# taz.de -- Tagebuch aus Lützerath (12): Die Räumpanzer sind da, ich bin weg | |
> Fast zwei Wochen lebte unser Autor bei den Besetzer:innen. Am Tag der | |
> Räumung verbrachte er ein paar Stunden in einer kleinen Holzhütte. | |
Bild: Die Bezugsgruppe in der Hütte | |
Der Energiekonzern RWE will den Weiler Lützerath abreißen, um seinen | |
Braunkohleabbau auszuweiten. Die Besetzer:innen wehren sich. Die | |
Räumung ist in vollem Gange. Unsere Autor:innen Aron Boks und Annika | |
Reiß haben mit den Aktivist:innen vor Ort gelebt. [1][Ein Tagebuch]. | |
Ich sehe das Dorf aus einem Autofenster. Alles, was ich jetzt noch bei | |
dieser Besetzung dabei habe, sind eine Regenjacke, Zigaretten, ein | |
Schokoriegel. Und meine Erinnerung an den 11. Januar. Der Rest liegt in dem | |
besetzten Haus, in dem ich über zwei Wochen mit Klimaaktivist:innen | |
gelebt habe. | |
Alles beginnt mit dem Großalarm [2][um 7:30 Uhr am Dienstagmorgen]. | |
[3][Am Vortag] habe ich dort noch eine Bezugsgruppe, mit der ich mich auf | |
die Räumung des Dorfes vorbereiten wollte, gebildet. Die Räumung stand | |
unmittelbar bevor. Die Wehr dagegen auch. Was wir gemeinsam machen, wenn | |
die Sache hier richtig eskaliert, wollten wir gemeinsam im Plenum | |
entscheiden, das wäre um 10 Uhr gewesen. Nur hatte keiner gedacht, dass | |
wirklich das ganze Dorf bereits um 9 Uhr voll mit Polizist:innen ist. | |
Also rennen wir einfach. | |
Aus dem Augenwinkel sehe ich Polizist:innen in schwarzen und weißen | |
Helmen, mit Schildern und Knüppeln. Es fliegen Steine. Glasgeklirr, | |
Feuergeruch. | |
Wir erreichen eine Hütte, die von Baumhäusern umringt ist. Meine | |
Bezugsmenschen und ich halten uns an den Händen. Ab jetzt besetzen wir wohl | |
diese Hütte. Aber da die Polizei fünf Meter daneben steht, ist das auch nur | |
noch eine Sache von fünf Minuten oder so. | |
Ich sehe in die Runde. Ich habe hier nie eine Presseweste oder | |
Akkreditierung bei mir getragen, da ich quasi mit den Augen der anderen | |
erfahren wollte, was mit Menschen passiert, die gegen die derzeitige | |
Klimapolitik protestieren. Aber was hundert Meter weiter im Dorf abgeht, | |
weiß ich nicht. | |
Mit mir sitzen hier: eine Studentin, eine Künstlerin, ein Handwerker, der | |
von allen Künstler genannt wird. Zudem ein Geschäftsführer eines | |
Photovoltaikunternehmens und zwei Studierende der Agrarwissenschaften und | |
des nachhaltigen Gartenbaus, von dem sich einer „Gärtner“ nennt. Es ist | |
ihnen wichtig, dass ich das notiere und auch, dass sie hier sitzen bleiben | |
wollen, mit mir. | |
Um uns herum knallt es. | |
„Wollen Sie freiwillig das Haus verlassen?“, fragt ein Polizist und spricht | |
von Hausfriedensbruch. | |
„Nein!“, rufen alle. Kurz darauf stimmt jemand die Melodie von „Heyo, spa… | |
den Wagen an“ zu singen. „Wehrt euch, leistet Widerstand, gegen die | |
Braunkohle hier im Land“. Wenig später ertönt ein Sprachchor aus der | |
Richtung des Hauses, aus dem wir geflohen sind und das gerade verteidigt | |
wird. „Du bist nicht allein“, rufen hundert Stimmen. | |
„Für die sind wir hier Leute“, sagt der Geschäftsführer in irgendeinem | |
Dialekt, der jeden ernsthaften Satz etwas lustiger klingen lässt. Ich | |
glaube, er kommt aus Mainz. Aber biografische Infos tauschen wir erst aus, | |
wenn das hier vorbei ist. Gestern haben wir noch von Tagen, vielleicht | |
Wochen geredet – wie alle hier in Lützerath. Aber da wusste auch keiner, | |
dass dieselben bald von tausenden Polizist:innen reden, die zum Dorf | |
geschickt werden. Zwei davon sehe ich, sobald ich unter die Tür schaue. | |
„Ich glaube, der eine da drin will hier bleiben“, höre ich einen Polizisten | |
sagen. „Die wollen hier alle bleiben, denkst du, die kommen hierher, um | |
einfach mal friedlich rauszugehen?“ | |
Der Gärtner tippt mir auf den Arm, ich darf mich jetzt ans Fenster setzen, | |
um zu rauchen. Das heißt, wir sitzen hier schon seit einer Stunde. Ich | |
hatte nach fünf Minuten Besetzung die Abstimmung, ob das hier ein | |
Raucherraum wird, ausgerufen. Kompromiss: eine Zigarette pro Stunde. | |
