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# taz.de -- Mutmaßlicher Übergriff bei Reality-Show: Der Fall „Princess Cha…
> Eine Reality-Kandidatin wirft der anderen einen sexuellen Übergriff vor.
> Diese gibt alles zu, dann doch nicht. Was geschah bei „Princess
> Charming“?
Bild: Für den Sender RTL ist die Sache klar: Was in der „Princess“-Villa g…
Berlin taz | Der Fall schien zunächst eindeutig. Die Kandidatin Jo aus der
RTL-Datingshow [1][„Princess Charming“] erhob Vorwürfe gegen ihre
Mit-Kandidatin Wiki. Wiki sei beim Dreh sexuell übergriffig gegen sie
gewesen, sagte Jo in einem Instagram-Videoposting im November. Der
Übergriff habe sich 2020 am Set der ersten Staffel der RTL-Datingshow
zugetragen.
Die mutmaßliche Täterin Wiki reagiert umgehend und gesteht die Tat, in
einem eigenen Posting. Zweifelsfreie Sache, so scheint es. Doch RTL und die
Produktionsfirma Seapoint, widersprechen: Es habe keinen Übergriff gegeben.
Dann, Wochen später, kurz vor Weihnachten, ändert Wiki ihre Aussage. Was
damals passiert ist, sei eine einvernehmliche Situation gewesen, sagt sie
bei Instagram.
Der Fall „Princess Charming“ ist rätselhaft und ungewöhnlich. Aber er
verrät viel über Reality-TV. Und er wirft wichtige Fragen auf, bezüglich
Einvernehmlichkeit und Verantwortung.
[2][Reality-Shows haben keinen guten Ruf]. Die Kandidat*innen würden
vor laufender Kamera zur Schau gestellt, ist ein häufiger Vorwurf.
Herabwürdigendes Verhalten werde dabei in Kauf genommen. „Princess
Charming“ dagegen überraschte positiv. Das Prinzip der Show: Knapp 20
Singles ziehen in eine Villa. In Dates sollen die die „Princess“
kennenernen. Die wählt am Ende eine Kandidat*in aus, die ihr Herz
gewonnen hat. Es war die weltweit erste lesbische Datingshow – und sie fiel
dadurch auf, dass sie nicht etwa Mobbing zeigte oder ständige Streitereien.
Stattdessen thematisierten die Kandidat*innen diskriminierendes
Verhalten und empowernde Momente, die sie erlebt hatten. Eine ersehnte
politische Bühne für die LGBTIQ-Szene, hieß es in der Presse.
## Ein Gutachten schließt auf Einvernehmlichkeit
Doch das Bild der guten Reality-Show gerät ins Wanken, als am 14. November,
knapp anderthalb Jahre nach der Ausstrahlung der ersten Staffel, Jo die
Vorwürfe gegen Wiki erstmals äußert. Jo sagt auf Instagram: Wiki habe sich
in einer Nacht in der Villa, die alle Kandidatinnen bei Dreh gemeinsam
bewohnen, sehr nah an sie gelegt und habe versucht sie zu küssen. Nachdem
sie, Jo, „Nein“ gesagt habe, soll Wiki ihre Arme über dem Kopf festgehalten
und abermals versucht haben, Jo zu küssen. Am Tag darauf habe Jo erfahren,
dass Wiki zu diesem Zeitpunkt unten nackt gewesen sei. „Ich habe das am Tag
darauf schon für mich als sexuellen Übergriff deklarieren können“, sagt Jo
in dem Posting. Es ist weiterhin bei Instagram Online, darunter über
tausend Kommentare. Die meisten bedanken sich für Jos Mut.
Die Reaktion von Wiki erscheint einen Tag später, ebenfalls ein
Instagram-Video. Wiki bestätigt, dass der Übergriff genau so stattgefunden
habe. Sie sagt, man solle bitte nicht von einem „Vorwurf“ sprechen, da Jos
Aussagen zuträfen. Wenig später ist Wikis Account offline. Das Video liegt
der taz aber vor. Wiki selbst hat sich der taz gegenüber trotz mehrfacher
Anfragen in den letzten Wochen nicht geäußert.
