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# taz.de -- Der Hausbesuch: Er macht nicht, was andere erwarten
> Als Schüler peppt Stephan Griese Flohmarktfunde zu Partyoutfits auf. Dann
> macht er sich als Designer selbstständig – bis er umdenken muss.
Bild: Hauptsache, bunt: Modedesigner Stephan Griese in seinem Berliner Haus
Mit seinen bunten Hemden sollen Männer lernen, mehr Mut in der Mode zu
zeigen. Zu Besuch bei Designer Stephan Griese in Berlin.
Draußen: Stadtrand, in der Nähe des Spandauer Forstes. Kurz vor den Feldern
Brandenburgs ein Haus mit selbst gemalter Sonne auf der Fassade. Hier wohnt
Stephan Griese gemeinsam mit seinem Mann, einer Polin, die eine Ausbildung
zur Altenpflegerin macht, und einem Pakistani, der Iranistik studiert. Laut
Griese keine Gemeinschaft von Freunden: „Aber wir verstehen uns sehr gut
und genießen das Leben am Stadtrand.“
Drinnen: Das Haus gehörte einst Stephan Grieses Großmutter und ist seither
in Familienbesitz: „Immer mein Zuhause.“ Im Wohnzimmer hat jede Wand ein
eigenes Design. Eine ist bordeauxrot gestrichen, eine dunkelgrün, eine in
psychedelischem 70er-Print gehalten. Die Möbel sind bis auf einen weißen
Rundtisch aus Teakholz. Nebenan im Zimmer ebenfalls viele dunkle, antike
Möbel und ein runder Holztisch: „Das ist unser Spielezimmer. Wir spielen
alle gerne.“ Auf dem Boden stapeln sich Platten: „Ich sammle die und muss
immer wieder welche aussortieren und verschenken.“
Clash: In der Teakholzschrankwand im Wohnzimmer steht ein neonfarbener
Elefant neben einem Schwarz-Weiß-Bild in antikem Rahmen: „Für Clash bin ich
immer zu haben.“ Giese mag Brüche: „Man sollte nie machen, was andere
erwarten.“
Natur: Von der Terrasse aus blickt Stephan Griese auf nichts als Gärten.
Außer dem Läuten einer Kirchenglocke bleibt es still: „Ich lebe hier, weil
ich Grün brauche. In der Stadt wohnen wäre nicht meins. Da würde ich
eingehen wie eine Primel.“
Mode: Bei einer Zigarette erzählt Griese, wie er zur Mode gekommen ist. In
den 80ern habe er als Abiturient kein Geld gehabt, um sich Partyklamotten
zu leisten. Daher hätten er und seine Freunde, inspiriert von der
New-Wave-Bewegung, damit begonnen, auf dem Flohmarkt günstige Teile zu
suchen, „sie umzunähen und zu verändern, zu verzieren“. Neben der Schule
tanzte er: Showtanz, Paartanz und Formationstanz. Im Showtanz wurde er
Vizeeuropameister: „Auch für das Tanzen habe ich immer genäht.“ Griese
spricht sehr schnell. Darauf angesprochen, grinst er: „Ich habe damals noch
viel schneller gelebt, als ich spreche.“
Lehrjahre: Nach dem Abitur habe ihn seine Familie gedrängt, „etwas
Richtiges zu lernen, doch Studieren war nicht meins“. Also habe er eine
Schneiderlehre begonnen. Sein Meister aber sei von der alten Schule
gewesen: „Man musste still sitzen, durfte nicht reden und wurde stundenlang
angebrüllt.“ Nach vier Monaten wurde er krank. „Da meinte meine Mutter:
‚Brich ab.‘ “ Er habe eh schon fast alles beherrscht. Den Rest lernte er …
Kursen und studierte noch etwas BWL, um Ahnung von Finanzen zu bekommen.
Unterschiede: Als er sich als Designer selbstständig machte, war er erst 21
Jahre alt: „Mein Anspruch war damals, Herren- und Damenmode aus dem
Geschlechtszusammenhang zu nehmen.“ Im Gegensatz zur Unisexmode, die immer
oversized sei, habe er für seine Kollektionen die unterschiedlichen
Körperformen bedacht: „Aber die Muster und die Stoffe waren gleich.“ Bald
musste er feststellen, dass sich die Herrenkollektionen weniger rentierten.
Also spezialisierte er sich auf Haute Couture für Frauen und machte einen
Laden am Kurfürstendamm in Berlin auf.
