# taz.de -- Nach dem Tod der Queen: Sind die Briten alle meschugge? | |
> In Deutschland wundern sich viele über die starke Trauer der Briten um | |
> die Queen. Der taz-Korrespondent wundert sich über die Deutschen. | |
Bild: Trauernde stehen bei der Londoner Tower Bridge Schlange, um der Queen ihr… | |
LONDON taz | Als ich vor Kurzem in Berlin war, genau in der [1][Zeit der | |
Trauer um die Queen im Vereinigten Königreich], stieß ich auf Leute, die | |
sich darüber lustig machten. Nicht nur die Monarchie sei absurd, all die | |
Menschen, die das berühre, die aus allen Ecken Großbritanniens zur | |
gemeinsamen und auch stets individuellen Trauer nach London kamen, Blumen | |
niederlegten, sich vor dem Sarg der Königin bei der Toten bedankten oder | |
von ihr verabschiedeten, seien meschugge. | |
Und um noch eins draufzusetzen, wurde das Thema Brexit hineingedrückt. Die | |
Menschen im Vereinigten Königreich seien durchgeknallt, die Monarchie stehe | |
für alles Schlechte: cleveres Ausbeuten der Massen, Ungerechtigkeit, | |
Dummheit. | |
Klar, wenn man in der Bundesrepublik Deutschland aufwächst, lernt man: Alle | |
Menschen sind gleich. Könige und Königinnen haben ein Geburtsrecht, und das | |
widerspricht diesem Grundsatz der Republik. Ergo gehören Monarchien ins | |
Geschichtsbuch und zu einer rückständigen gestrigen Welt. | |
Und natürlich kann man einiges anprangern, was im Namen der britischen | |
Krone geschah: oft brutale [2][jahrhundertelange Unterjochung und | |
Ausbeutung anderer Menschen und Orte rund um die Welt]. Die Krone war der | |
gesetzliche Vollstrecker der Todesstrafe, als es sie noch gab. Im Namen der | |
Krone wurden Menschen ermordet und verschleppt, gefangen genommen, | |
verfrachtet und ausgebeutet, in Kriege geführt. | |
## Organisierte Antimonarchisten als britisches Kuriosum | |
Königshäuser ließen das Volk ausbeuten und leben bis heute in Prunk und | |
Glanz, während der Unterschied zwischen Arm und Reich im Vereinigten | |
Königreich einer der größten in der westlichen Welt ist. | |
Das sind viele Argumente. 2012, beim 60. Thronjubiläum der Queen, teilte | |
ich sie noch. Ich stand bei der Tower Bridge in London unter einem | |
traurigen Häuflein des britischen Verbands „Republic“, deren Mitglied ich | |
war. | |
Die Gruppe von 100 bis 200 Antimonarchist:innen bei einer | |
Verbandsmitgliedschaft von rund 5.000 stand an diesem historischen Tag | |
gegen Millionen von Menschen, die die Queen in allem Prunk im ganzen Land | |
feierten. | |
Es waren die Antimonarchisten, die man wie ein Kuriosum in einem Tierpark | |
bestaunte, nicht die Queen; und man ließ sie gewähren. | |
## Für die Staatsbürgerschaft Schwur auf die Königin | |
Als ich 2018 wegen Brexit zusätzlich zur deutschen Staatsbürgerschaft auch | |
die britische beantragte, hatte ich noch große Probleme mit dem damit | |
verbundenen Schwur auf die Königin und die königliche Familie und all ihre | |
Nachfahren. Als ich es vollbracht hatte, war ich sowohl Bürger einer | |
Republik als auch Untertan in einer konstitutionellen Monarchie. | |
„Republic“ sowie mein Wahlkreisabgeordneter Keir Starmer, heute | |
Labour-Chef, versicherten mir, dass eine antimonarchische Haltung damit | |
durchaus vereinbar sei. Einige erklärten, dass der Schwur eigentlich nur | |
Treue zum Land und seinen Gesetzen darstelle, das nur symbolisch durch die | |
Krone vertreten sei. | |
Der Krone unterstehen formal das Parlament, die Regierung, die Gerichte und | |
