# taz.de -- Westberliner Wutbürgertum: Aufregende Luxuskarossen | |
> Vor 35 Jahren sorgten Straßenkreuzer in Beton für einen Skandal. Eine | |
> Potsdamer Schau erinnert an den Skulpturenboulevard Berlin. | |
Bild: Da waren die Cadillacs auch schon nicht mehr gaz frisch: Reinigung der Vo… | |
BERLIN taz | Die Insel West-Berlin war reich an Bauskandalen. Ein | |
Kunstskandal aber war neu in der Stadt der achtziger Jahre, wo Sex, | |
[1][Punk], Partys und nächtliche [2][Club-Exzesse] Popstars, | |
Künstler:innen und neugierige Tourist:innen anzogen. Man war tolerant | |
und lebte bequem. | |
Wohnungen links und rechts des Kurfüstendamms waren für ein paar Hundert | |
D-Mark zu mieten, Einschüsse und Spuren des Zweiten Weltkriegs noch überall | |
an den Fassaden zu sehen. Kohleheizungen sorgten im Winter für Smog, und | |
die, die es sich leisten konnten, flohen dann auf die Kanaren. | |
Die internationale Kunstszene traf sich bei der Kölner Kunstmesse im | |
Rheinland, deshalb musste West-Berlin mit Großausstellungen protzen, um das | |
Publikum anzuziehen. Der größte Kunstskandal, der West-Berlin erschütterte, | |
ereignete sich im Jahr 1987 zur 750-Jahr-Feier der Stadt eben am | |
beschaulichen Kurfürstendamm und erzeugte die ersten Wutbürger:innen | |
und einen aggressiven Shitstorm ungeheuerlichen Ausmaßes durch die Stadt. | |
Dieser Moment Berliner Stadtgeschichte ist [3][Thema einer aktuellen | |
Ausstellung im Museum Fluxus+ in Potsdam]. Mit „Concrete Cadillacs“ wird an | |
Wolf Vostells „Anti-Denkmal der Konsumgesellschaft“ erinnert zum 35. | |
Jubiläum des Berliner Skulpturenboulevards. Kuratiert wird die Schau von | |
Philipp John und Barbara Straka, die auch Kuratorin des | |
Skulpturenboulevards war. | |
## Repräsentative Meile | |
Wo heute bunte Buddy-Bären und zum Ende des Jahres hin üppige | |
Weihnachtsdekoration die Kaufgemeinde der Luxusboutiquen am Kurfürstendamm | |
beglücken, wollte man mit dem Boulevard repräsentativ eine bedeutende | |
Kunstmeile im öffentlichen Raum entwickeln, zur Verdeutlichung des | |
Anspruchs von Berlin, als ebenbürtig mit New York, London, Paris anerkannt | |
zu werden. Die Idee kam von dem 1998 verstorbenen Berliner Maler, Bildhauer | |
und Happeningkünstler Wolf Vostell, der den Kurfürstendamm als idealen Ort | |
für ein Skulpturenmuseum im öffentlichen Raum sah. | |
Die einzelnen Skulpturen sollten dabei in Form einer „regelmäßigen | |
Perlenschnur“ auf dem Mittelstreifen des Edelboulevards im Abstand von 50 | |
Metern aufgestellt werden. Das erwies sich aber technisch als nicht | |
realisierbar, dementsprechend suchte eine Kunstjury passende Kunst für | |
passende Orte, und die Ereignisse nahmen ihren Lauf. | |
Realisiert wurden 1987/88 immerhin acht Skulpturen an Berlins elegantester | |
Flaniermeile, um die eingemauerte Stadt auch international am | |
zeitgenössischen Kunstgeschehen zu beteiligen. Zudem war Berlin 1988 zur | |
Kulturhauptstadt gekürt worden, und das sollte auch mit großer Kunst im | |
öffentlichen Raum gefeiert werden. 1,8 Millionen Mark standen bereit. | |
Der damalige Kultursenator Volker Hassemer (CDU) gab das Projekt | |
„Skulpturenboulevard“ beim Neuen Berliner Kunstverein in Auftrag, der sich | |
damals am Kurfürstendamm befand, und unterstützte das Vorhaben ohne Wenn | |
und Aber gegen alle Angriffe. Der Regierende Bürgermeister Diepgen (CDU) | |
aber war nach dem Aufschrei seiner Wähler:innen dagegen und verkündete, | |
mit ihm werde es ein solches Vorhaben nicht geben. | |
## Die Sache kochte hoch | |
Entsprechende Berichte und Interviews des SFB kann man noch im RBB-Archiv | |
abrufen und sich über derart viel auf Kunst bezogene Polemik und Hysterie | |