Ästhetik: Mode, meint Stefan Griese, sei immer Abbild gesellschaftlicher
Bedingungen: So zeige die Berliner Streetfashion, wie multikulturell die
Stadt sei: „Im Gegensatz zu Mailand gibt es hier eine große Vielfalt.“ Mode
habe schließlich nichts mit Geld zu tun, sondern mit einem Sinn für
Ästhetik: „Paris ist deshalb eine Modestadt, weil Ästhetik dort in allen
Einkommensschichten eine Rolle spielt und viele modisch interessiert und
imstande sind, mehr als ein T-Shirt zu tragen.“
Familie: Die Familie ist ihm wichtig. Das merkt man schon an den Bildern
seiner Großeltern an der Wand des Spielezimmers. Als seine Mutter im Alter
pflegebedürftig wurde, wollte er sie nicht einfach betreuen lassen, sondern
selbst für sie da sein: „Doch als Chefdesigner wurde ich im Laden
gebraucht, musste Anproben und Änderungen persönlich machen.“
Bunte Hemden: Bei einer nächtlichen Runde mit Freunden kam ihm die Idee:
bunte Hemden. Für Männer. Seine jetzigen Kaiser-Friedrich-Hemden – benannt
nach der Straße des Ladens am Berliner Schloss Charlottenburg – seien eine
echte „Schnapsidee“ gewesen, sagt er lachend. Für ihn sei entscheidend,
Freude zu transportieren. Das Wort Designerhemd betrachtet er als ein
Schimpfwort: „Meine Hemden sollen für alle sein.“
Selbstläufer: Weil die Nachfrage hoch war, habe er entschieden, die Haute
Couture einzustellen und nur auf die Hemden zu setzen: „Die werden nach dem
gleichen Schnitt in einheitlichen Größen produziert.“ In schrillsten,
buntesten Mustern, aber auch schlicht. Maßanfertigungen und Anpassungen
fielen weg, und er konnte sich auf die Prints konzentrieren. „Die Hemden
waren ein Selbstläufer. Die können auch im Webshop oder auf Märkten
verkauft werden.“ So blieb ihm Zeit für seine Mutter: „Mit den Hemden ging
es bergauf, mit meiner Mutter bergab.“
Made in Berlin: Alles an seinen Hemden sei vegan und werde in Berlin von
Lohnmeisterbetrieben gefertigt. Nur die Rohlinge der nach Elfenbein
aussehenden Polyesterknöpfe, die von einem Knopffärber auf das jeweilige
Muster des Hemds abgestimmt und eingefärbt würden, stammten aus Italien:
„So was wird hier nicht produziert.“ Die Kunden haben lebenslange Garantie:
„Sie kommen, wenn sie irgendwo hängen bleiben und ein Loch haben, einen
Knopf verlieren. Nur wenn sie 20 Kilo zunehmen, können wir nicht viel
machen.“
Luxussegment: Die Arbeit im Luxussegment sei ganz anders gewesen. Nicht
nur, weil er bei der Anpassung persönlich zugegen sein musste. Eine Frau
habe mal bei der Anprobe gesagt: „Für das Geld müsste ich aber mindestens
aussehen wie Dornröschen.“ Stephan Griese grinst: „Da denkt man schon mal:
Hallo? Ich bin doch kein Schönheitschirurg!“
Ansprüche: Seine Hemden hätten nichts mehr mit dem Anspruch zu tun, den er
einst an Mode hatte: „Ich würde mich nicht einmal mehr als Modedesigner
bezeichnen. Was ich jetzt mache, ist eher textiles Werken.“ Die Freude an
der Arbeit aber sei gewachsen: „Weil ich Menschen anders glücklich machen
kann.“
Stil: Wie Menschen ihre Hemden letztlich tragen und pflegen, sei eine
Charakterfrage: „Es gibt die, die um einen extrasteifen Kragen bitten
und es bügeln, und die, die ihr Hemd zerknittert tragen.“ Auf die Frage,
wie er sich selbst gerne kleide, meint er: „Wenn ich in der Masse bin,
ziehe ich immer ein buntes Hemd an.“ Wenn er allein sei, trage er gerne
Sarong, also einen gewickelten Rock wie in Asien bei Männern geläufig, oder
habe „nichts an“.
Aneignung des Fremden: Vom Diskurs über [1][Cultural Appropriation], also
die Frage, ob es etwa okay ist, wenn Designer*innen religiöse Symbole
wie einen Turban zu Massenware machen, hat er erst kürzlich gehört: „Ich
lebe in einer Blase, gehöre ja nicht zur Mehrheitsgesellschaft mit dem, was
ich mache und wie ich lebe als schwuler Mann.“ Er habe sich noch keine
Meinung gebildet: „Aber wenn in der Menschheitsgeschichte nicht Dinge von
anderen Kulturen weitergegeben worden wären, hätten wir weder Nudeln noch
Feuerwerk.“ Dass er privat gerne einen Sarong trage, sei ein Ausdruck der
Wertschätzung: „Ein Kompliment an Trageeigenschaften und Look.“
Miteinander: Es gelte neue Formen des Miteinanders zu finden: „Wir sind
doch eher auf dem Weg zu einer globalen Kultur. In einer Zeit, in der die
Zukunft nur gemeinsam stattfinden kann, weil Ressourcen begrenzt sind,
müssen wir uns enger zusammenschließen, statt Differenzen zu
unterstreichen.“
29 Aug 2022
## LINKS
[1] /Ueberlegungen-zu-kultureller-Aneignung/!5589035
## AUTOREN
Eva-Lena Lörzer
## TAGS
Der Hausbesuch
Mode
Designer
Der Hausbesuch
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