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# taz.de -- Die Wahrheit: Komm doch mit auf den dunklen Berg
> 25 Jahre Netflix. Eine letzte Serie fehlt noch. Gangster, Nazis, schwarze
> Koffer: „Rheinberg“ (Teil 2 und Ende). Nach wahren Begebenheiten …
Bild: Die dritte Kostbarkeit Rheinbergs: Claudia Schiffer
Was bisher geschah: Während die Zimmers in Rheinberg zu einer
rechtschaffenen Postmeisterfamilie werden, machen die Underbergs ihr Geld
im Amerika der Prohibition. Noch ist Claudia Schiffer nicht aufgetaucht.
Anna Zimmer lebt mit ihrem Mann Paul inzwischen auf dem Annaberg, einem
idyllischen Vorort. Sein ganzer Stolz ist sein silberner Offizierssäbel,
den er im Ersten Weltkrieg zwar nie zücken musste, den er aber liebevoll
pflegt und putzt. Und so vergräbt er die wertvolle Waffe wohlweislich im
Garten, kurz bevor die amerikanischen Truppen im Zweiten Weltkrieg nach
Rheinberg einrücken. Es nützt nichts – ein findiger GI gräbt das teure
Stück sogleich aus, und bis zu seinem Tod flucht der Uropa jeden Tag
darüber, dass sein glänzender Säbel als Kriegsbeute irgendwo in Texas über
dem Kamin eines Cowboys hängt. Die Amerikaner sind die Russen in
Bügelfalten.
Ab dem 90. Geburtstag bekommen alle Rheinberger jedes Jahr eine
pyramidenförmige Plastiktorte mit 90 und mehr aufgetürmten Fläschchen
Likör. Das ist jedes Mal ein großes Hallo, wenn am Geburtstag der nun
verwitweten Uroma ein Fahrer in Livree die Flaschentorte bringt und alle
Festgäste, selbst die Kinder, sich spuckend und feixend einen Magenbitter
über den Knorpel gießen.
Es ist längst wieder Frieden, die Prohibition liegt lange zurück, selbst
die Wirtschaftswunderjahre sind vorbei. Unbeschadet haben die Underbergs
alles überstanden, selbst durch die Nazizeit sind sie gut gekommen, sie
waren ja praktisch katholische Widerstandskämpfer. Nur Anna Zimmer, die mit
Obrigkeiten nie, erst recht nicht mit den Nazis, etwas zu schaffen hatte
und einmal sogar den an der Haustür klingelnden Herrn Pfarrer der Tür
verwies, weil sie ihre dickglasige Brille nicht aufhatte und einen Betrüger
vermutete, die ehrpusslige Oma Rheinberg glaubt zu wissen, was wirklich
geschehen ist in der Nazizeit bei den Underbergs.
## Zweigeteilte Familie
Die Familie soll, genetisch bedingt, geteilt sein in zwei Zweige. Inzucht,
raunt die Uroma. Denn auf der einen Seite gibt es bei den Underbergs Söhne,
die kleinwüchsig sind und aus Angst vor dem Rassenwahn der Nazis in einem
Kloster versteckt werden. Und auf der anderen Seite hat die Familie große
blonde Herrenreiter hervorgebracht, die zur SS geschickt werden, sodass sie
ihre schützende Hand über die Familie und ihre Geschäfte legen können, was
allerdings nicht viel nützt, weil 1939 in der Mangelwirtschaft des Kriegs
die Kräuterlikörproduktion eingestellt werden muss. Während des Kriegs
flüchten die Underbergs in die Schweiz. Zur Stunde null sind sie dann
wieder zurück und wie alle Deutschen arme Mitläufer.