nur wundern. Auch die Stadtpresse war daran eifrig beteiligt und kochte die | |
Sache hoch. So diskutierten Leute auf der Straße über Zeitungsschlagzeilen | |
wie „Kunst oder Schrott“, sprachen von „Zwangsverkunstung“, | |
Antigruppierungen bildeten sich und sammelten Unterschriften, das Volk | |
wurde selbst kreativ, es entstanden dubiose Gegenskulpturen. | |
Die verantwortliche Kuratorin Barbara Straka bekam während der Ereignisse | |
sogar Mord- und Bombendrohungen und musste für zwei Jahre bei Freunden | |
untertauchen. Sie und ihr Team versuchten es mit Gesprächen auf der Straße | |
und mit Kunstvermittlung – und riskierten dabei ihre körperliche | |
Unversehrtheit. | |
Bei ihrer Eröffnungsrede zur Schau in Potsdam erzählte Straka von | |
Zuschriften, die offen und auch anonym verschickt wurden. In denen war von | |
„Entarteter Kunst“ die Rede, von „Gaskammern für Künstler“ und von | |
„Irrsinnsbekundungen“ im Tenor tiefbrauner Propaganda. „Künstler und | |
Veranstalter“, so ein Briefeschreiber, solle man „an den Laternen des | |
Kurfürstendamms öffentlich aufknüpfen“. | |
Von den damaligen Geschehnissen zeugt heute noch auf der Mittelinsel am | |
Rathenauplatz in Charlottenburg, am Ende des Kurfürstendamms, Wolf Vostells | |
Auto-Beton-Skulptur „2 Beton Cadillacs in Form der nackten Maja“. | |
## „Nicht mal deutsche Autos!“ | |
Täglich fahren daran Tausende Autos vorbei, und aus dem Auto heraus hat man | |
da wenig Muße, eine Skulptur zu betrachten. Kaum vorstellbar aber ist | |
heute, dass diese aus zwei amerikanischen Luxusschlitten bestehende und in | |
Beton gegossene Skulptur die gediegen bürgerliche West-Gemeinde in so eine | |
vulgäre Wutgemeinde verwandeln konnte. „Das sind nicht mal deutsche Autos“, | |
rief ein Mann aus einer aufgeregten Menschenmenge, die sich bei der | |
Skulptur versammelt hatte, in die SFB-Fernsehkamera. | |
Auch das an der Joachimsthaler Straße Ecke Kurfürstendamm platzierte | |
banal-realistische „Randaledenkmal“ von Olaf Metzel erregte ganz besonders | |
die Geister. Bestehend aus aufgestapelten rot-weißen Absperrgittern, auf | |
denen ein Einkaufswagen thronte, erinnerte es doch an etliche | |
Großdemonstrationen. Ganz schnell wurde die Skulptur damals abgebaut, heute | |
ist sie auf dem Euref-Campus in Schöneberg zu sehen. | |
Durch den Skandal und bundesweite Medienberichte zog der | |
Skulpturenboulevard Touristen magisch an und entwickelte sich zu einem | |
wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmen. Mittlerweile fanden | |
Besucher:innen die Kunstwerke toll und eine Skulptur ganz besonders: | |
die vierteilige und acht Meter hohe Plastik „Berlin“ vom Künstlerpaar | |
Brigitte und Martin Matschinsky-Denninghoff am anderen Ende des | |
Skulpturenboulevards beim Kaufhaus des Westens. Die symbolträchtige | |
verschlungene Metallarbeit ist bis heute ein beliebtes, mit der | |
Gedächtniskirche im Hintergrund fotografiertes Sujet und zu einem | |
Wahrzeichen Berlins geworden. | |
Die Potsdamer Ausstellung hat eine große Zahl an Zeitungsartikeln, Fotos, | |
Videos, Briefen und Dokumenten zu den damaligen Geschehnissen | |
zusammengetragen. Gleichzeitig wird der 90. Geburtstag von Wolf Vostell | |
gefeiert. | |
Heute gibt es eine Fangemeinde seiner Cadillac-Skulptur und Sponsoren, die | |
sich zusammen mit der Familie um den Erhalt der aufwendigen Skulptur | |
kümmern. Denn Kunst im öffentlichen Raum braucht Pflege. | |
5 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Postpunk-Alben-aus-Berlin/!5837439 | |
[2] /Rolf-Eden-ist-tot/!5874256 | |
[3] https://www.fluxus-plus.de/ausstellung-im-museum.html | |
## AUTOREN | |
Renata Stih | |
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