Bis Produktionsfirma und Sender sich äußern, dauert es ein paar Tage. Am
18. November veröffentlicht der Account „charmings.official“ ein kurzes
Statement: „Die Details und das Ausmaß des von Jo beschriebenen Vorfalls
und ihre Einordnung der Situation waren uns so nicht bekannt.“ Eine Woche
später folgt ein weiteres Statement auf dem gleichen Account: „Ein
unabhänger Anwalt für Strafrecht ist jetzt – nach Überprüfung des
kompletten Rohmaterials inklusive des Interviews vom nächsten Tag – in
einem Gutachten zu der Auffassung gekommen dass das Bildmaterial ‚eindeutig
für eine Einvernehmlichkeit spricht‘ und ‚eine strafbare (ggf. versuchte)
sexuelle Nötigung (…) bzw eine sexuelle Belästigung (…) nicht belegbar
sind‘“. Bei Instagram wird der Umgang des Senders und der Produktionsfirma
mit der Betroffenen daraufhin von vielen als unsensibel kritisiert.
Das Gutachten des Anwalts liegt der taz vor. Darin wird beschrieben, wie
Wiki auf Jo liege und die beiden „sehr vertraut“ wirkten. Weiter heißt es:
Ein Kussversuch sei nicht erkennbar und ein „Nein“ von Jo nicht hörbar. An
dieser Stelle wird angefügt, dass das Gespräch der beiden „insgesamt nicht
vollständig zu verstehen ist“. Das Gutachten kommt aber zu dem Schluss,
dass „das Bildmaterial eindeutig für eine Einvernehmlichkeit spricht.“
## Die Netzgemeinde analysiert jede Bewegung
In dem geschnittenen Material von den Kameras in der Villa sind sowohl die
Schilderungen von Jo als auch die aus dem Gutachten größtenteils erkennbar.
Trotz zwei Kameraperspektiven ist ein Kussversuch nicht zu sehen,
allerdings sind die Gesichter der beiden teilweise durch Wikis Haare oder
eine Decke verdeckt. Klar ist: Es ist nicht alles auf Film, was passiert
ist. Die Gespräche der beiden sind, wenn überhaupt, nur im Ansatz zu hören.
In der Nacht nehmen die Kandidat*innen in der Regel die Mikrofone vom
Körper und legen sie auf den Nachttisch.
Das Videomaterial hat RTL den beiden Kandidatinnen zur Verfügung gestellt.
Wiki sagt, für sie ändere das Material alles. In einem Posting, das sie am
23. Dezember bei Instagram hochlädt, sagt sie, dass sie nun sicher sei: Was
zwischen ihr und Jo passiert sei, sei einvernehmlich gewesen. Ihr zunächst
gepostetes Geständnis erklärt sie so: Sie habe sich nicht mehr an alles
erinnern können aus der Nacht und habe nach dem Prinzip handeln wollen,
dass man Betroffenen glauben solle. Das Videomaterial habe nun aber
Klarheit geschaffen.
Wiki hat das 25-minütige Material aus der Nacht in der Villa bei YouTube
hochgeladen. Unter den intimen Aufnahmen analysieren nun Nutzer*innen in
den Kommentaren die Körpersprache der beiden Kandidatinnen und fällen
Urteile darüber, ob hier ein Übergriff vorliege oder nicht. Jo sagt der
taz, dass sie nicht gefragt worden sei, ob sie mit dem Hochladen des
Materials einverstanden ist. Sie selbst habe diese Bilder lange nicht sehen
wollen aus Angst vor einer Retraumatisierung. Mittlerweile habe sie sie
angeschaut: „Es zeigt den Übergriff an mir genau wie ich ihn erinnere“,
sagte Jo. „Dass Wiki dieses Videomaterial heranzieht, um ein Narrativ der
‚Fakten‘ aufzubauen und um zu suggerieren, meine Wahrheit wäre eine Lüge,
ist fatal für mich und weitere Betroffene.“
Für Jo ist das Material kein Beweis für eine Einvernehmlichkeit. „Die
Interaktion mit Wiki geschah so lange in meinem Einverständnis, bis sie
sich mit nacktem Unterkörper auf mich legt und meine Hände über meinen Kopf
hält.“
## Was übergriffige Handlungen begünstigt
Daraus, dass keine rohe Gewalt zu sehen ist und die beiden intim
miteinander sind, schließen viele im Netz jetzt: ein Übergriff sei
ausgeschlossen. Doch wo hört Einvernehmlichkeit auf? Ist sie gegeben, bloß
weil kein „Nein“ zu hören ist? Reicht es nicht als Übergriff, dass eine
Person sich nackt zu einer anderen legt, die das nicht weiß?
Kann ein Video allein einen Übergriff beweisen – oder ausschließen?
