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# taz.de -- Doku über Kriminalitätsbekämpfung: Polizistin im „Nutten-Outfi…
> In „Reeperbahn Spezialeinheit FD65“ geht es um die Polizeieinheit zur
> Bekämpfung organisierter Kriminalität. Erzählt aus der Perspektive der
> Frauen.
Bild: „Reeperbahn Special Unit 65“ erzählt vom Kampf gegen das Organisiert…
Wenn Ingrid Freise in den 1980er Jahren morgens um sieben von der Arbeit
nach Hause kam, lag ihr Ehemann häufig mit offenen Augen im Bett und sagte:
„Oh, Gottseidank bist du wieder da.“ Diese Stoßseufzer erklären sich
dadurch, dass die Gattin einen nicht ungefährlichen Job hatte, „für den
man, glaube ich, ein bisschen verrückt sein muss“, wie sie selbst sagt.
Die heutige Rentnerin war für die Fachdirektion 65 der Hamburger Polizei
für Observationen und verdeckte Ermittlungen im Rotlichtmilieu zuständig
und sei daher nachts „im Nutten-Outfit, sag’ ich jetzt mal“ unterwegs
gewesen. Ihre Beziehung habe vertauschte Rollen gehabt, sagt sie.
Normalerweise lägen ja die Ehefrauen von Polizistinnen im Bett wach im Bett
und fragten sich, „wann der Mann denn nun heil nach Hause kommt“.
Die Fachdirektion 65 war Deutschlands erste Polizeieinheit zur Bekämpfung
organisierter Kriminalität. Die Geschichte dieser Elitetruppe erzählt das
Regisseur*innen-Trio Carsten Gutschmidt, Ina Kessebohm und Georg
Tschurtschenthaler in der ARD-Serie „Reeperbahn Spezialeinheit FD65“. Der
Schauplatz St. Pauli dient in fünf dreiviertelstündigen Folgen als
Ausgangspunkt, um die Anfänge des Kampfes gegen organisierte Kriminalität
und deren internationalen Strukturen zu rekapitulieren.
Der Ansatz der Macher*innen ist es, ihre Geschichte zu einem
wesentlichen Teil aus einer weiblichen Perspektive zu erzählen. Das gilt
für Ingrid Freise und andere Kolleginnen, die begonnen hatten, sich in den
1970er und 1980er Jahren im Polizeibetrieb für Frauen noch ungewöhnliche
Positionen zu erkämpfen. Es gilt aber auch fürs Rotlichtmilieu selbst. Zwar
kommen auch die üblichen finsteren Gesellen aus der Szene zu Wort, doch
Prostituierte bekommen hier viel mehr Raum als sonst, um ihre Geschichten
zu erzählen.
Die Emanzipationsentwicklungen bei der Polizei werden in einen
gesamtgesellschaftlichen Kontext eingeordnet. So ist in einem
Archivausschnitt aus dem Bundestag von 1983 Marie-Luise Beck-Oberdorf
(heute Beck) zu sehen. Sie war damals die erste Frau, die in der Geschichte
des Parlaments für die Opposition die Erwiderungsrede auf eine
Regierungserklärung hielt. An dieser Stelle schlägt die von der Firma
Gebrüder Beetz produzierte Doku-Serie eine Art unsichtbaren Bogen in die
Gegenwart, in der Beck wegen ihrer Ukraine-Expertise als Interviewpartnerin
oder Talkshowgast sehr präsent ist.
Ihre historische Doku-Serie „Rohwedder“ (über den 1991 verübten, bis heute
ungeklärten Mord an dem Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder) hatten die
Gebrüder Beetz 2020 noch für Netflix produziert. Bei „Reeperbahn
Spezialeinheit FD65“ habe man sich nun „bewusst für die
öffentlich-rechtlichen Sender entschieden, um mehr Platz für
sozial-politische Themen zu bekommen, die auf Netflix so keinen Platz mehr
haben würden“, sagt Christian Beetz. Es habe bei den Streaming-Diensten
„eine wilde Zeit“ gegeben, als sie „an außergewöhnlichen dokumentarisch…
Stoffen interessiert waren“, aber mittlerweile seien sie „immer
kommerzieller“ geworden. „Dramaturgie steht über Inhalt, immer stärker
jedenfalls“, so Beetz.
Als Lockpunkte für gesellschafts-historische Themen dienen in „Reeperbahn
Spezialeinheit FD65“ immer wieder True-Crime-Elemente, etwa in der vierten
und fünften Folge, als es um den Auftragskiller Werner Pinzner geht, der
mehrere Geschäftsmänner aus dem Rotlichtmilieu umbrachte. Da beschreibt ein
Polizist, der damals im Einsatz war, dann schon mal, in welcher Position am
Tatort die Leichen lagen. Oder es fallen Sätze wie „Das Projektil konnte
man durch die Haut tasten“.
„Reeperbahn Spezialeinheit FD65“ zeichnet sich durch eine virtuose
Gesamtkomposition aus. Spielszenen finden nur sehr dezent Verwendung, sie
wirken hier eher wie atmosphärische Bildtupfer. Manchmal sind die Übergänge
zwischen dem dokumentarischen Teil und den nachgestellten Szenen gar nicht
sofort spürbar, und das liegt auch daran, dass die Macher*innen ihre
Protagonist*innen teilweise gebeten haben, Szenen aus ihrem damaligen
Berufsalltag nachzuspielen.
Polizistinnen und Polizisten werden hier als Helden des Alltags
beschrieben, aber kritische Aspekte kommen nicht zu kurz. Im fünften Teil,
in dem es unter anderem darum geht, wie sich St. Pauli Anfang und Mitte der
1980er Jahre durch die Besetzung der Hafenstraße verändert, erzählt Thomas
Hirschbiegel von der Hamburger Morgenpost von illegalen Aktionen der
Polizei.
Teilweise hätten sich „nachts Polizisten auf der Davidwache getroffen“, um
sich quasi privat für Razzien in einer Linken-Kneipe zu verabreden, von
denen die Einsatzleitung oder Polizeiführung nichts gewusst hätten.
Polizeireporter Hirschbiegel indes war eingeweiht und durfte fotografieren.
Er habe damals „auf der Seite der Polizei“ gestanden, sagt er. Für
Polizeireporter ist das ja nicht ungewöhnlich.
„Reeperbahn Spezialeinheit FD65“, fünf Folgen in der ARD-Mediathek;
90-minütige Fassung: Sonntag, 21.45 Uhr, ARD
29 Oct 2022
## AUTOREN
René Martens
## TAGS
Polizei
Doku
Tatort
Schwerpunkt Stadtland
TV-Krimi
HBO
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