# taz.de -- Prozessauftakt im Fall Dilan S.: Rechte in Widersprüchen verwickelt | |
> Sechs Erwachsene attackierten offenbar rassistisch motiviert eine | |
> 17-Jährige mitten in Berlin-Prenzlauer Berg. Vor Gericht stellen sie sich | |
> als Opfer dar. | |
Bild: Soll Anfang 2022 von 6 Erwachsenen, teils aus der rechten Szene, angegrif… | |
BERLIN taz | „Das ist jetzt irgendwie nicht stringent für mich“, sagte die | |
Richterin nach der Aussage der letzten Angeklagten, Jennifer M. Die | |
verhaspelte sich mehrmals bei ihrer Aussage, schwieg teilweise zu einzelnen | |
Fragen und verwickelte sich in Widersprüche. Am Ende fiel ihr dann | |
zumindest noch das ein, was die anderen Mitangeklagten bereits zugegeben | |
hatten – mehrere Beleidigungen, Drohungen und das Ziehen an den Haaren | |
einer 17-Jährigen. | |
Das war jedoch alles, was die sechs angeklagten erwachsenen Personen | |
zugeben wollten: Ansonsten inszenierten sie sich sogar als Opfer der | |
Teenagerin. | |
Der Fall hatte bundesweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen, auch weil die | |
Polizei zunächst geschrieben hatte, die 17-Jährige sei angegriffen worden, | |
weil sie keine Maske getragen habe. Dilan S. korrigierte das per | |
Instagram-Video, indem sie die rassistische Motivation und den Hergang der | |
Attacke schilderte. Das Video ging viral, die Polizei hat sich bis heute | |
nicht entschuldigt. | |
Dilan S. habe sie provoziert und während einer Auseinandersetzung | |
geschlagen, ist der Subtext der Aussagen der Angeklagten. Könne sein, dass | |
man „Halt die Fresse!“ oder das ein oder andere Schimpfwort gesagt habe, | |
aber ansonsten sei vor allem die 17-Jährige schuld gewesen an der | |
Auseinandersetzung am 5. Februar 2022 kurz nach 20 Uhr, die sich zunächst | |
in der Straßenbahn M4 und dann auch an der Haltestelle Greifswalder Straße | |
abgespielt haben soll. Und Rassisten seien die Beschuldigten auch nicht, | |
schließlich sei man ja auch mit Ausländern befreundet oder zusammen. Dabei | |
haben [1][Recherchen von taz], Antifa-Gruppen und [2][Tagesspiegel] zuvor | |
schon ergeben, dass einige der Angeklagten Teil einer rechtsoffenen | |
Kneipenszene aus dem Umfeld von BFC-Dynamo-Hooligans in Prenzlauer Berg | |
sind. Mehrere mutmaßliche Täter sind zudem polizeibekannt, auch wegen | |
rechtsextremer Straftaten. | |
## Angeklagt wegen rassistischer Motivation | |
Die von der Staatsanwaltschaft verlesene Anklage hörte sich dann auch | |
deutlich anders an: Angeklagt sind die sechs Erwachsenen zwischen 24 und 55 | |
Jahren, weil sie aus rassistischer Motivation die 17-jährige Dilan S. | |
attackiert haben sollen. Zunächst mit übelsten rassistischen Beleidigungen | |
und Drohungen, dann nach dem Ausstieg aus der Bahn auch mit Schlägen und | |
Tritten. Die Angeklagten waren betrunken und sollen sich dabei gegenseitig | |
und gemeinschaftlich bestärkt haben. Am Montag war der Prozessauftakt am | |
Amtsgericht Tiergarten. Ein [3][erster Termin wurde verschoben]. | |
Die geschädigte Dilan S., mittlerweile 18 Jahre, gab das Tatgeschehen | |
zusammenhängend wieder: Zunächst sei sie telefonierend in der Straßenbahn | |
von drei betrunkenen Gästen eingeengt worden, woraufhin sie sich auf die | |
andere Seite der Tram gestellt habe. Daraufhin folgten mehrere rassistische | |
Beleidigungen unter anderem als „Drecksausländerin“. Dilan S. habe | |
erwidert, dass sie Deutsche sei. Als S. versuchte, sich an der | |
Straßenhaltestelle der Situation zu entziehen, folgte ihr die Gruppe. | |