Vieles am Set von Reality-Shows begünstigt übergriffiges Verhalten. Da
unterscheidet „Princess Charming“ sich kaum von anderen Shows: Die
Kandidat*innen dürfen keinen Kontakt zur Außenwelt haben, trinken
Unmengen an Alkohol und werden in langen Einzelinterviews ausgefragt: über
andere Kandidat*innen und zu bestimmten Situationen. Die einzigen
Menschen, an die sie sich wenden können, sind die vom Produktionsteam.
Gerade die suchen aber nach spannenden Geschichten. Ein echtes
Vertrauensverhältnis fehlt. Psychologische Hilfe am Set bieten nur wenige
Reality-Sendungen an. Bei „Princess Charming“ gab es keine, bestätigt RTL.
Jo geht es nicht nur um das Verhalten von Wiki, sagt sie der taz. Es gehe
auch um Produktion und Sender. Nach dem Vorfall in der Villa sei Jo am
nächsten Morgen ins Einzelinterview gebeten worden. Sie habe mehrfach
wiedergeben sollen, was passiert war. „Ich musste mein Handeln erklären und
wurde mehrmals gefragt, warum ich Wiki denn nicht küssen wollte.“ Und
weiter: „Ich habe es in dem Moment nicht als sexuellen Übergriff benannt,
aber kurz darauf klar gemacht, dass das gegen meinen Willen passiert ist
und ich in dem Moment nicht näher darüber sprechen konnte.“ RTL bestätigt
auf Anfrage, dass in dem Gespräch gefragt wurde, warum Jo Wiki nicht küssen
wollte.
Jo sagt, zu diesem Zeitpunkt habe sie nicht klar formulieren können, was
ihr geholfen hätte. Heute schon: „Die Produktion hätte erkennen müssen,
dass es mir nicht gut geht und hätte das Interview vor laufender Kamera
beenden müssen. Ich hätte mir gewünscht, dass Wiki die Show verlässt und
mir psychologische Hilfe angeboten wird.“ RTL und Seapoint sagen, ihnen sei
die Situation damals nicht als Übergriff geschildert worden. „Sonst hätten
wir auch schon damals unsere Hilfe angeboten“.
## Wie soll es weitergehen bei „Princess Charming“?
Die Aufarbeitung des Falls ist aus Sicht von Sender und Produktionsfirma
vorerst beendet. „Jo hat zu unserem Bedauern alle Angebote abgelehnt, was
eine finale Klärung und Aufarbeitung der Situation leider unmöglich macht“,
heißt es in der schriftlichen Antwort an die taz. Auch Wiki sagt in ihrem
jüngsten Instagram-Video, dass sie gerne „professionell begleitet“ mit Jo
gesprochen hätte. Jo entgegnet gegenüber der taz: „Die Kommunikation mit
Seapoint und der WhatsApp-Austausch mit Wiki sowie das Drängen auf eine
Sichtung des Übergriffs meinerseites haben mich enorm unter Druck gesetzt.“
Dass der Sender unausgestrahltes Material einer Reality-Show herausgibt,
ist ungewöhnlich. Dass Kandidat*innen öffentlich über Erlebnisse am Set
sprechen, erst recht. Verschwiegenheitserklärungen verhindern dies
normalerweise. Vielleicht stößt der Fall also einen Wandel an. Mittlerweile
hat eine weitere Kandidatin aus der ersten Staffel eine andere Kandidatin
des sexuellen Übergriffs beschuldigt. Man sei mit beiden Parteien im
Austausch, sagen RTL und Seapoint auf Anfrage. Videomaterial der Situation
existiere in diesem Fall nicht, deshalb sei auch kein Gutachten geplant.
Jo sagt, sie wolle nicht, dass „Princess Charming“ beendet wird – sondern
verbessert. Sie wünsche sich ein Umdenken. „Dass das Produktionsteam
Verantwortung übernimmt und Strategien entwickelt, damit
grenzüberschreitendes Verhalten am Set nicht begünstigt wird“. RTL sagt,
ein entsprechender Präventionsleitfaden werde nach dem Fall nun erweitert.
Ob es künftig am Set anders zugehen wird, bleibt offen. Ebenso, ob es ein
„künftig“ überhaupt gibt. Auf Nachfrage nach einer dritten Staffel
„Princess Charming“ sagt RTL nur: „Das geben wir rechtzeitig bekannt.“
27 Dec 2022
## LINKS
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[2] /Faszinosum-Reality-TV/!5722874
## AUTOREN
Carolina Schwarz
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