# taz.de -- Afghanische Fußballerin über ihr Exil: „Ich erwarte Fairness“ | |
> Die afghanische Nationaltorhüterin Fatima Yousufi spielt und lebt seit | |
> einem Jahr in Australien. Ein Gespräch über die Flucht – und den Wunsch, | |
> international zu spielen. | |
Bild: Fatima Yousufi beim Aufwärmen vor einem Ligaspiel in Melbourne Ende Augu… | |
taz: Frau Yousufi, ein Jahr leben Sie jetzt bereits in Australien und | |
spielen als Kapitänin der afghanischen Nationalmannschaft mit Ihrem Team im | |
Ligabetrieb Australiens. Wie haben Sie sich eingelebt, sportlich, emotional | |
und alltagspraktisch? | |
Fatima Yousufi: Ich habe gerade so etwas wie meinen zweiten Geburtstag. Vor | |
genau einem Jahr kam ich in Australien an und begann meine Quarantäne. | |
Damals konnte ich mir noch gar nicht vorstellen, wie es hier sein wird, | |
dass ich hier Fußball spiele und dass ich eine Stimme [1][für die Frauen | |
Afghanistans] sein werde. Sportlich geht es uns gut. Wir sind Dritte in der | |
Liga geworden und steigen in der nächsten Saison auf. Das ist schön. | |
Parallel zum Fußball setze ich meine Ausbildung fort. | |
Das letzte Spiel endete 9:0 für Ihr Team Melbourne Victory FC AWT, korrekt? | |
Besteht es weiterhin ausschließlich aus afghanischen Nationalspielerinnen? | |
Ja, das stimmt, wir haben den Brimbank Stallions FC 9:0 besiegt. Der Kern | |
unseres Teams ist weiterhin die Nationalmannschaft. Es sind aber auch | |
weitere Spielerinnen aus Afghanistan hinzugekommen, die in Australien sind. | |
Unser Team ist nun größer. | |
Haben Sie auch eine Chance, außerhalb des australischen Ligabetriebs als | |
Nationalmannschaft Afghanistans aufzutreten, etwa an internationalen | |
Turnieren oder der Qualififikation für die Asienmeisterschaften | |
teilzunehmen, wie es das Männerteam Afghanistans derzeit macht? | |
Leider nicht. Genau das ist ein großes Problem. Die Männer dürfen spielen, | |
das Männerteam setzt sich ebenfalls aus Spielern aus dem Ausland zusammen. | |
Wir Frauen dürfen aber nicht. Bislang haben die internationalen Verbände da | |
noch keine Entscheidung getroffen. Das ist so enttäuschend für uns. Aber | |
natürlich hoffen wir, dass es bald klappt. | |
An wem liegt es? Am Weltverband Fifa, am asiatischen Verband? | |
Auf den Verband in Afghanistan können wir schlecht hoffen. Es ist klar, | |
dass die Taliban Frauen nicht Fußball spielen lassen wollen. Ja, ich | |
erwarte und erhoffe mir [2][eine Entscheidung der Fifa], und dass hier | |
Fairness herrscht zwischen Männern und Frauen. Es darf doch nicht sein, | |
dass es nicht die gleichen Rechte für Frauen gibt, dass sie nicht Fußball | |
spielen oder schwimmen oder anderen Sport betreiben können. | |
Wenn Sie sich an die Situation vor einem Jahr in Kabul erinnern, als die | |
Taliban die Macht eroberten, wo waren Sie da? Was haben Sie gedacht und | |
getan? | |
Es ist richtig hart, mich daran zu erinnern. Denn auf einmal waren wir vor | |
eine Entscheidung über unser ganzes Leben gestellt. Es ging zunächst ums | |
pure Überleben. Denn alles war plötzlich am Ende: Bildung und Ausbildung, | |
der Sport, die Familie, [3][die Träume und Ziele, die wir hatten]. Nichts | |
schien mehr möglich. Wir träumten davon, die afghanische Gesellschaft | |
voranzubringen. Ich wollte, wie ich es meinen Eltern versprochen hatte, | |
höhere Bildung erlangen und studieren. Ich wollte eine gute Sportlerin | |
