# taz.de -- Berater über Spaniens Energieexporte: „Das ist kolonial“ | |
> Über 200 Bürgerinitiativen wehren sich dagegen, dass Spanien zum | |
> Energieversorger Europas wird. Denn das nütze nur den Konzernen, sagt | |
> Akivist Luis Bolonio. | |
Bild: Wohnen umgeben von Solaranlagen | |
taz: [1][Spanien will Energieversorger im großen Maßstab für den Rest | |
Europas] werden. Deshalb soll jetzt neben besseren Stromtrassen die | |
[2][Anbindung per Pipeline an Frankreich ausgebaut] werden. Diese neue | |
Rohrleitung soll zuerst Gas, aber bald schon grünen Wasserstoff befördern. | |
Sie stehen dem kritisch gegenüber, warum? | |
Luis Bolonio: Keiner hat die Spanier gefragt, ob sie Energieproduzent und | |
-lieferant für Mittel- und Nordeuropa werden wollen. Im Energieplan aus dem | |
Jahr 2020 steht nichts davon, dass die Anlagen für Erneuerbare Energie in | |
Spanien dazu dienen, andere Territorien zu versorgen. Es ist von | |
Nachhaltigkeit und Eigenbedarf die Rede. Die Regierung von | |
Ministerpräsident Pedro Sánchez muss einen neuen Plan vorlegen, in den | |
solche Großprojekte eingebunden werden. Und die Bevölkerung muss beteiligt | |
werden. | |
Aber wenn wir Europa ökologisch umbauen wollen, dann muss die Energie | |
irgendwo herkommen. Aliente – ein Bündnis von mehr als 200 | |
Bürgerinitiativen – ist gegen Großprojekte. Es liegt nahe, ihnen | |
vorzuwerfen, dass sie Feinde eines grünen Umbaus seien. | |
Wir sind nicht pauschal gegen Großprojekte. Wir wollen einen echten | |
Energiewandel, grün und gerecht zugleich. Wir wollen, dass die Europäischen | |
Richtlinien umgesetzt werden. Dort ist die Rede von Energieeffizienz und | |
Eigenverbrauch, nicht vom Energieexport. | |
Aber die europäische Wirtschaft ist ohne Makroprojekte nicht denkbar. | |
Nehmen wir Deutschland. Dort ist der Energieverbrauch so groß, dass Pläne | |
entstanden, in der Sahara Strom zu erzeugen und den dann nach Europa zu | |
bringen. Das erwies sich als nicht machbar. Aber Spanien könnt die Lösung | |
sein. Riesige leere Flächen, viele Sonne, Wind: geradezu ideale Bedingungen | |
für die Produktion Erneuerbarer Energie im großen Stile. | |
Das ist das, was Europa will, ohne die Bevölkerung in Spanien in diese | |
Entscheidung einzubinden. In Deutschland gibt es sehr viel Widerstand gegen | |
Windkraftprojekte in Regionen, die sich als Opfer dieser Entwicklung sehen. | |
Wenn sie es in Deutschland nicht wollen, warum sollen wir das dann hier | |
hinnehmen? Der Ausbau der Großprojekte für den Verbrauch irgendwo anders | |
inner- und außerhalb Spaniens ist ein koloniales Projekt. | |
Kolonial? | |
Ja, da werden ganze Landstriche besetzt, um irgendwo anders Reichtum zu | |
schaffen. Das wird die Entwicklung auf dem Land in Spanien noch weiter | |
verlangsamen. [3][Die Landflucht verstärken.] Es muss den Betroffenen | |
erklärt werden, was der Plan ist, wer davon profitiert und was ihre Region | |
davon hat. Neben den Auswirkungen auf die Umwelt stellen sich auch soziale | |
Fragen – und ganz konkret die Frage nach den Gewinnen bei der Produktion | |
Erneuerbarer Energien. Bleibt Geld vor Ort? Hat die betroffene Bevölkerung | |
was davon? Doch darum geht es nie. | |
Was wäre die Alternative zu Großprojekten und Energiexport? | |
Zuerst einmal: die Energie effizienter zu nutzen, so wie das die | |
EU-Richtlinien vorsehen. Es gibt Studien, die belegen, dass wir in Europa | |