Als sie an der Haltestelle einem ersten Schlag von Jennifer G. ausweichen | |
wollte, sei sie rückwärts gegen einen 2 Meter großen Mann mit Glatze | |
gestoßen, den sie daraufhin um Hilfe bat. Es stellte sich heraus, dass es | |
Heiko S. war, ebenfalls Teil der Gruppe, der in der Straßenbahn aber noch | |
an einer anderen Tür gestanden habe. Polizeibekannt ist der 45-Jährige | |
bereits aus Ermittlungen wegen Körperverletzung und wegen eines | |
Hitler-Grußes. Heiko S. habe laut Dilan S. gesagt, „ich solle die Fresse | |
halten und aufpassen, wie ich mich in seinem Land benehme“. Es ist der | |
Moment, in dem sie vor Gericht in Tränen ausbricht. | |
Als sich Dilan S. wieder fängt, erzählt sie, wie sie weiter nach Hilfe | |
suchte – allerdings erneut an einen der Angeklagten geriet: An Rene H., | |
ebenfalls bekannt aus der rechtsoffenen Kneipenszene auf der Ecke. Er habe | |
sie ausgelacht. Eine dritte auf sie zustürmende Frau, Cornelia R., habe ihr | |
dann, wohl um ihr die Maske ins Gesicht zu zerren, ins Gesicht gegriffen. | |
Danach sei sie eingekreist worden. Beschimpfungen, Schläge und Tritte | |
folgten. Geholfen habe niemand an der Haltestelle. Sie habe ein | |
Schädel-Hirn-Trauma davongetragen, ein Bauchtrauma sowie Hämatome, sei drei | |
Tage im Krankenhaus gewesen, und noch immer sei sie in psychologischer | |
Behandlung, leide unter Flashbacks und Albträumen. Sie meide bis heute die | |
Greifswalder Straße. | |
## Mutmaßliche Haupttäterin gibt Beleidigungen zu | |
Jennifer G., die laut Staatsanwaltschaft Haupttäterin sei, stritt alle | |
körperlichen Angriffe ab. Beleidigungen gab sie allerdings zu, rassistisch | |
motivierte Beschimpfungen allerdings zunächst nicht. Erst bei Vorhaltungen | |
ihrer Aussagen bei der Polizei, wo sie angegeben hatte, Dilan S. als | |
„K******vieh“ beschimpft zu haben, sagte sie: „Kann schon sein, aber sie | |
ist ja auch ganz schön provozierend.“ Womit sie ihr Opfer meinte. Von sich | |
aus räumte G. ein, S. auf Arabisch als „Sharmuta“ (Hure) beschimpft zu | |
haben. G. ist Gastronomin und Inhaberin der Stammkneipe der Gruppe, der | |
„Ariya Lounge“, die mittlerweile als Treff von Neonazis bekannt ist. | |
Auch ansonsten hinterließen die Schilderungen der Angeklagten Fragezeichen: | |
Ein „Kumpel“ von Jennifer G., Matthias St., gab erst im Laufe der Befragung | |
zu, dass er gedroht habe, S. zu schlagen. Rassistische Beleidigungen habe | |
er aber nicht mitbekommen. | |
Cornelia R. immerhin gab zu, S. an den Haaren gezogen zu haben. Heiko S. | |
wiederum musste von der Richterin zurechtgewiesen werden, weil er mehrfach | |
laut in Richtung der Nebenanklage-Anwälte von Dilan S. wurde. | |
Dass die Auseinandersetzung rassistisch motiviert war, bekräftigte dann | |
auch der erste Zeuge, Tim V., der das Geschehen passiv in der Straßenbahn | |
verfolgt hatte. Er habe die Sätze „Verpiss dich aus meinem Land!“ und „e… | |
deutscher Pass macht einen noch lange nicht zu einem Deutschen gehört – | |
wohl von Heiko S. | |
Der Prozess wird am 17. April mit der Vernehmung weiterer Zeugen | |
fortgeführt. Vor Prozessbeginn hatten sich rund 40 antifaschistische | |
Protestierende mit Dilan S. solidarisiert. | |
4 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Prozess-um-rechte-Gewalt-gegen-Dilan-S/!5905184 | |
[2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/wegen-hitlergruss-und-korperverletzung-m… | |
[3] /Prozess-gegen-Angreifer-von-Dilan-S/!5906213 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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