# taz.de -- Prozess gegen Reichsideologin: Nicht von dieser Welt | |
> Vor dem Landgericht Lüneburg propagierte eine 61-Jährige Reichsideologin | |
> ihre Überzeugungen und verweigerte ansonsten jegliche Kooperation. | |
Bild: Angeklagt unter anderem wegen Volksverhetzung: Heike Werding neben ihrem … | |
LÜNEBURG taz | Wenn eine Reichsideologin vor Gericht steht, sind die | |
Sicherheitsvorkehrungen hoch: Personalausweis vorzeigen, Personenkontrolle. | |
Am Donnerstagvormittag begann vor der ersten großen Strafkammer des | |
Landgerichts Lüneburg der Prozess gegen Heike Werding. Die Gründerin des | |
2020 verbotenen Vereins „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ muss sich | |
nicht nur wegen der Weiterführung des Vereins verantworten. Die | |
Staatsanwaltschaft hält der 61-Jährigen auch vor, gegen Menschen „jüdischer | |
und osmanischer Glaubensformen“ zu hetzen. | |
Im Saal 21 sprach der Vorsitzende Richter Michael Herrmann die Angeklagte | |
energisch an, als diese ausführte, dass die Bundesrepublik nur eine Firma | |
sei und der angebliche Rechtsstaat keine Rechtskraft habe. Schnell war | |
klar: Herrmann lässt Werding diesen Prozess nicht als politische Bühne für | |
[1][Reichsideologien] nutzen. Sie solle keine vermeintliche | |
„Rechtsvorlesung“ mit fiktiven Annahmen halten, ermahnte er. | |
Die erste lautstarke Unterbrechung löste dann ein Zuhörer aus. Werding | |
hatte Unterstützung im Saal. Ein stämmiger Mann mit Glatze war im | |
szenetypischem Schick gekommen. Hinter dem Sicherheitsglas, das die | |
Zuhörenden von den Prozessbeteiligten trennte, schimpfte er über den | |
Richter. | |
Diese Provokation unterband Herrmann ebenfalls sofort. Justizbeamte wies er | |
an, die Personalien des Mannes festzustellen. Murrend begleitete er sie in | |
den Flur. Bei der Verkündung der Ordnungsstrafe von 300 Euro bestätigte | |
sich die Annahme eines Journalisten: Der Störer war [2][Dirk Bahlmann], | |
langjähriger NPD-Funktionär aus dem mecklenburg-vorpommerschen Löcknitz. | |
Zuvor hatte eine Justizbeamtin die Angeklagte in Handschellen zu ihrem | |
Platz geführt. Werding trug ein schlichtes Kleid und einen hellen Blazer. | |
Sie sitzt bereits seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft. | |
Im Gerichtssaal zeigte sie schon bei der Feststellung ihrer Personalien, | |
dass sie nicht vorhatte zu kooperieren. Ganz im Stil der | |
Reichsideologiebewegten wollte sie ihren Namen nicht bestätigen. Die | |
mögliche Logik dahinter: Wenn sie mitspielte, wäre sie Teil der „Firma BRD�… | |
und würde die Gerichtsbarkeit anerkennen. | |
Irgendwann antwortet sie dann doch, setzte aber ein „vom Stamme“ vor ihren | |
Nachnamen. Eine übliche Formulierung in dieser Bewegung, zu denen [3][das | |
Bundesamt für Verfassungsschutz 21.000 Personen zählt.] | |
Mit leichtem Lächeln hörte Werding der Anklageverlesung zu. Ihren Kopf mit | |
den kurzen, dunklen Haaren und hellen Strähnen schüttelte sie ab und zu | |
leicht. Für sie ist die Anklage eine Farce. | |
In fast 30 Minuten hielt die Staatsanwältin ihr vor, seit dem 23. Mai 2020 | |
unter anderem in Hannover den organisatorischen Zusammenhalt der illegalen | |
Strukturen des verbotenen Vereins gefördert zu haben – mit dem Ziel, ein | |
eigenes staatliches System zu errichten. Über soziale Medien wie Telegram, | |
Youtube und Instagram habe sie mit verschiedenen Namen Vereinsideologie und | |
Propagandamaterial verbreitet sowie kostenpflichtige Veranstaltungen | |
beworben. | |
Sie habe auch die „Anordnung“ erlassen, dass „Nichtbeheimatete“ das Lan… | |
verlassen hätten, wobei „Beheimatete“ nur deutschsprachige Menschen mit | |
deutschstämmigen Ahnen werden könnten. Sie habe außerdem eine fiktive | |
Anwaltskanzlei geschaffen, um darüber kostenpflichtige, vereinstypische | |
Leistungen wie „Akkreditierungen“ für Anwält*innen, Hebammen und | |
Ärzt*innen anzubieten, führte die Staatsanwältin aus. | |
Die Anklage umfasst denn auch das Verwenden und Verbreiten von | |
Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und | |
den Missbrauch von Berufsbezeichnungen. | |
Im Stehen bezog Wering dazu Stellung. Durch den Postvertrag von 1861 habe | |
sie das Recht, mit „lebenserklärenden Menschen“ Grund und Boden selbst zu | |
verwalten. Sofort schritt der Richter wieder ein. Zur Sache solle sie | |
sprechen. Er stelle die Fragen und könne ihr auch das Sprechen untersagen. | |
Nach dem Wortwechsel erfolgte die zweite Unterbrechung. Der Richter schlug | |
vor, dass die Angeklagte noch einmal mit ihrem Verteidiger sprechen solle. | |
Keine 20 Minuten später bat der Pflichtverteidiger das Gericht darum, seine | |
Mandantin doch noch etwas mehr ausführen zu lassen, um ihr Denken | |
nachvollziehen zu können. Sie sei „zu tiefst überzeugt“, was bei dem | |
Verfahren berücksichtigt werden müsse. | |
So durfte Werding im Saal doch noch ausführen, dass sie nur wolle, dass die | |
Menschen glücklich seien und die Natur geschützt werde. Doch internationale | |
Konzerne und Orden würden das Glück verhindern. Sie beklagte zudem den | |
angeblichen Einfluss von „Juden“, „Kirchen“ und „Freimaurern“. „D… | |
Rothschilds“ nannte sie namentlich. | |
In Niedersachsen begann Werding mit dem Verein „Osnabrücker Landmark“ ihre | |
reichsideologische Karriere. In der männlich dominierten Szene ist sie als | |
leitende Frau eine Ausnahme. | |
Am 19. März 2020 verbot das Bundesministerium des Innern, für Bau und | |
Heimat (BMI) den Verein „Geeinte deutsche Völker und Stämme“. Werding war | |
hier „Generalbevollmächtigte“. Der damalige Bundesinnenminister Horst | |
Seehofer (CSU) warf der insgesamt rund 120 Mitglieder zählenden Gruppe vor, | |
„rassistische und antisemitische Schriften zu verbreiten und damit unsere | |
freiheitliche Gesellschaft systematisch zu vergiften“. Auch habe diese | |
gegen Amtsträger und ihre Familien „verbale Militanz und massive Drohungen“ | |
ausgeübt. | |
Über 400 Einsatzkräfte [4][durchsuchten damals Wohnungen von 21 führenden | |
Vereinsmitgliedern] in zehn Bundesländern. Sie stellten Schusswaffen, | |
Baseballschläger und Propagandamaterialien sicher. | |
Eben diesen Verein soll Werding fortgeführt haben. Drei weitere | |
Verhandlungstage sind geplant. | |
4 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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