rund zwei Drittel der Energie einsparen könnten, ohne Wohlstand zu | |
verlieren. Und zweitens: die Kapazitäten zur Energieerzeugung in der | |
unmittelbaren Nähe zu den Verbrauchern errichten. Nicht zuletzt, weil dies | |
wesentlich effizienter ist, als Energie über Tausende von Kilometern zu | |
transportieren. Dabei geht viel Strom verloren. Wir verzichten darauf, | |
effizient zu sein, um die wirtschaftlichen Interessen einiger Weniger zu | |
bedienen. | |
Wir können doch nicht die Industrie in Mittel- und Nordeuropa mit | |
Solarpanels auf den umliegenden Dächern versorgen! | |
Genau deshalb muss ein realistischer Plan her, etwas, was bis heute nicht | |
gemacht wurde. So wurde uns etwa von Seiten der Regierung immer | |
entgegengehalten, dass die Kapazität auf den Dächern in Spanien maximal 7 | |
Gigawatt ausmacht. Jetzt hat dieselbe Regierung einen Plan für den | |
Eigenverbrauch aufgelegt und spricht plötzlich von 170 Gigawatt. Bis 2030 | |
sollen davon 14 Gigawatt installiert werden. Über Großprojekte weitere 39 | |
Gigawatt. Dass das mit Dächern nicht geht – da müssen wir wohl umdenken. | |
Aber das reicht auch nicht. | |
Deshalb haben wir bei Aliente eine Studie erstellt, um zu sehen, wie groß | |
das Potenzial an degradierten Gebieten ist – wie etwa stillgelegte | |
Bergwerke, Müllhalden, Streifen neben den Landstraßen. Diese Ländereien | |
bieten Platz für wesentlich mehr Kapazität als wir brauchen, ohne neue | |
Ländereien zu schädigen. Doch der Ausbau geschieht ohne richtige Planung. | |
Deshalb handelt unserer Ansicht nach die Regierung verantwortungslos. Wir | |
können alles machen, was wir brauchen, aber wir können es anders machen als | |
bisher. Es muss dabei um das Allgemeinwohl gehen und nicht um die | |
Interessen der multinationalen Unternehmen und Energieversorger. | |
Sie reden von den Europäischen Richtlinien. Aber der Plan, Spanien zum | |
Energieproduzenten zu machen, hat den Rückhalt von Brüssel. | |
Ministerpräsident Pedro Sánchez hofft auf Zuschüsse aus den EU-Fonds Next | |
Generation. | |
Klar, es geht schließlich um Deutschland und die deutsche Industrie. | |
Natürlich unterstützt Brüssel das und vergisst dabei die eigenen | |
Richtlinien. | |
Bleibt das Problem, dass es Gebiete, ja ganze Länder gibt, in denen der | |
Verbrauch so hoch ist, dass es nicht ohne Energieimport geht, also ohne | |
das, was sie Kolonialismus nennen. | |
Okay, dann müssen Beziehungen auf solidarischer Ebene entstehen. Es müssen | |
gerechte Beziehungen sein. Es kann nicht angehen, dass auf der einen Seite | |
Ländereien und die Lebensgrundlage der ortsansässigen Bevölkerung zerstört | |
werden, um irgendwo anders die Industrie am Laufen zu halten. Und die | |
Gewinne kommen nur einigen wenigen Unternehmen zu gute. Bisher sieht das so | |
aus, dass ein Investor ein Projekt errichtet und den Strom direkt an ein | |
Unternehmen in Spanien, in Deutschland oder sonstwo verkauft. Die | |
Bevölkerung vor Ort hat nichts davon. Das ist kein Energiewandel sondern | |
Plünderung. Wenn wir das nicht ändern, wird es zu sozialen Problemen und zu | |
Widerstand führen, der den Ausbau der Erneuerbaren bedroht. Wir wollen | |
demokratische Beziehungen anstatt dass sich eine Territorium über ein | |
anderes erhebt, weil es mehr wirtschaftliche Macht hat. | |
31 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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