| # taz.de -- Zum Tod von Angela Lansbury: Als „Schwulenikone“ wird sie fehlen | |
| > Angela Lansbury war das, was die Etepetetekulturwissenschaft eine Gay | |
| > Icon nannte. Sie stand für das hartnäckige „I will survive“. | |
| Bild: Angela Lansbury im Jahr 2014 | |
| Angela Lansbury ist für sie ohnehin unsterblich. Allein deshalb konnte die | |
| Nachricht ihre Fans, jene, die sie lange kennen und verehren, nicht | |
| schockieren. 96 Jahre wurde die britische, seit Langem in den USA lebende | |
| Schauspielerin alt, am vergangenen Dienstag ist sie nun gestorben. Wer sie | |
| aus Fernsehen und Film kannte, erinnert sich an die Serie „Murder, She | |
| Wrote“, zu deutsch: „Mord ist ihr Hobby“. Die Rolle konnte sie als | |
| 59-Jährige nur ergattern, weil Hollywoodlegende Doris Day diese Figur, die | |
| im provinziellen Maine lebende Jessica Fletcher, die als Nichtkriminalerin | |
| Folge für Folge mit Grips und Pfiff teilweise übelste Tötungsdelikte | |
| aufzuklären wusste, zu minder war. | |
| Lansbury war das, was in der Etepetetekulturwissenschaft eine | |
| „Schwulenikone“ genannt wurde – eine Frau, die zur Identifikation einläd… | |
| eine Figur der Weiblichkeit, die ihre Beschädigungen trägt, und sei es ein | |
| höheres Alter, mit Würde und Stehvermögen, gewissermaßen unverwüstlich. Mit | |
| den hymnischen Worten einer anderen Gay Icon, die ohne ihre schwulen Fans, | |
| nur angewiesen auf heterosexuell orientierte Gewohnheitspopkonsumenten, | |
| spätestens als Twen hätte jobmäßig an die Supermarktkasse wechseln müssen, | |
| nämlich Gloria Gaynor, könnte man sagen: Lansbury stand für das hartnäckige | |
| „I Will Survive“. | |
| Lansbury, eine überaus freundliche, nicht allzu kumpelige, aber nahbare | |
| Frau, hat sich ihren Ruhm hart erarbeiten müssen. Sie erhielt etliche | |
| Emmy-Auszeichnungen, einen Oscar für ihr Lebenswerk. Es gab auch | |
| Durststrecken in ihrer Karriere. So konnte die 1925 in London zur Welt | |
| gekommene Britin, Tochter eines früheren Labour-Vorsitzenden und einer | |
| Schauspielerin, zwar nach der Übersiedlung in die USA in Hollywood ein | |
| wenig Fuß fassen. Doch für das Fach der überstrahlenden | |
| Konfektionsschönheit sah sie, kaum Mitte zwanzig, allzu gewöhnlich aus. Sie | |
| beflügelte gewiss viele Fantasien, aber nicht das des Pin-ups. Ihre | |
| performative Magie entfaltete sich, umso glücklicher für sie und ihren | |
| Lebensbiss, erst auf den anderthalben Blick: Lansbury, die ernsthafte Frau, | |
| die allerdings mit gewissem Humor patent wirken konnte, also irgendwie | |
| antierotisch, andererseits aber auch Rollen wie die einer sexsüchtigen | |
| Schundromanautorin in der Agatha-Christie-Verfilmung „Tod auf dem Nil“ | |
| übernahm. | |
| Das war und ist alles Stoff, den schwule Männer lieben, und zwar gusseisern | |
| empirisch belegbar, weltweit. Frauen, die eine gewisse Tragik verströmen | |
| und diese als echte Tragödie auch ge- oder gar erlebt haben, die männerfern | |
| und unerfüllt, doch sehnend und scheiternd, schwach und stark zugleich | |
| wirken. Ohne einen Hauch von echter Personality sind solche Gay Icons nicht | |
| erschaffbar oder werden als solche anerkannt: Ganz früher in Deutschland | |
| waren dies Marlene Dietrich und ihre Antipodin, die Schwedin Zarah Leander; | |
| die eine die Antifa schlechthin, ewige „Zeugin der Anklage“ wider alles | |
| Nazitum, die andere als Nazi-Amsel mit dem Lied „Ich weiß, es wird einmal | |
| ein Wunder gescheh’n“ – beide teilten sich das schwule Wahrnehmungsfeld d… | |
| fünfziger bis siebziger Jahre auf. | |
| Ob das Modell der schwulen Anbetungskraft heutzutage noch funktionieren | |
| kann, ist freilich offen. Das liegt nicht daran, dass inzwischen alles | |
| Sinnliche durch das Wort „queer“ steril gebügelt wurde. Aber die Gay | |
| Fascination, zentraler Teil schwuler Kultur im Underground, die stets unter | |
| dem Radar offizieller heterosexuell orientierter Kulturrezeption gelebt | |
| wurde – hat sie noch Zukunft? Ist denkbar, dass Hollywooddiven wie Bette | |