sein, mein Land würdig vertreten. All diese Vorstellungen brachen in sich | |
zusammen. Und man musste um sein Überleben bangen. | |
Mich beeindruckte bei der Geschichte Ihrer Rettung, dass Ihr Team | |
geschlossen agierte. Wie kam es dazu? | |
Das Fußballteam war wie eine zweite Familie für mich. Es gab gar keinen | |
Unterschied zwischen meiner Familie und dem Team. Was wir gelernt haben, | |
war immer, dass das Team vorgeht, vor allen Eigeninteressen. Der | |
Zusammenhalt war wichtig, gerade, wenn jemand verletzt war oder wir ein | |
Spiel verloren hatten. Das Ganze, das Team ging vor. Und so war es auch in | |
dieser Situation. Wir bekamen natürlich auch Hilfe, von unserer früheren | |
Torwarttrainerin, von Aktivistinnen in Australien. Aber es war das Team, | |
das zählte. Und so brachten wir unsere 25 Teammitglieder und viele | |
Familienangehörige, insgesamt 80 Personen, raus aus dem Land. | |
Wie erlebten Sie damals die Situation am Flughafen Kabul? | |
Das war nicht mehr der Flughafen, den wir vorher gekannt hatten, wo man | |
entspannt ankam, an dem eine angenehme Atmosphäre herrschte, man sich in | |
den Flieger setzte und dorthin abhob, wohin man wollte. Nein, es war die | |
pure Apokalypse, wie aus einem Horrorfilm. Alle hatten Angst. Nie vergessen | |
werde ich die Kinder, die schrien: ‚Ich will nicht sterben, Mama.‘ Zwei | |
Tage und zwei Nächte verbrachten wir am Flughafen. Wir wurden teilweise von | |
unseren Familienmitgliedern getrennt. Wir sahen, wie sie geschlagen wurden. | |
Es waren so viele schlimme Momente. Und wir wussten, dass wir alles | |
aufgaben, unser ganzes Leben in Afghanistan. | |
Waren Sie als Sportlerinnen besonders gefährdet, weil die | |
Religionsauffassung der Taliban Frauen Sport verbietet? | |
Natürlich waren wir gefährdet. Wir beschlossen, sofort unsere | |
Social-Media-Kanäle zu schließen. Die meisten von uns hatten solche Kanäle. | |
Wir wussten, dass die Taliban alle Häuser durchsuchten und Menschen | |
umbrachten, Sportlerinnen, Journalistinnen und Journalisten, all die, die | |
Stimmen der guten afghanischen Gesellschaft waren. Deshalb hatten wir große | |
Angst. Ich habe all meine Trikots und meine Pokale vergraben, um keine | |
Spuren zu hinterlassen. | |
Haben Sie Kontakt zu Sportlerinnen, die in Afghanistan geblieben sind? | |
Es ist so traurig. Ich war Teammanagerin der Nachwuchsteams, habe mit | |
Mädchen der U15 und U17 gearbeitet. Eine Hälfte des Teams ist in Portugal, | |
die andere Hälfte aber immer noch in Afghanistan. Jeden Tag bekomme ich | |
Text- und Sprachnachrichten von ihnen, aber auch von früheren | |
Nationalspielerinnen und von Spielerinnen aus den Provinzen. Sie haben es | |
so schwer. Ihnen werden alle Rechte verweigert, das Recht auf Bildung, das | |
Recht auf Sport. Ich fordere alle Länder, alle Regierungen auf, ihre | |
Grenzen zu öffnen für diese Mädchen und Frauen, dass sie eine Chance | |
bekommen. | |
Was sagen Sie den Mädchen, wenn Sie sie erreichen? Welche Art von Hoffnung | |
können Sie vermitteln? | |
Ich sage ihnen, dass sie nicht aufgeben sollen. Unser Beispiel zeigt ja, | |
dass auch in den dunkelsten Momenten noch etwas Gutes geschehen kann. Ich | |
ermuntere sie, weiter Sport zu treiben, und wenn es nur in der eigenen | |
Wohnung ist. | |
8 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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