# taz.de -- Streit um Energiewende: Wissen und Wärmepumpen | |
> Im Streit um schleppende Transformationen taugen Detailaufnahmen besser | |
> zum Verständnis als große Theorien. Eine Zeitungsschau zur Zeitenwende. | |
Bild: Klimagerecht heizen: Es kommt aufs Detail an | |
Soll man jubeln oder weinen? Fünfzig Jahre nachdem die „Grenzen des | |
Wachstums“ erschienen und Robert Jungk im „Jahrtausendmenschen“ die | |
Werkstätten der Zukunft besich-tigt hatte, erschien am vergangenen Freitag | |
eine Sonderausgabe der FAZ. Groß die Ankündigung: „Wie wir in Zukunft leben | |
wollen.“ Nicht mit Fragezeichen, mit Punkt. | |
Die Ausgabe ist durchsetzt mit Artikeln über vertikale Agrikultur, | |
innovative Mobilität, Städtebau, Entmüllung des Konsums, Revolutionierung | |
der Logistik, sogar über „Verzicht“. Im [1][Feuilleton plädiert Dietmar | |
Dath] für „Hopepunk“ und „Anti-Dystopien. Die Interviewer von Herman Dal… | |
dem Nestor der Steady-State-Economy, geben dem Argument, dass unendliches | |
Wachstum in einer endlichen Welt nicht möglich ist, großen Raum, bedauern | |
fast, dass es kein Gegenkonzept zum Kapitalismus gebe – und setzen dann auf | |
die nicht ausgeschöpften Potenziale eines „Grünen Wachstums“. | |
Keine Totalwende, nein, aber eine kleine Akzentverschiebung. Strenge | |
Theoretiker werden eh nicht einverstanden sein, etwa Ulrike Herrmann, die | |
[2][in den Blättern (10/22)] anhand von Materialströmen vorrechnet, dass | |
eine noch so grüne Technik sich nie weltweit durchsetzen kann. Ihr | |
Vorschlag, wir sollten uns für ein geplantes Gesundschrumpfen an der | |
britischen [3][Kriegs-Planwirtschaft mit ihren Bezugsscheinen und | |
minutiösen Vorgaben orientieren], greift aber zu kurz. Weniger Fleisch, | |
Harz statt Mallorca, das klingt zwar gut, aber welcher | |
parteienparlamentarische Staat könnte so etwas durchsetzen, und welche | |
volkswirtschaftlich programmierten Computer hätten schon durchgerechnet, | |
was die ökonomischen und sozialen Folgen wären. | |
Mich plagt seit einiger Zeit ein Unbehagen an Theorien mit hohem linken | |
Zustimmungswert, aber zu großer Flughöhe, an deren Ende regelmäßig die | |
Frage „Und wer soll das machen?“ steht, ebenso wie an analytisch noch so | |
triftigen, aber emotional aufgeladenen Predigten, wir müssten nur „die | |
Irrationalität des Ganzen“ und unseren Eigenanteil daran akzeptieren und | |
dann „eine andere Politik etablieren“ (Stephan Lessenich, „Nicht mehr | |
normal“). Das eine haben die meisten längst, für das andere fehlt die | |
Gebrauchsanweisung. Andererseits sehnt man sich beim Lesen der | |
Zukunfts-FAZ nach einer großen befeuernden Perspektive. | |
Einen belebenden Ausweg brachte mir die Lektüre von Bernd Ulrichs Porträt | |
der Institution Wirtschaftsministerium in der Zeit (40/22). Der Gang durch | |
die Entscheidungslabyrinthe endet beim Zuständigen [4][für Wärmepumpen], | |
die ja a tempo 12 Millionen Gasheizungen ersetzen sollen. Und es begab sich | |
folgender schöne Dialog, den ich leicht gekürzt hier zitiere:– 2021 wurden | |
nur 150.000 Wärmepumpen verbaut. Seit dem Gaskrieg mit Putin wollen fast | |
alle eine. Das ist doch gut, oder? | |
– Fast. Die Installateure stellen sich um. | |
– Und? | |
– Es gibt zu wenige. | |
– Warum? | |
– Weil die Leute auch noch ihre Bäder sanieren wollen zum Beispiel. | |
– Aber wenn sie weniger sanieren und mehr Wärmepumpen einbauen, dann | |
läuft’s? | |
– Nicht ganz, es gibt zu wenige. | |
– Installateure? | |
– Wärmepumpen. | |
– Warum? | |
– Jeder Hersteller hat ein anderes Modell, und die Geräte werden händisch | |
zusammengebaut, da muss erst mal eine industrielle Fertigung her. | |
– Und dann kann genug produziert werden? | |
– Wenn es genug Halbleiter gibt. | |
– Die sind doch gerade knapp. | |
– Eben. | |
– Okay, also wenn es die Nachfrage gibt und die Installateure und die | |
Halbleiter und die industrielle Fertigung, dann rollt die Sache? | |
– Nun, es gibt da noch das Problem mit den Kühlmitteln. Die sind bisher | |
klimawirksam. | |
– Sie schützen das Klima? | |
– Sie gefährden es. | |
– Gibt’s denn da keine Ersatzstoffe? | |
– Schon. | |
– Aber? | |
– Die sind brennbar. | |
– Ah. | |
– Wir arbeiten dran. | |
– Also, wenn es nun die Nachfrage gibt und die Installateure und die | |
industrielle Fertigung und die Halbleiter und die richtigen Kühlmittel, | |
dann können Sie Ihr Ziel erreichen, 1 Million pro Jahr einzubauen? | |
– Wenn das mit dem Baufenster geklärt ist. | |
– Baufenster? | |
– Das ist der Teil eines Grundstücks, der bebaut sein darf. | |
– Und? | |
– Ja, die Wärmepumpe muss zum Teil draußen sein. Dann ist sie außerhalb des | |
Baufensters. | |
– Was macht man da? | |
– Man muss die Bauordnung ändern. | |
– Und das machen Sie? | |
– Nein, es sind Landesbauordnungen. | |
– Also 16 verschiedene!? | |
– Ja, 16. Wir sind in konstruktiven Diskussionen mit den Ländern. | |
– Danke für das Gespräch. | |
Ich bin sicher: Mehr solcher Detailaufnahmen mit hoher Auflösung könnten | |
immunisieren gegen allzu große Gedanken und den Streit, wer schuld ist, | |
wenn Transformation nicht schnell genug geschieht. Gleichzeitig steckt in | |
ihnen die anspruchsvolle Aufforderung zur staatlichen Planung: von | |
Rohstoffströmen, Ausbildung, Föderalismusreformen. | |
Einzelheiten sind eigentlich spannender als Leitartikel oder Großgedanken. | |
Wie sagte Luhmann: Aufklärung, die sich über sich selbst aufklärt, | |
organisiert sich als Arbeit. Wenn’s gut werden soll. | |
6 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/wie-wollen-wir-leben-gedank… | |
[2] https://www.blaetter.de/ausgabe/2022/oktober/raus-aus-der-wachstumsfalle | |
[3] /Kapitalismus-und-Klimaschutz/!5879301 | |
[4] /Gaskrise-in-Deutschland/!5872195 | |
## AUTOREN | |
Mathias Greffrath | |
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