| Davis, Joanna Crawford, Marilyn Monroe oder Vivian Leigh weiterhin | |
| ausreichend Verehrerschaft wie eine Schleppe mit sich tragen? Wäre eine | |
| Barbra Streisand, allem stupenden Talent zum Trotz, ein solcher Superstar | |
| geworden – ein Silberblick, was eine Aura als Sex-Appeal-Königin strikt | |
| ausschloss, außerdem eine Neigung zur ironisch gebrochenen Albernheit | |
| (siehe: „Is’ was, Doc?“) – ohne ihre schwulen Fans? Oder Liza Minnelli,… | |
| trunksüchtige Kämpferin für schwule Männer gerade in Zeiten der Aidskrise, | |
| als in den USA vom Kulturestablishment fast niemand mit den Unberührbaren | |
| in Kontakt kommen wollte? Oder wiederum deren Mutter, Judy Garland mit | |
| ihrem „Somewhere Over The Rainbow“, der Hymne der | |
| Stonewall-Riots-Generation – wäre sie als pur heterosexuelle Künstlerin | |
| überlebensfähig gewesen? Eben nicht. | |
| Eine Gay Icon kann nur werden, wer kämpferisch wider das konventionelle | |
| Drehbuch des Lebens alles tut, was nötig ist, um nicht zum grauen | |
| Küchenkittel zu werden. | |
| Diese hier genannten Frauen – es ließen sich aus allen Ländern, in denen | |
| Homosexualität entweder strafbar war oder der Diskretion unterworfen, | |
| solche Figuren anführen, Della Reese oder Yma Zumac in Lateinamerika, | |
| Dalida in Frankreich etwa – eint, dass sie keinen puren Marketingweg | |
| gegangen sind. Sie haben sich ihre Fanschar in Millionenstärke erarbeitet, | |
| ohne dass Kampagnen wie „Achtung, jetzt Kult!“ gelauncht werden mussten. | |
| Sie haben sich ihre Marktlücken gegen alle Wahrscheinlichkeit erobert, und | |
| sie konnten dies, weil sie eben nicht makellos waren, und sei es, dass sie | |
| dem Makel des Altwerdens unterworfen waren, wie alle Menschen, besser: | |
| Frauen, nur eben in Grandezza, ohne Gejammer. | |
| ## Harry Styles und der perfekte Porno | |
| Männer, das nur nebenbei, eigneten sich für diese Aschenputtel, für diese | |
| Biografien mit der Megaüberschrift „Ewig auferstanden aus Ruinen“ niemals. | |
| Schwule Männer hielten es nur mit Frauen – die Genannten waren allesamt | |
| Imaginationen einer perfekten Mutter, einer liebst frivolen Tante, einer | |
| perfekten älteren Schwester als Beschützerinnen im Angesicht der eigenen | |
| Versehrtheit, eben schwul zu sein, dem heteronormativen Männlichkeitsideal | |
| zuwiderlebend. | |
| Schwule liebten den Film „Harold und Maude“, sie liebten in Deutschland | |
| „Adelheid und ihre Mörder“, so wie sie auch die Agatha-Christie-Verfilmung | |
| der Miss Marple glühend verehrten, solche mit Margaret Rutherford in der | |
| Hauptrolle. Gay Icons, das waren Musicalheldinnen, Operettenstars in | |
| schrägster Gebrochenheit selbst, aber das enorm kraftvoll und souverän, | |
| Operndiven gelegentlich, etwa Maria Callas, die flamboyanter und | |
| interessanter zeitlebens als die Turbosängerin von Putins Gnaden, Anna | |
| Netrebko: die eine ein ewig strauchelndes Geheimnis, die andere solide | |
| verheiratet mit Allüren. | |
| ## Bergab, aber mit Lebenslust | |
| In allen schwulen Ikonen war auch immer der Überlebenswille der die Ikonen | |
| anbetenden gespiegelt, sie zeigten, so wie Shirley Bassey „I Am What I Am“ | |
| schmetterte, wie der Laden zu laufen hat: „Von nun an geht’s bergab“ | |
| (Hildegard Knef), aber das mit Lebenslust. | |
| Heutzutage ist alles queer, selbst ein Harry Styles, das Darling aktuell | |
| schlechthin, ist skandalfrei, sauber und freundlich, „kwier“ zwar, ein | |
| wenig pinky, aber in seiner Androgynität auch als Popkonzept erkennbar – er | |
| ist ein Performer, der sich zu herzblutenden Gay-Icon-Performances verhält | |
| wie perfekter Porno zu naturgemäß störanfälligem Amateursex. Er ist ein | |
| „Mann“ ohne erarbeitetes, erlittenes Odeur. Das ist das Problem: Soll man | |
| jetzt leidende Zeiten zurücksehnen? | |
| Angela Lansbury jedenfalls konnte am Ende ihrer Tage sagen: Sie haben mich | |
| geliebt! Sie ruhe in Frieden. | |
| 15 Oct 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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