Irgendwo an dieser Stelle der Kriegs- und Nachkriegswirren müsste das
dunkle Familiengeheimnis offenbart und in der Serie ein fiktiver
Zusammenstoß der Familien Zimmer und Underberg konstruiert werden, der
einen heftigen Konflikt zwischen den redlichen Kleinbürgern und den
mächtigen Großbürgern hervorruft. Um das als Autor zurechtzufriemeln, muss
man vermutlich einige Fläschchen Bitter trinken, und am Ende könnte man
nicht mehr auseinanderhalten, was wahr ist und was nicht an der
Räuberpistole …
Als er einmal dienstlich einbestellt wird, entdeckt Paul Zimmer an einer
Wand in der Villa Underberg seinen Säbel, den GI Joe als Kriegsbeute hat
mitgehen lassen. Der amerikanische Soldat war der uneheliche Sohn des alten
Underberg, der während der Prohibition zur Feier seines Deals in Washington
zu viel getrunken und bei einem Seitensprung mit einer dunkelhäutigen
Bardame in einem Speakeasy ein Kind gezeugt hat, was ihm seine
erzkatholische Gattin daheim in Deutschland nie verzeihen würde. Bei der
Einnahme Rheinbergs 1945 hat der junge Amerikaner zunächst Paul Zimmers
Säbel erbeutet, anschließend läuft er durch die leere Villa seines
heimlichen Vaters und vertraut seinem vorgesetzten Offizier seine wahre
Herkunft an. Weil er aber noch kurz vor Kriegsende beim Vormarsch auf
Berlin fällt, übergibt der Offizier später dem aus dem Exil gerade
zurückgekehrten alten Underberg den Säbel, der seiner Frau alles gesteht,
die daraufhin einen Blutsturz erleidet und stirbt.
Paul Zimmer erkennt jetzt seinen Säbel, reißt ihn an sich, wird vom Alten
überrascht und es beginnt rund um den 56 Meter hohen Kräuterturm der
Likörfirma ein dramatisches Mantel-und-Degen-Duell zwischen den beiden
Männern, bei dem Paul das Augenlicht verliert.
## Schmetternder Hip-Hop
Woher der zweite Säbel kommt, ist jetzt egal. Hauptsache, Action beim
Showdown! Unterlegt ist die Szene jedenfalls mit dem schmetternden Gesang
aus der berühmten Werbung: „Komm doch mit auf den Underberg.“ Als
Hip-Hop-Version. Zu bizarr? Zu abstrus? Ach was! Nicht für Netflix. Lasst
uns Kühlschränke in die Luft sprengen! Lasst Haie himmelhoch springen!
Aber von Streaming-Diensten weiß die Uroma noch nichts, die mit leiser
werdender, ersterbender Stimme immer weiter erzählt beim Dessert, das aus
selbst geernteten Rhabarberstangen besteht, die angelutscht in Zucker
getunkt werden. Nach dem Spülen setzt sie sich ans Fenster, um im fahlen
Licht Kreuzworträtsel zu lösen und auf die anderen Enkel zu warten, die
bereits studieren und später zum Abendessen kommen. Heute ist wieder der
neue Freund von Tante Susi dabei. Moni kommt aus einem sagenumwobenen
fernen Morgenland, aus Bangladesch, und ist wie Hadschi Halef Omar ein
echter Muslim. Und wie Kara Ben Nemsis Gefährte mag er Schweinebraten, am
liebsten den niederrheinischen von Oma Rheinberg.
Und an der Stelle würde endlich die wunderschönste Tochter Rheinbergs
auftreten, die eine unglaubliche Karriere gemacht hat von der grauen
Discomaus zu einem der bekanntesten Models der Welt. Claudia Schiffer
kehrt, reich und berühmt, in ihre krautige Heimat zurück, und jeder will
sie sehen, auch die Zimmers und die Underbergs. Das wäre die End-Emo, die
fröhliche Szene am Schluss, in der alle Beteiligten gemeinsam in eine
strahlende Zukunft lachen …
So wäre es, würde ich das Drehbuch einer Fernsehserie schreiben. Was
allerdings nie passieren wird, weil die Underbergs – clever, wie sie sind
– schon wüssten, wie sie ihre echten und die erfundenen Geheimnisse
bewahren können. Notfalls mit gezücktem Säbel.
30 Aug 2022
## AUTOREN
Michael Ringel
## TAGS
Familie
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