das Militär, aber sie hat kaum noch wirklich Macht. Der letzte Einwand | |
gegen einen Premierminister fand vor 188 Jahren statt. Heute steht die | |
Monarchie vor allem für die Anerkennung von Personen und Organisationen, | |
die sich für andere einsetzen oder die Besonderes geleistet haben. | |
Selbstverständlich hat die Krone auch repräsentative Funktionen. | |
Abgesehen davon, dass auch die Niederlande, Belgien, Spanien, Dänemark, | |
Norwegen und Schweden konstitutionelle Monarchien sind: Die Republiken | |
Deutschland, Italien, Österreich, Polen, Frankreich oder die USA sind weder | |
besser noch schlechter als das Vereinigte Königreich. | |
## Republiken haben Ersatzkönige und -königinnen | |
Deutschland schaffte Kaiser und Könige ab und holte sich stattdessen den | |
Führer. In den USA gibt es Ersatzkönige und -königinnen. Im Vereinigten | |
Königreich wählte man einen anderen Weg, man hielt die Monarchie am Leben, | |
band sie aber an das gewählte Parlament. So vereinte man Tradition und | |
Geschichte mit der Gegenwart, in der die Macht denen gehört, die man | |
abwählen kann. Hier gewinnt weder die eine noch die andere Seite, sondern | |
man einigte sich auf einen Kompromiss. | |
Das Prinzip der Rechte für alle ist in England sogar noch älter als in | |
Deutschland und geht auf die Magna Carta aus dem Jahr 1215 zurück – obwohl | |
Juden und Jüdinnen bald davon ausgenommen waren und sie später auch erst | |
mal nicht für afrikanische Menschen galt. | |
Die verstorbene Queen sah das Ende des Empires und respektierte am Ende | |
Menschen aus aller Welt und deren Kulturen. Das war lange Zeit mehr, als so | |
manche Politiker:innen taten, wie unter anderem ihre Differenzen mit | |
Margaret Thatcher zu Apartheid-Südafrika zeigten. | |
Woran Trauernde jetzt vor allem denken, ist, dass über 70 Jahre hinweg die | |
Queen ihr Los nicht nur annahm, sondern es lebte und versuchte, ihm durch | |
unermüdlichen Dienst an ihren Untertan:innen einen Inhalt zu geben. | |
Niemand weiß, was sie den 15 Premierministern und Hunderten Minister:innen, | |
die sie 70 Jahre lang in wöchentlichen Audienzen empfing, gesagt hat. | |
## Royale Existenzberechtigung durch Pflichtbewusstsein | |
Aber man weiß, dass sie alle Regierungsgeschäfte durchlas und dass alle | |
Regierungschefs ihren Rat unter vier Augen schätzten. Nur wenige Menschen | |
verpflichten sich im Alter von 21 Jahren freiwillig dem Dienst am Volk und | |
halten sich daran bis zum Tod im Alter von 96. | |
Die Königsfamilie ist sich bewusst, dass dieses Pflichtbewusstsein ihre | |
Existenzberechtigung am Leben hält. Außerdem gilt sie als Stütze des | |
Landes. Ohne die Monarchie würde das Vereinigte Königreich womöglich | |
auseinanderbrechen, und es gäbe keine Autorität mehr, die über der Politik | |
steht. | |
Klar, es kann auch einen schlechten König geben, aber durch die Verfassung | |
und das öffentliche Rampenlicht befindet sich das Königshaus stets unter | |
Beobachtung, während es gleichzeitig verteidigt wird. | |
Aber wie ungerecht ist es doch, argumentierte einer in Berlin, dass die | |
Monarch:innen mit goldenem Löffel im Mund leben können! Ja – doch auch | |
in Nichtmonarchien schaffen die freie Marktwirtschaft und Phänomene wie der | |
Spitzenfußball und der Starkult faktische Prinzen und Prinzessinnen. Sie | |
alle sind Teil der Verzerrung. | |
## Massentrauer als kollektives Erlebnis | |
Was bei Kritik am Massentrauerkult am Ende nicht fehlen darf, ist der Blick | |
