Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kritik an Drogenkontrolle: Drogentest ohne Beschämung
> Die Hamburger Linke fordert eine Alternative zu den beaufsichtigten
> Urintests bei Gefangenen. Laut Gericht verletzen sie deren
> Persönlichkeitsrechte.
Bild: Die Methoden der Drogensuche sind vielfältig, beschämen sollten sie nie…
Hamburg taz |Die Linke in Hamburg fordert eine Alternative zu den
derzeitigen Drogentests im Justizvollzug: Statt der Urinkontrollen müsse es
künftig auch die Möglichkeit einer Blutentnahme aus dem Finger geben,
fordert Carola Ensslen, die stellvertretende justizpolitische Sprecherin
der Linken. Die Kontrollen, bei denen die Gefangenen ihre Genitalien
entblößen müssten, seien „entwürdigend“.
Ausgangspunkt für den Vorstoß ist die [1][Klage eines Gefangenen aus
Nordrhein-Westfalen], der sich gegen beaufsichtigte Urinkontrollen gewehrt
hatte. Für ihn sei eine Probe per Blutentnahme aus dem Finger, so
argumentierte er, eine kleinere Verletzung seiner Rechte.
Nachdem er vor zwei Instanzen gescheitert war, hatte ihm das
Bundesverfassungsgericht im Juli recht gegeben. Zwar ließen sich Eingriffe
in den Intimbereich und das Schamgefühl des Inhaftierten nicht immer
vermeiden – er habe aber Anspruch auf besondere Rücksichtnahme. Staatliche
Maßnahmen, bei denen sich der Betroffene entkleiden müsse, seien ein
schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht.
Das Bundesverfassungsgericht verwies in seinem Urteil auch darauf, dass es
Alternativen zur Urinkontrolle gibt – etwa eine Punktion am Finger, durch
die eine geringe Blutmenge entnommen werden kann. Das aber habe die
Vorinstanz überhaupt nicht berücksichtigt.
## Senat sieht keinen Handlungsbedarf
Ebene jene Alternative möchte die Linke in Hamburg etablieren und hat
deshalb eine [2][Anfrage zur Praxis der Drogenkontrollen] in den
Justizvollzugsanstalten (JVA) an den Senat gestellt. Doch der erklärte
gleich in der Vorrede zu seiner Antwort, dass die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts keinen Bezug zur Situation in Hamburg habe: Denn
die Kontrollen in den JVAs seien hier immer anlassbezogen, da ein konkreter
Verdacht auf Suchtmittelmissbrauch vorliegen müsse.
Außerdem, so der Senat, fehlten ohnehin die rechtlichen Möglichkeiten für
das vorgeschlagene Alternativverfahren: „Maßnahmen zur Feststellung von
Suchtmittelmissbrauch“ dürften „nicht mit einem körperlichen Eingriff
verbunden sein“. Genau das sei aber die Punktion der Fingerbeere zwecks
Blutentnahme.
Und schließlich führen Senat und Justizbehörde noch praktische Vorteile des
Urintests an: Blut sei nur zum kurzfristigen Nachweis von Suchtmitteln
geeignet. „Bereits nach wenigen Stunden ist ein Nachweis eines Suchtmittels
im Blut nicht mehr möglich“, schreibt die Pressestelle der Justizbehörde
auf taz-Anfrage. „Im Urin hingegen kann das Abbauprodukt eines Suchtmittels
noch mehrere Tage nachgewiesen werden.“
Des Weiteren liege das Ergebnis bei einem Urintest wesentlich schneller
vor. Das sei gerade bei Ausfallerscheinungen von Gefangenen wichtig.
Für Carola Ensslen sind das Scheinargumente. Auf der praktischen Ebene
verweist sie auf die Praxis in Nordrhein-Westfalen, wo seit 2017 ein
Drogenvortest auf Basis von Kapillarblut, also zum Beispiel Blut aus der
Fingerkuppe, grundsätzlich möglich ist.
Und was den rechtlichen Rahmen anbelangt, so kann Ensslen nicht erkennen,
„dass eine Blutentnahme bei Einwilligung der Gefangenen einer gesetzlichen
Grundlage bedarf“. Und sollte das der Fall sein, so sei es Aufgabe der
grünen Justizsenatorin Anna Gallina, eine Gesetzesinitiative zu starten.
In ihrer Anfrage hatte die Linke auch nach der Art der Durchführung der
Urintests gefragt. Die werden von den Gefangenen unter Sichtkontrolle eines
gleichgeschlechtlichen Justizbeamten oder einer -beamtin gemacht, um
Manipulationen zu verhindern. Dabei gibt es je nach JVA unterschiedliche
Praxen:
In Hahnöfersand etwa wird die inhaftierte Person vor der Abgabe auf
unerlaubte Gegenstände durchsucht. Während der Abgabe selbst steht die
beaufsichtigende Person schräg hinter der abgebenden Person, ohne direkten
Blick auf die Genitalien.
## „Mit einer Entkleidung verbunden“
[3][In der JVA Fuhlsbüttel können Gefangene,] die angeben, aus Schamgefühl
unter Sicht keine Probe abgeben zu können, diese ohne Sichtkontrolle machen
– sie müssen sich allerdings vorher „mit einer Entkleidung verbunden“
körperlich durchsuchen lassen.
Die Frage der Linken, ob und wie viele Anträge es von Gefangenen auf
alternative Tests gegeben hat, konnte der Senat mangels Daten nicht
beantworten. Das gleiche gilt für Klagen, die vor Gericht eingereicht
worden sind. Beschwerden, so die Senatsantwort, hat es seit dem 1. Januar
2020 gegen die Urinkontrollen nicht gegeben.
Das ist für Carola Ensslen aber keine Entschuldigung dafür, „dass die
[4][Justizsenatorin] kein Problembewusstsein an den Tag legt“. Schließlich
wisse man nicht, ob sich die Gefangenen schlicht nicht trauten, sich zu
beschweren.
Sie besteht darauf, dass es Überprüfungsbedarf in Hamburg gebe: „Die
Gerichtsentscheidung ist ein Anlass, die entwürdigende Praxis zu
überprüfen.“ Angesichts der Senatsantwort hat sie allerdings wenig
Hoffnung, dass die Justizbehörde aktiv werden wird. Von daher bleibt der
Linken nur die Möglichkeit, einen Antrag im Parlament zu stellen.
21 Oct 2022
## LINKS
[1] /Karlsruhe-zu-Drogentests-in-Haft/!5870571
[2] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/81344/tests_auf_substanzen…
[3] /Zustaende-in-der-JVA-Fuhlsbuettel/!5847114
[4] /Mehrwertsteuer-auf-Lebensmittel/!5856694
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Drogenkonsum
Justizvollzugsanstalt
Persönlichkeitsrechte
Gefängnis
Fahren ohne Fahrschein
Drogenpolitik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Karlsruhe zu Drogentests in Haft: Pinkelaufsicht muss nicht sein
Das Bundesverfassungsgericht gibt der Klage eines Häftlings gegen Urintests
auf Drogen statt. Die Begründung: Es gebe Alternativen.
Ersatzfreiheitsstrafen in Deutschland: Nur noch ein halber Tag im Knast
Bundesjustizminister Buschmann will Ersatzfreiheitsstrafen halbieren, indem
er den Umrechnungsmodus verändert. Diese treffen meistens arme Menschen.
Drogenkontrolle in Ungarn: Urinieren für Fidesz und Vaterland
Mit „freiwilligen“ Drogentests an Schulen will die Regierung organisierte
Kriminalität bekämpfen. Auch Politiker und Journalisten könnten geprüft
werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.