# taz.de -- Führungskrise beim Hamburger SV: Strategie des Abwartens | |
> Der HSV ist seinen umstrittenen Finanzvorstand los. Nun müssen Präsident | |
> Jansen und Vorstand Boldt zeigen, wie Schulden und Aufstieg zu meistern | |
> sind. | |
Bild: Jansen und der damalige Finanzvorstand Wüstefeld (l.) sehen etwas, das n… | |
Der Hamburger SV als Verein und Betreiber einer Männer-Profimannschaft muss | |
sich fragen lassen, wo eigentlich die Kontrollorgane waren, als sie die | |
Integrität des Finanzvorstands und Aufsichtsratsmitglied Thomas Wüstefelds | |
hätten prüfen müssen? Besonders beeindruckt von Wüstefeld hatte immer | |
HSV-Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender Marcell Jansen gewirkt. Die | |
beiden hatten vor seiner Zeit beim HSV geschäftlichen Kontakt. | |
Am Mittwochabend hatte der HSV informiert, dass Wüstefeld seinen Rückzug | |
mitgeteilt habe. Bis auf Weiteres ist Boldt nun Alleinvorstand. Jansen | |
erklärte daraufhin am Donnerstag, Wüstefelds Rücktritt sei das Beste für | |
den HSV. Wahrscheinlich war er einem Rauswurf zuvorgekommen. | |
[1][Lange hatte Jansen für Wüstefeld gekämpft.] Er ließ vieles laufen – u… | |
wirkte als Chefkontrolleur überfordert. Doch dieses öffentliche Urteil | |
wollte Jansen am Donnerstagabend bei einer Pressekonferenz nicht auf sich | |
sitzen lassen: „Es waren sechs Leute, die ihn als Feuerwehrmann ins | |
operative Geschäft geholt haben. Das war nicht meine alleinige | |
Entscheidung.“ Keineswegs habe er zu lange an ihm festgehalten: „Erst | |
einmal ist es immer wichtig, dass ein Verein hinter seinen Leuten steht. | |
Und dann gibt es immer auch eine Unschuldsvermutung.“ | |
Sicher ist: Der HSV ist einem vermeintlichen Sanierer auf den Leim | |
gegangen. Anfällig für schnelle Lösungen sind die Hamburger schon deswegen, | |
weil Schulden und Aufstiegsdruck eine schwierige Mischung bilden. Nun muss | |
Sportvorstand Jonas Boldt nachweisen, dass er die HSV Fußball AG als | |
alleiniger Boss bis auf Weiteres umsichtig und erfolgreich führen kann. | |
Dass er sich dabei eng mit dem Finanzausschuss austauschen will, ist schon | |
mal ein gutes Zeichen. Alleingänge gab es unter Wüstefeld nämlich genug. | |
## Neuaufstellung beim HSV | |
Präsident Jansen will die WM-Pause nutzen, um Wüstefelds Nachfolgerin oder | |
Nachfolger zu suchen; im November und Dezember sollen auch weitere | |
Gespräche mit Trainer Tim Walter und Boldt geführt werden. Ihre Verträge | |
laufen am 30. Juni 2023 aus. Für die innere Verfasstheit des HSV wäre es | |
wichtig, Klarheit zu schaffen. Das „absolute Vertrauen“ in sie sei da, sagt | |
Jansen jetzt. | |
Boldt hatte zuletzt nur eines tun müssen, um seine Position zu stärken: | |
abwarten. Das tat der Sportvorstand auch. Er konzentrierte sich auf den | |
Fußball, war auffällig nah an der Mannschaft, was immer gut kommt, wenn es | |
so läuft wie derzeit – in das Spiel am Freitagabend in Hannover geht der | |
HSV als Tabellenführer. | |
Problematische Felder überließ Boldt Wüstefeld. Es wirkte, als vertraue | |
Boldt darauf, dass der sich immer tiefer in seine Widersprüche verstricken | |
– und irgendwann unhaltbar sein würde. Die beiden mochten sich nicht, | |
erreichten kaum einmal eine Arbeitsebene. | |
Zuletzt war der öffentliche Druck auf Wüstefeld tatsächlich zu groß | |
geworden. Massive Vorwürfe im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als | |
Medizinunternehmer stehen im Raum. Dazu gab es Zweifel an der | |
Rechtmäßigkeit seiner akademischen Titel. Auch lag er mit | |
Hauptanteilseigner Klaus-Michael Kühne über Kreuz. Hinzu kamen finanzielle | |
Verbesserungen, die er dem HSV unter seiner Führung in Aussicht stellte, | |
aber nicht besorgte; er wollte Geld oder Bürgen [2][für die Sanierung des | |
Stadions] beschaffen; zuvor war von einem großen Neubauprojekt an der Arena | |
die Rede. | |
Immer mehr kam ans Tageslicht. Wüstefelds Vorwärtsverteidigung, er werde | |
alles aufklären, verfing nicht mehr. Nun ist der steile Aufstieg beendet – | |
in nur zehn Monaten war Thomas Wüstefeld vom Anteilseigner zum Aufsichtsrat | |
und dann zum Vorstand geworden. Von der schillernden Figur, die viel | |
versprach und wenig hielt, bleiben nur zahlreiche Schlagzeilen und seine | |
5,11 Prozent Anteile an der HSV Fußball AG. Die an Wüstefeld gerichteten | |
Vorwürfe würden seitens des HSV nicht weiter untersucht, sagt Jansen. | |
Das unangenehme Thema Stadionsanierung erbt Jonas Boldt. Der [3][Weg für | |
eine weitergehende Zusammenarbeit mit Kühne ist geebnet]. „Wir wären ja | |
bescheuert, wenn wir nicht mit Herrn Kühne in Kontakt bleiben würden“, | |
sagte Marcell Jansen. 20 Millionen seiner angebotenen 120 Millionen Euro | |
sind für die Stadionsanierung gedacht. Doch bevor Kühne zum Zuge kommt und | |
womöglich weitere Anteile erwirbt, müsste die Mitgliederversammlung einer | |
Satzungsänderung zustimmen. Es dürfte turbulent bleiben beim HSV. | |
30 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Frank Heike | |
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