in den Spiegel. Ist es wirklich besser oder anders in Deutschland? Der | |
deutsche Bundesverband Bestattungsbedarf sieht in Massentrauer ein | |
allgemeines menschliches Phänomen beim Umgang mit Prominenten: „Es wird | |
mitgelebt und mitgelitten.“ | |
Weiter betont der Verband „das kollektive Erlebnis“. Man trauert gemeinsam | |
und zeigt Gefühle, ohne dass sich die eigene Lebensgeschichte verändere. | |
„Wenn ein realer Mensch aus dem näheren Umfeld stirbt, hat das | |
Konsequenzen. Wenn ein Promi stirbt, verändert sich im Alltag nicht viel; | |
der Verlust ist weniger gravierend. | |
Die Gefühle der Trauer sind daher viel ‚ungefährlicher‘ und können leich… | |
gelebt werden als in der Realität. Man könnte es fast als ein ‚Ausprobieren | |
des Ernstfalls‘ beschreiben.“ Für den Verband ist dies positiv, weil der | |
Umgang mit dem Tod und der Trauer so nicht mehr aus der Gesellschaft | |
verdrängt wird. | |
Bei Massentrauer um die Queen oder Masseneuphorie wie beim 70. | |
Thronjubiläum vor drei Monaten sind nicht alle, die mitmachen, fanatische | |
Monarchist:innen. Ob die britische Monarchie eine Zukunft hat und haben | |
sollte, ist eine Frage, die dennoch gestellt werden darf und soll. | |
Wie ein mir bekannter Geschichtslehrer an einer Schule in England neulich | |
bemerkte: Irgendwann könnten Brit:innen durchaus ein Ende dieser | |
Institution verlangen, vielleicht wenn ein bestimmter Monarch oder die | |
Familie sich unerträglich benommen hätten. Aber dann, sagte er, bitte ohne | |
Blutvergießen. | |
19 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Grossbritannien-nach-Tod-der-Queen/!5878182 | |
[2] /Tod-von-Queen-Elizabeth-II/!5878075 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
## TAGS | |
Queen Elizabeth II. | |
Großbritannien | |
Trauer | |
Monarchie | |
Schwerpunkt Brexit | |
Monarchie | |
Großbritannien | |
Großbritannien | |
Queen Elizabeth II. | |
Queen Elizabeth II. | |
Queen Elizabeth II. | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Royals in Dänemark: Königin, Kippen, Kostüme | |
Königin Margrethe von Dänemark dankt ab. Damit verliert der alte Kontinent | |
sein coolstes Staatsoberhaupt. | |
Abschied in Großbritannien: „Die Königin war meine Queen“ | |
Mitten im ostenglischen Ipswich haben sich hunderte Menschen versammelt. | |
Sie die Trauerfeier für die Queen auf einer Leinwand. | |
Abschied von Queen Elizabeth II.: Die Welt zu Gast bei einer Toten | |
Die Trauerfeier für Queen Elizabeth II. in der Westminster Abbey war auch | |
ein internationales Gipfeltreffen – mit dem Commonwealth an erster Stelle. | |
Begräbnis der Queen: Die Demokratie hat abgedankt | |
Der Tod Elisabeths II. wäre eine Gelegenheit, endlich den Fortbestand der | |
britischen Monarchie in Frage zu stellen. Doch dafür fehlt noch immer die | |
Mehrheit. | |
Vereinigtes Königreich in der Krise: Das Ende eines Zeitalters | |
Schwierige Transformation in Großbritannien: Wie liegen die Dinge auf der | |
Insel nach den Machtübernahmen von Premier Liz Truss und König Charles | |
III.? | |
Trauer um Queen Elizabeth II.: „Sie gab uns Hoffnung“ | |
Vor dem Königsschloss Windsor nehmen Trauernde von der Queen Abschied. Zu | |
König Charles III. äußern sie sich zuversichtlich. | |
Nachruf auf Königin Elizabeth II.: Ein Leben im Verborgenen | |
Die Queen stellte sich nie in den Vordergrund, sie lebte für die Krone. Von | |
vielen Briten wurde sie dafür verehrt – und hinterlässt nun eine große | |
Lücke. |