# taz.de -- Wahlausgang in Bosnien-Herzegowina: Ein Sozialdemokrat liegt vorne | |
> Bosnien und Herzegowina hat gewählt. Die Ergebnisse sind so vielfältig | |
> wie das aus Teilstaaten bestehende Land selbst. Trends gibt es dennoch. | |
Bild: Stimmauszählung in Sarajevo: Das Wahlsystem in Bosnien und Herzegowina i… | |
SARAJEVO taz | Meho, der Anhänger der Partisanen des Zweiten Weltkriegs und | |
Bosanac (Bosnier), jetzt 88 Jahre alt, hatte vor [1][den Wahlen] nur einen | |
Wunsch: Die Partei der demokratischen Aktion (SDA), die muslimische | |
Nationalpartei, solle in der Stadt und dem Kanton geschlagen werden. Deren | |
Spitzenkandidat ist [2][Bakir Izetbegović,] Sohn von Alija Izetbegović, der | |
während des Krieges die muslimische Bevölkerungsgruppe in die Sackgasse | |
geführt hatte. | |
Als Sarajevo über dreieinhalb Jahre von serbischen Truppen eingekesselt | |
war, als es ohne Wasser, Strom und bei einer Million Granaten widerstanden | |
hatte, hatten auch viele Serben, Kroaten und die Minderheiten für die Stadt | |
gekämpft. Es war Izetbegović, der nach [3][dem Krieg] trotzdem | |
kompromissbereit mit den Feinden der multinationalen und multireligiösen | |
Tradition des Landes gewesen sei. Das trägt der Partisan dem Vater und dem | |
Sohn heute noch nach. Denn auch die SDA habe damals eine Entmischung der | |
Bevölkerung mit ethnonationalistischen Vorzeichen angestrebt. Auch einen | |
Bürgerstaat Bosnien und Herzegowina. | |
Mehos Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Nach Auszählung von 85 Prozent der | |
Stimmen führt im Rennen um den Sitz der Bosniaken im Staatspräsidium der | |
Sozialdemokrat Denis Bećirović mit 57 Prozent der Stimmen, wie die | |
Kommission am Montagvormittag in Sarajevo mitteilte. Er schlug damit den | |
Vorsitzenden der SDA, Bakir Izetbegović. Dieser konnte nur 38 Prozent der | |
Stimmen auf sich vereinen. Mehr noch, in der Stadt und im Kanton hat das | |
nichtnationalistische Parteienbündnis aus Sozialdemokraten, der explizit | |
multinationalen Partei Naša Stranka (Unsere Partei) und der SDA-Abspaltung | |
Volk und Wahrheit Mehrheiten gewonnen. | |
Sie wollen gegen die Nationalisten aller Seiten einen „Bürgerstaat“ | |
durchsetzen, in dem alle Einwohner aller Religionen gleiche Rechte | |
erhalten. Die Mehrheit für Bećirović deutet zudem darauf hin, dass die | |
sogenannte Troika auch in den Parlamenten des Teilstaats Föderation Bosnien | |
und Herzegowina und im Gesamtstaat an Stimmen und Sitzen gewinnen konnte. | |
Doch die SDA bleibt in ländlichen bosniakischen Regionen stärkste Partei. | |
Genaue Ergebnisse dazu sind noch nicht veröffentlicht. | |
## In einem Rechtsstaat stünde Čović vor Gericht | |
Die nationalistischen Parteien der Kroaten und Serben dagegen wollen an dem | |
Prinzip der „konstitutiven Nationen“ und damit der Dominanz der Volksrechte | |
festhalten. Vor allem Dragan Čović, der Vorsitzende der kroatischen Partei | |
HDZ, sieht in einem Bürgerstaat einen Machtverlust für seine | |
Bevölkerungsgruppe, die nur 15 Prozent der Einwohner stellt. Und auch für | |
sich selbst, denn die Korruptionsvorwürfe an ihn sind nicht verstummt. | |
In einem Rechtsstaat würde er angeklagt werden. Jahrelang schon kämpfte er | |
für ein neues Wahlrecht, die kroatische Lobby aus Zagreb versuchte, in der | |
EU und international Druck zu machen, weil nach dem jetzigen Wahlrecht auch | |
Muslime und Nichtnationalisten den kroatischen Vertreter in der | |
Präsidentschaft mitbestimmen können. Der Hohe Repräsentant, Christian | |
Schmidt, sollte nach Wünschen Čovićs noch vor den Wahlen mit seiner | |
Machtbefugnis das Wahlrecht ändern. Doch das schlug fehl. | |
Im Rennen um den kroatischen Sitz setzte sich der bisherige Amtsinhaber | |
Zeljko Komšić von der linksliberalen Partei Demokratische Front mit 54 | |
Prozent durch. Das ist eine große Niederlage für Čović und die Kroatische | |
Demokratische Gemeinschaft (HDZ). Die langen Gesichter auf der Wahlparty | |
sprachen Bände. | |
Der serbische Sitz im Staatspräsidium dürfte fest in den Händen von | |
Nationalisten bleiben. Die Kandidatin der im serbischen Landesteil | |
regierenden SNSD, Željka Cvijanović, kam auf 53 Prozent der Stimmen. Sie | |
ist eine Vertraute des serbischen Nationalistenführers Milorad Dodik, der | |
bislang den serbischen Sitz im Staatspräsidium innehatte. | |
Doch Milorad Dodik verging am Wahlabend das Lächeln. Er wollte jetzt | |
nämlich unbedingt Präsident des serbischen Teilstaats werden. Für diese | |
Wahl lagen am Montagvormittag noch keine endgültigen Ergebnisse vor. Dodik | |
reklamierte den Sieg für sich, obwohl in den ersten Auszählungen die | |
Gegenkandidatin Jelena Trivić vorne gelegen hatte. „Doch über Nacht haben | |
sich die Stimmenverhältnisse seltsam verändert“, klagte sie. Schon werden | |
Betrugsvorwürfe laut. Dodik wird diesen Protest in gewohnter Manier | |
ersticken. | |
Meho, der alte Tito-Anhänger, kann aber halb zufrieden sein. Sarajevo | |
jedenfalls hat seine Wünsche erfüllt. | |
3 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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