine Kindergrundsicherung. Wer will, kann sich dann
schon mit 18 ein Auto und ein Haus kaufen.
„Das kommt ja dann auch dem Wachstum unserer Wirtschaft zugute. Und der
Rente. Denn wer mit 67 in Frührente will und 50 Jahre in die Rentenkasse
einzahlen muss, um die Grundrente zu bekommen, kann nicht erst mit 25
anfangen zu arbeiten“, erläutert Hiesinger. Das gelte gerade für Mädchen,
die durch Schwangerschaften und Kinderbetreuung nicht ihr ganzes Leben lang
Vollzeit arbeiten können – von der Versorgung ihrer Eltern im Alter ganz zu
schweigen.
## Arbeiten mit Ponys
„Ja, Arbeit ist kein Ponyhof“, meint Hiesinger. „Da stimmen wir der
Arbeitsagenturchefin Andrea Nahles voll und ganz zu. Deshalb müssen wir
Kinder auch schon frühzeitig an die Arbeit gewöhnen. Notfalls auch auf dem
Ponyhof, also dem echten mit Ponys, das ist aber auch viel Arbeit.“
Und wer nicht arbeiten will oder nichts findet?
„Für den gibt es natürlich auch immer die Alternative, sich
gesellschaftlich zu engagieren. Die Rekrutierung von Minderjährigen bei der
Bundeswehr ist im letzten Jahr um 9,2 Prozent gestiegen. Das ist schön,
aber reicht bei Weitem nicht, schon gar nicht, wenn jetzt vielleicht ein
Krieg mit Russland droht“, droht Hiesinger.
„Wir können es uns wirtschaftlich gar nicht leisten, gut ausgebildete
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an die Front zu schicken. Denkbar wäre
ein wieder einzuführender Wehrdienst gleich nach der Grundschule. Kinder
können dann sozusagen spielerisch … und die Bundeswehr ist als
Ausbildungsbetrieb ja auch nicht zu verachten, besonders im technischen
Bereich.“
„Kinder an den Markt“, krächzt Herbert Grönemeyer aus dem CD-Player. Und
Steffen Hiesinger nickt beifällig. Denn Kinder sind unsere Zukunft.
12 Apr 2023
## AUTOREN
Michael-André Werner
## TAGS
Die Wahrheit
Kinderarbeit
FDP
Marktwirtschaft
Kindergrundsicherung
Rente
Erde
Wahlen
Verkehrspolitik
Zeitumstellung
Schwerpunkt Klimawandel
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