| # taz.de -- Direktorin über das Kunstzentrum Cukrarna: Kunst als ein Kissen zu… | |
| > Alenka Gregorič ist die Programmdirektorin des neuen Kunstzentrums | |
| > Cukrarna im slowenischen Ljubljana. Es soll aber nicht nur ein Museum | |
| > sein. | |
| Bild: Cukrarna-Galerie in Ljubljana | |
| taz: Frau Gregorič, die Zuckerfabrik in Ljubljana war bis Mitte des 19. | |
| Jahrhundert die größte des Habsburgerreichs, später nach dem Erdbeben von | |
| 1895 hausten in dem heruntergekommenen Gebäude unter anderem einige der | |
| bedeutendsten Schriftsteller der slowenischen Moderne – seit letztem Jahr | |
| ist die Cukrarna nun auch offiziell eine Institution der Kunst. Welche | |
| Rolle soll sie spielen? | |
| Alenka Gregorič: Nun, es gibt bereits eine ganze Menge alternativer, | |
| unabhängiger Kulturräume in Ljubljana und Slowenien – und natürlich die | |
| Museen und andere kulturelle Institutionen, die einen guten Job machen. | |
| Aber die [1][Cukrarna] hat eine andere Aufgabe, denn sie ist weder Museum | |
| noch Galerie. Es ist eher eine Kunsthalle – und damit der fehlende Stein im | |
| Mosaik des hiesigen Kunstsystems. | |
| Inwiefern? | |
| Die Cukrarna dient nicht nur dazu, Kunst auszustellen, sondern auch dazu, | |
| zeitgenössische Kunst zu produzieren – und das auch in Form von | |
| verschiedenen Diskursen und Herangehensweisen an die Vermittlung solcher | |
| Kunst an das Publikum. Ich denke, das ist der entscheidende Punkt, denn wir | |
| alle sind mit dem Problem konfrontiert, dass zeitgenössische Kunst oft | |
| unlesbar und zu hermetisch ist. Man braucht eine Menge Wissen, um sie zu | |
| verstehen. Wir müssen Werkzeuge finden, Kunst einem Publikum zu vermitteln, | |
| das kein typisches Kunstpublikum ist – und genau das war mein | |
| Hauptanliegen, als ich im Jahr 2019 eingeladen wurde, ein Programm für die | |
| Cukrarna zu entwickeln. | |
| An welchem Punkt haben Sie begonnen? | |
| Ich habe erst mal die Kunstszene analysiert: Wo könnte sich dieser neue | |
| Raum positionieren, auch im Verhältnis zur internationalen Szene? Die | |
| Cukrarna hat ein vielfältiges Publikum, das wir zu entdecken versuchen. Wer | |
| sind die Interessierten? Was vermissen sie? Was sind die | |
| Erwartungshaltungen, welche Werkzeuge brauchen wir, um ihnen Kunst zu | |
| kommunizieren? Das war zunächst meine Hauptaufgabe. Eine Autobahn mit | |
| mehreren Spuren, die ich immer wieder wechseln musste, um schließlich eine | |
| Balance zu finden, im Einklang zu sein auch mit meinen eigenen | |
| Kunstpräferenzen. | |
| Wie kann es denn konkret gelingen, verschiedene Arten künstlerischen | |
| Ausdrucks zu kombinieren? | |
| Zeitgenössische Kunst besteht aus einer Vielfalt von Zugängen, Medien und | |
| Ausdrucksweisen. Wir können also nicht nur über Skulpturen oder Gemälde | |
| sprechen, es ist ja alles miteinander verbunden. Also verbinden wir | |
| Performance, Musik, Tanz, Lesungen … die Architekten von Scapelab haben | |
| ihre Aufgabe gut gelöst, indem sie darüber nachgedacht haben, was Kunst | |
| heute bedeutet. | |
| Ein Architekturbüro aus Ljubljana – renoviert wurde seit 2018, das Haus hat | |
| eine beachtliche Gesamtfläche von 5.600 Quadratmetern. | |
| Der Raum ermöglicht uns, in viele verschiedene Richtungen zu gehen und | |
| mehrere Veranstaltungen zugleich zu haben. Die Idee dahinter ist, dass | |
| dieser Ort einer der Begegnung und des Gedankenaustauschs ist. Kunst soll | |
| hier nicht nur konsumiert werden, stattdessen soll man auch eigene Ideen | |
| und Wissen einbringen können. Die Cukrarna kann so moderne Kunst vor Ort | |
| tatsächlich im besten Sinne verankern. | |
| Die erste Ausstellung trug den Titel „Die Schönheit der Erinnerung“, | |
| basierend auf den Briefen des slowenischen Poeten Dragotin Kette an Ivan | |
| Cankar. Dragotin erkrankte tödlich an Tuberkulose, während er in der | |
| Cukrarna lebte. Warum haben Sie einen rückwärtsgewandten Beginn gewählt? | |
| Diese Ausstellung befasste sich mit Erinnerung, weil diese uns stark | |
| definiert. Mittels persönlicher und kollektiver Erinnerung erschaffen wir | |
| unsere Idee von der Zukunft – es ging also darum, welche Erinnerungen wir | |
