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# taz.de -- Suche nach etwas Gemeinsamem: Was könnte der deutsche Traum sein?
> Unser Kolumnist fragt sich, was die deutsche Gesellschaft bei allen
> Unterschieden als Gemeinsames haben könnte. Und wie damit Wandel gelingen
> könnte.
Bild: Was kann das gemeinsame Ziel einer pluralistischen und diversen Gesellsch…
Auf dem Campus der [1][Uni Stanford] steht [2][Hans Ulrich Gumbrecht] im
obligatorischen Muskelshirt und raucht eine Zigarette. Der
Literaturprofessor emeritus hat sich in Kalifornien, im Herzen des Silicon
Valley, seinen amerikanischen Traum verwirklicht. Mich interessiert, was
für ihn der deutsche Traum sein könnte.
Wie immer ist da ein Moment der Irritation, wenn ich die zwei Worte
ausspreche. Deutscher Traum – echt jetzt? Schließlich waren deutsche Träume
im 20. Jahrhundert zu Albträumen der Menschheit geworden, weshalb der
deutsche Traum nach 1945 keiner war, sondern der selbst erteilte und von
den Amerikanern erfolgreich beaufsichtigte Auftrag, anständig zu werden.
Gumbrecht ist Jahrgang 1948. Er sagt, er habe „den Traum von Deutschland
als demokratischem Land schon als Motivation erlebt“. Das hat auch sehr
ordentlich geklappt, doch nun muss man die These zulassen, dass „nie
wieder“ richtig bleibt, aber nicht mehr reicht. Doch, sagt auch Gumbrecht:
„Einen anderen Traum hat’s nicht gegeben.“
Man würde ja gern „Europa“ sagen, und wer als Deutscher irgendeine Zukunft
haben will, muss auch Europäer sein. Aber das ist rational. Wer träumt
wirklich von Europa außer Daniel Cohn-Bendit und Franziska Brantner?
Was könnte der deutsche Traum sein, der ein transformatorisches,
postfossiles und ein europäisches Moment emotional und auch erotisch
vorantreibt und nicht nur Sonntagspredigtsound bleibt? Meine Arbeitsthese
ist, dass es das braucht, um eine gemeinsame Grundlage zu haben, auf der
man streiten kann, die zentralen Auseinandersetzungen der kommenden Jahre
hart benennt und nicht mehr diffus wegstreichelt wie Merkel/Scholz. Und in
all den medialen Aufregungen und Zerstreuungen dennoch stets weiß, dass das
Ziel nicht der Aufprall auf den Eisberg ist.
Aber es geht nicht allein um dessen Vermeidung, sondern um etwas, das uns
als pluralistische, diverse, individualistische Gesellschaft gemeinsam
antreibt. Und da sind wir beim Problem der „Progressiven“: Können gerade
wir Alt- und Jung-Wokies das überhaupt? Sein Minderheitenanliegen zu
verfolgen, aber für das Gemeinsame als existenzielle Grundlage genauso hart
zu kämpfen, das wäre wirklich progressiv.
Angesichts [3][steigender Preise für Energie] und anderes wäre es
naheliegend, die „soziale Gerechtigkeit“ als das große Gemeinsame zu
beschreiben, deren Fehlen auch sozialökologische Transformation verhindere.
Es ist ohne Frage die Aufgabe der Bundesregierung, denen politisch zu
helfen, die Hilfe brauchen. Das ist auch eine Grundlage für
gesellschaftlichen Frieden, es ist aber keine Kultur, die eine
Transformation ermöglicht.
Wir können den guten, den sozialdemokratischen Teil des 20. Jahrhunderts
auslaufen lassen, solange es geht. (Spoiler: Es geht nicht mehr lang.) Oder
wir forcieren eine neue Kultur. Sie beruht allerdings darauf, dass das Neue
– das klingt banal, ist aber zentral – nicht umverteilt werden kann, bevor
es gemacht worden ist. Es kann auch nicht herbeigesprochen werden, so schön
wie wir Habermasianer uns das früher gedacht haben. Beides ist wichtig,
aber zentral ist jetzt: Machen, machen, machen. Das heißt auch: Fehler
machen. Ein großer Traum muss zu okayer Realität gemacht werden.
Aber dazu müssen wir wissen, was wir uns gemeinsam erträumen.
11 Sep 2022
## LINKS
[1] https://www.stanford.edu/
[2] /Literaturhistoriker-ueber-Stadt-und-Land/!5848583
[3] /Energiekrise-trifft-Unternehmen/!5880840
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
taz.gazete
Deutschland
Kolumne Die eine Frage
Transformation
Gesellschaftskritik
Robert Habeck
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Schwerpunkt Ostdeutschland
Energiekrise
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