„Lützi, Lützi, Lützi!“, schreit es aus den Baumhäusern. | |
„Bleibt, bleibt, bleibt!“, ruft meine Hütte. Rufe ich auch. Das mit der | |
Presserolle war doch hier auch mehr Idee als Praxis, denke ich. Seit zwei | |
Wochen lebte ich hier mit Menschen, die nicht nur eine alternative Form des | |
Zusammenlebens praktizieren, sondern Widerstand gegen eine politische | |
Fehlentscheidung leisten. Ein paar Tage meines Lebens habe ich dieses Leben | |
mitgemacht, für die meisten Menschen hier endet es nicht. Und jetzt sitze | |
ich hier in dieser Hütte, während von allen Seiten geräumt werden kann, und | |
sehe kaum etwas. | |
Der Handwerker-Künstler entdeckt ein Radio und schaltet die Frequenz ein, | |
die hier jede:r im Dorf kennt. Ein paar der Aktivist:innen hatten vor | |
Kurzem eine eigene Radiostation eingerichtet. Jetzt rauscht es nur. | |
„Lützi ist tot“, sagt die Studentin. | |
„Sag so was nicht!“, ruft die Gärtnerin. | |
Eine weitere Stunde verstreicht und ich habe noch genau eine Zigarette. Aus | |
dem Fenster sehe ich, wie die Polizei um das Haus geht. | |
Kurz darauf erreicht eine aus der Runde die SMS ihrer Mutter: „Stimmen, die | |
ein Moratorium für die Räumung fordern, werden immer lauter und mehr. Die | |
Demo am Samstag wird riesig und ich glaube, dass es noch eine Wende gibt. | |
(…) Nächste Woche sieht die Lage anders aus. Alles deutet darauf hin, dass | |
die Entscheidung geändert wird. Auch wenn es vor Ort nicht so aussieht, ich | |
bin zuversichtlich. Die Medien sind voll davon. Und der Druck auf die | |
Politik immer größer. Ich umarme dich!“ | |
„Isch muss gleisch weinen“, sagt der Geschäftsführer mit dem Dialekt, der | |
alles irgendwie schöner klingen lässt. | |
Meine Bezugsgruppe und ich sitzen inzwischen seit fünf Stunden im Kreis in | |
einer Holzhütte mitten im Dorf, wir halten uns an den Händen. Es hämmert an | |
der Tür. „Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass Sie hier Widerstand | |
leisten!“, ruft ein Polizist. | |
„Wir sind friedlich!“, ruft der Gärtner. Und die anderen stimmen wieder das | |
Lied an. | |
Kurz darauf wird meine Bezugsgruppe getrennt. Auf die weiblich Aussehenden | |
kommen jeweils zwei Polizisten mit Helm, für die männlich Aussehenden | |
reicht einer und ich sehe, wie jedem von denen erst einmal der Kopf nach | |
hinten gedrückt wird. Ich bin nicht vermummt und beteure, friedlich zu | |
sein. „Ich kann dir auch gleich den Finger brechen!“, ruft einer der | |
Polizisten. | |
Nicht mal bei so einer polizeilichen Räumung kann ich aufhören, alles zu | |
kommentieren. „Sie haben gehört, was ihr Kollege da zu mir gesagt hat?“, | |
rufe ich zwei Polizisten draußen entgegen, die jetzt für mich zuständig | |
sind. Das, was ich tue, sei passiver Widerstand, wechselt einer der | |
Polizisten das Thema. Aktiver Widerstand wäre, wenn ich mich beim | |
Raustragen hängen lasse. Dann müssten sie härter zugreifen. Ich hab’s | |
probiert. Zwei Sekunden. Dann hat es zu sehr weh getan. | |
Immerhin fand dann irgendetwas in mir die Idee besonders originell, genau | |
jetzt mit den zwei Polizisten eine Diskussion über diesen Protest zu | |
führen. Dass es doch falsch wäre, dieses Dorf für den Braunkohleabbau | |
plattzumachen. | |
Zwei Stunden später sitze ich in einem Auto, mit Leuten, die mich für die | |
Nacht in ein legales Protestcamp fahren. Meine Bezugsgruppe ist auch dort. | |
Immer mehr Polizeiwagen, Wasserwerfer und ein Räumpanzer fahren an uns | |
vorbei. Räumpanzer und Tausende Polizist:innen, die einen Protest | |
zerschlagen sollen, der auf eine politische Fehlentscheidung hinweist. | |
„Und was wäre, wenn ich wieder reingehe?“, hatte ich den Polizisten | |
gefragt, als er mich zum Zaun geschafft hat. | |
„Das schaffst du nicht!“, entgegnete er mir. | |
Dann gingen sie zurück ins Dorf und vor dem Zaun verabschiedete ich meine | |
Bezugsgruppe. Die Polizei wollte nicht einmal meine Personalien sehen. | |
Meine Zeit in Lützerath ist jetzt vorbei. | |
12 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Aron Boks | |
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