| unserem Verständnis von Gegenwart hinzufügen könnten. Ich habe daher | |
| Künstler*innen eingeladen, eine Art Bündnis einzugehen mit uns als | |
| Institution. Auf diese Weise entstand eine Werkstatt, in der deren Ideen, | |
| unsere als Institution und die des Publikums verhandelt wurden. Es war eine | |
| kollektive Arbeit, und in diesem Stil haben wir über 80 Veranstaltungen im | |
| letzten Jahr gehabt. | |
| Von Adrian Paci, einem albanischen Künstler, zeigten Sie in der ersten | |
| Ausstellung ein Werk, das sich mit dem Transport einer klassizistischen | |
| [2][Marmorsäule] von China nach Italien und den damit zusammenhängenden | |
| prekären Arbeits- und Produktionsverhältnissen beschäftigt – und sich so | |
| auch in den Kontext des „Balkans“ fügt, Transformationen von Ost nach West | |
| … | |
| Ja, ich stamme aus Ex-Jugoslawien, aus Osteuropa. Und ich habe mich schon | |
| immer auch für die Strukturen des Kunstmarkts, politische Strukturen und | |
| die wirtschaftlichen Überlebenschancen von Künstler*innen interessiert. | |
| Ich war lange Zeit Teil der nicht von der öffentlichen Hand unterstützten | |
| Kunstwelt, etwa der [3][Galerie Škuc], war über zehn Jahre lang selbständig | |
| – und ich habe größten Respekt vor jedem, der sich dafür entscheidet, | |
| Künstler, Kuratorin oder Kunsttheoretiker*in zu werden. Aber es ist | |
| wichtig zu begreifen, dass diese Probleme eben nicht nur lokal bestehen, | |
| etwa hier in Ljubljana, sondern überall, auch in Berlin oder Marseille. | |
| So wie die chinesischen Arbeiter, die die Marmorsäule unter großen | |
| Schwierigkeiten über die halbe Welt transportieren müssen? | |
| Ich sage immer, dass Kunst mich nicht schlagen soll. Manchmal braucht es | |
| nur eine freundliche Geste, eine wirklich sanfte, die dein Verständnis der | |
| Dinge durcheinanderwirbelt. So wie die Arbeit von Adrian Paci, die sich mit | |
| unserer Vorstellung von Kunstproduktion auseinandersetzt. Kunst sollte | |
| nicht predigen, sie sollte unterrichten, uns einladen, über Dinge | |
| nachzudenken, uns selbst auszudrücken – und uns nicht nur ständig | |
| aufzeigen, was alles falsch läuft. | |
| In Ihrer Auswahl findet man auch Marjetica Potrč, eine international sehr | |
| erfolgreiche slowenische Künstlerin, die sich mit ökologischen und sozialen | |
| Themen befasst. Aber ist ihre Arbeit auch dem einheimischen Publikum | |
| bekannt? | |
| Ich versuche [4][Marjetica Potrč] in möglichst viele Projekte | |
| miteinzubeziehen, weil ich denke, dass ihr Werk unglaublich gut ist. Die | |
| Art, wie sie Wissen transformiert, von dem man annimmt, dass es unwichtig | |
| ist, weil es nicht niedergeschrieben wurde oder von indigenen Völkern | |
| stammt. Sie spricht mit unglaublich vielen verschiedenen Menschen über ihre | |
| Themen, es ist eine Tiefenrecherche und das daraus hervorgehende Material | |
| wird zur Grundlage ihrer Arbeit – alles basiert auf Zusammenarbeit, ist | |
| Gemeinschaftswerk. Sie ist eine Frau der Tat – und ihre Projekte sprechen | |
| zu den Menschen. | |
| Sie haben mal gesagt, eines der Probleme in Slowenien sei, dass es zwar | |
| eine Menge Zuhören gäbe, aber kein Hören – weshalb es geradezu zwingend | |
| sei, gemeinsame Projekte anzugehen. Ist die Cukrarna tatsächlich ein Ort, | |
| an dem sich auch eine breitere Öffentlichkeit einbringen kann? | |
| Es ist ein Versuch und es ist nicht leicht. Wir versuchen auch andere | |
| Stimmen zu hören und das beeinflusst unsere Art zu denken und an Projekten | |
| zu arbeiten. Mit anderen zu arbeiten bringt immer auch Vorteile – zum | |
| Beispiel Inhalte, auf die ich nie gekommen wäre. Oder Debatten, die ich nie | |
| eröffnet hätte. | |
| Aus dem Englischen von Martin Reichert | |
| 30 Aug 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://cukrarna.art/en/ | |
| [2] https://cukrarna.art/en/program/exhibitions/1/the-wonderfulness-of-memory/ | |
| [3] https://www.skuc.org/domov/ | |
| [4] /Marjetica-Potr-ueber-Kunst-an-Baustellen/!5361509 | |
| ## AUTOREN | |
| Bostjan Bugaric | |
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| Kurator Vladimir Kulić. |