# taz.de -- Neue Serie „Bosé“ bei Paramount+: Unwissenheit schützt vor La… | |
> „Bosé“ will das aufregende Biopic einer bisexuellen Künstlerikone aus | |
> Spanien sein. Mit der Realität hat das aber wenig zu tun. | |
Bild: Miguel Bosé bei der Premiere des Biopics in Madrid Anfang März 2023 | |
Er gilt als einer der erfolgreichsten Sänger Spaniens, veröffentlichte im | |
Laufe seiner beinahe 50-jährigen Karriere über 20 Alben, und arbeitete | |
später unter anderem mit Shakira und Ricky Martin zusammen. In | |
Lateinamerika aber auch in Italien verkauften sich seine Platten | |
millionenfach, füllte er Stadien und Klatschblätter gleichermaßen. Miguel | |
Bosé. | |
Auch als Schauspieler war Bosé aktiv und wirkte in Filmen international | |
renommierter Regisseure wie [1][Pedro Almodóvar] („High Heels“) oder Dario | |
Argento („Suspiria“) mit. Dennoch ist Bosé hierzulande nur wenigen bekannt. | |
Auch deswegen fühlt sich die nach ihm benannte Miniserie, die über | |
[2][Paramount+] nun auch in Deutschland zu sehen ist, wie eine | |
vielversprechende Entdeckung an. Und wegen der Art, wie der | |
Streaming-Dienst „Bosé“ ankündigt. In der zur Mitte der Siebziger | |
einsetzenden Erzählung soll es um nicht weniger gehen als einen Künstler, | |
„dessen einzigartige Persönlichkeit dazu bestimmt war, mit dem | |
Althergebrachten zu brechen, während Spanien sich im Umbruch befand.“ Der | |
Trailer wiederum verheißt einen knallbunten Parforceritt durch ein im | |
artistischen wie politischen Sinne von Widerständigkeit geprägtes Leben. | |
Flamboyante Bühnenauftritte treffen auf explizite Sexszenen mit Männern. | |
Es wirkt beinahe so, als hätte man das neueste Werk des extravaganten | |
TV-Masterminds Ryan Murphy zu erwarten, der mit von vor selbstbewusster | |
Queerness strotzenden Projekten wie „Pose“, „Hollywood“ oder „Halston… | |
für genuine LGBT-Repräsentation in der Serienwelt getan hat als jede*r | |
andere*r Regisseur*in unserer Zeit. | |
Dem ist bei „Bosé“ ganz eindeutig nicht so: Was von der Serie wirklich | |
bleibt, ist eine Art trauriger Beweis dafür, wie himmelweit Framing im | |
Marketing und tatsächlicher Inhalt voneinander entfernt sein können. | |
Dabei ist die erste spanische Originalproduktion von Paramount+ für sich | |
genommen keine misslungene Serie. Allerdings erweist sich „Bosé“ als ein | |
überaus seltenes Beispiel dafür, dass es einem Biopic, das eigentlich von | |
der Prominenz der*des Porträtierten lebt, nicht zwangsweise zum Nachteil | |
werden muss, wenn die*der Protagonist*in im Zentrum dem Publikum | |
zumindest in einigen Märkten unbekannt ist. Im Gegenteil, der | |
Unterhaltungswert der Serie steigt, wenn man mit Miguel Bosé nicht weiter | |
vertraut ist. | |
Zunächst, weil sich Showrunner Nacho Faerna nahezu vollständig auf eine, | |
wider der Ankündigung, zahme Nacherzählung der langjährigen Karriere und | |
des Privatlebens des Protagonisten beschränkt. Bis auf Wechseln zwischen | |
der linear voranschreitenden Vergangenheit und der Gegenwart der Serie, den | |
späten 2000ern, kommt sie weitgehend ohne narrative Kniffe und dramatische | |
Zuspitzungen aus. Ein gewisses Maß an Spannung verspricht „Bosé“ also nur, | |
wenn man nicht ohnehin schon weiß, um wen es sich handelt. | |
## Zwischen Extravaganz und Geheimhaltung | |
Der Plot beginnt mit dem 21-jährigen Miguel (José Pastor), der gerade erste | |
