# taz.de -- Das Präsidentenpaar von Nicaragua: Farce ist hier euphemistisch | |
> In Nicaragua schafft sich Präsident Daniel Ortega möglichst alle Kritiker | |
> vom Leib und will stattdessen seiner Frau ein hohes Amt schenken. | |
Bild: Daniel Ortega, Präsident von Nikaragua und seine Frau Rosario Murillo, A… | |
Wie recht Karl Marx doch hatte. Geschichte ereignet sich immer zweimal, | |
erst als Tragödie, dann als Farce. Gehört zu den Tragödien der | |
[1][nicaraguanischen Revolution] der US-finanzierte Contra-Krieg gegen die | |
linke Regierung der 1980er Jahre, so kann man das, was jetzt in dem Land | |
stattfindet, bestenfalls als Farce bezeichnen: Präsident Daniel Ortega | |
drischt alte revolutionäre Phrasen seiner Sandinistischen Befreiungsfront | |
(FSLN), die mit der Realität nichts zu tun haben. Und dessen Ehefrau | |
Rosario Murillo, behängt mit unzähligem Hippie-Arsenal, halluziniert ihre | |
Gegner als böswillige Geister und gründet eine „Stiftung zur Förderung der | |
Liebe“. | |
Jüngst hat Ortega nun bekanntgegeben, er wolle Murillo zur Co-Präsidentin | |
erklären. Dabei ist die 71-Jährige sowieso schon Vizepräsidentin, regiert | |
mit und hat sich als Expertin für Folter und Totschlag profiliert. Was sich | |
in der über 40-jährigen Partnerschaft des Paares jetzt geändert hat, ist | |
nicht ganz klar. Jedenfalls muss die Verfassung jetzt umgeschrieben werden, | |
damit die beiden ihren Traum der beziehungskollektiven Herrschaft über die | |
Bevölkerung ausleben können. | |
Das mag man irgendwie irre finden. Leider ist aber schon der Begriff der | |
Farce euphemistisch angesichts dessen, was das Duo anrichtet. Etwa die | |
tödlichen Angriffe auf die Protestbewegung von 2018 oder das Foltern in den | |
Knästen. Nun will sich das Herrscherpaar auch noch formal aller entledigen, | |
die es als Schädlinge betrachtet. Über 300 Oppositionellen wurde in den | |
vergangenen zwei Wochen die Staatsbürgerschaft aberkannt – 222 politische | |
Gefangene, die in die USA ausgeflogen wurden, und 94 Regimegegner*innen, | |
von denen die meisten schon im Ausland leben. | |
Systematisch schafft sich die Regierung so alle vom Leib, die eine | |
intellektuelle kritische Debatte noch möglich machen könnten: junge | |
Student*innen, befreiungstheologische Pfarrer und alte linke | |
Vordenker*innen, die mit Ortega gegen den Diktator Anastasio Somoza in der | |
FSLN kämpften. | |
Das Bemühen darum, einen totalitären Einheitsdiskurs durchzusetzen, trägt | |
deutlich stalinistische Züge. Zu den ersten Opfern zählen auch kritische | |
Journalist*innen und Autor*innen. Viele von ihnen leben längst im Exil. | |
## Kriminalisierung von Mitgliedern des PEN-Club | |
Sowohl der Schriftsteller und Cervantes-Preisträger Sergio Ramírez als auch | |
seine Kollegin Gioconda Belli und der Publizist Carlos Fernando Chamorro | |
wurden jetzt ausgebürgert. Bereits früher hat das Regime den PEN-Club und | |
die Akademie der Sprache kriminalisiert. Wichtige kulturelle | |
Veranstaltungen wie das Poesiefestival von Granada und das Literaturevent | |
Centroamerica Cuenta – Mittelamerika erzählt – können nicht mehr | |
stattfinden. | |
„Eine Regierung, die die Kultur zerstört, weil sie glaubt, dass sie eine | |
Gefahr für ihren Machterhalt ist, muss sofort verurteilt werden, besonders | |
von einer Linken, die sich demokratisch nennt“, schreibt Ligia Urroz in der | |
liberalen mexikanischen Zeitung Letras Libres. | |
Ja, das sollte man erwarten. Leider wartet man vergebens auf scharfe | |
Reaktionen linker Latino-Regierungen. Nur Chiles Regierung unter Präsident | |
Gabriel Boric sprach jetzt von einer „totalitären Diktatur, die jede | |
dissidente Stimme verfolgt“. Kolumbiens Staatschef Petro zeigte sich | |
„besorgt“, Mexiko will sich wie immer nicht einmischen und aus Brasilien | |
und Argentinien war kein Wort zu vernehmen. Wenig verwunderlich, dass die | |
meisten Regimegegner*innen auf die EU und die USA hoffen. | |
Zurück zur Farce. „Jetzt, wo du frei bist, Nicaraguita, mag ich dich noch | |
viel mehr“, sang [2][Carlos Mejía Godoy], nachdem die Sandinist*innen | |
1979 Somoza gestürzt hatten. Heute lebt der Musiker im Exil in Costa Rica. | |
Als dessen Sohn Carlos Luis 2022 von einer Auslandstournee nach Nicaragua | |
zurückwollte, wurde ihm die Einreise verboten. Er hatte das Lied „Adelante | |
Moninmbó“ – Vorwärts Monimbó – für die Menschen eines Stadtteils | |
komponiert, die immer besonders kämpferisch waren. Bei den Protesten von | |
2018 ebenso wie in der sandinistischen Revolution. | |
21 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Jahrestag-der-Revolution-in-Nicaragua/!5869340 | |
[2] /Liedermacherin-ueber-Lage-in-Nicaragua/!5536439 | |
## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
## TAGS | |
Kolumne Latin Affairs | |
Nicaragua | |
Meinungsfreiheit | |
Kolumne Latin Affairs | |
Nicaragua | |
Nicaragua | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neues Megagefängnis in El Salvador: Bilder absoluter Erniedrigung | |
El Salvadors Präsident Nayib Bukele lässt Bilder von Bandenhäftlingen | |
verbreiten, die schockieren. Er verfolgt ein bestimmtes Ziel damit. | |
Streit zwischen Nicaragua und Vatikan: Vom Heiligen Stuhl gefallen | |
Nicaraguas Präsident Daniel Ortega hat die diplomatischen Beziehungen zum | |
Vatikan abgebrochen. Papst Franziskus hat ihm Nazi-Methoden vorgeworfen. | |
Politische Gefangene über ihre Haft: „Nicaragua braucht eine Demokratie“ | |
Dora María Téllez war mal sandinistische Guerillakämpferin, später | |
Ministerin und saß unter Daniel Ortegas Regime bis Februar in | |
Isolationshaft. Ein Gespräch. |