Kinorollen annimmt und im ständigen Konflikt mit Mutter und Vater steht. | |
Als Sohn des populären spanischen Matadors Luis Miguel Dominguín (Nacho | |
Fresneda) und der italienischen Schauspielerin Lucia Bosé (Valeria | |
Solarino) steht er im Schatten berühmter Eltern. | |
Der Wunsch, sich von ihrem Einfluss zu emanzipieren, wird zu einem | |
wichtigen Motivator für seine Karriere. Der Versuch, weder wie sein | |
machistischer Vater zu werden, der mit seinem notorischen Fremdgehen die | |
Familie entzweite, noch wie seine Mutter in Bitterkeit zu verfallen, zum | |
Leitziel für sein Privatleben. | |
So recht gelingen mag ihm jedoch nichts davon. Gleich während seines ersten | |
Filmdrehs hat er eine Affäre mit einem weiblichen Co-Star, betrügt seine | |
Partnerin außerdem mit einem italienischen Politiker. Im Laufe der sechs, | |
jeweils nach einem seiner Pop-Songs benannten, Folgen lässt Miguel sich | |
immer wieder auf zweifelhafte amouröse Abenteuer ein, aber insbesondere die | |
Beziehungen zu Männern hält er geheim. | |
Dem zu folgen, ist kurzweilig, allerdings verpasst es „Bosé“, dieses Muster | |
für eine tiefergehende Charakterzeichnung zu nutzen. Dass die Serie durch | |
das sprunghafte Sexleben ihres Helden das leidige Klischee bedient, dass | |
Bisexualität stets mit Untreue einhergeht, kann man der Serie nicht zum | |
Vorwurf machen, da es sich um eine Biographie handelt. Wohl aber, dass das | |
Marketing versucht Miguel Bosé kontrafaktisch zum queeren Aktivisten zu | |
stilisieren. Und auch die Serie selbst deckt diese Darstellung nicht: Nie | |
zeigt sie ihn, wie er sich für queere Belange einsetzt, außer indirekt in | |
einem TV-Interview, in dem er (gespielt von Iván Sánchez) öffentlich, | |
abstreitet, sich mit HIV infiziert zu haben – auch wenn die PResse vorher | |
anderes berichtet hatte. | |
Selbstredend kann man Miguel Bosé anrechnen, dass er allein durch sein | |
vergleichsweises feminines Auftreten mit Geschlechterstereotypen brach. | |
Allerdings lässt die Serie auch hier eine bedeutende Chance ungenutzt: Sie | |
erzählt von der Sexualität ihres Protagonisten nahezu ohne | |
gesellschaftlichen Kontext, dem vorherrschenden Konservatismus im Spanien | |
unmittelbar nach dem Franquismus. | |
Das ist es, woran die Serie im Allgemeinen krankt: Den viel zu starken | |
Fokus auf Miguel Bosé selbst. Gerade weil sich seine Geschichte letztlich | |
als nicht derart faszinierend herausstellt und bei allem tragischen | |
Potenzial doch immer in unspektakulärer Balance bleibt. | |
„Bosé“ leidet allerdings in einem schwerwiegenderen Sinne unter dem | |
Protagonisten. Und das Wissen darum ruiniert den Unterhaltungswert der | |
Serie letztlich unwiederbringlich: Der Künstler war selbst aktiv in den | |
Schreibprozess involviert. Das erklärt nicht nur den unkritischen Umgang | |
mit einigen Handlungselementen. Auch dass Miguel Bosé die Existenz von | |
Corona anzweifelte und Verschwörungserzählungen rund um vermeintlichen | |
5G-Chips im Covid-Impfstoff verbreitete, thematisiert die Serie in keiner | |
Form. So wirkt „Bosé“ plötzlich wie ein Hochglanz-Pendant zur geplanten | |
Wendler-Sendung. Nur, dass Paramount+ eben keinen Rückzieher machte. | |
2 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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