| # taz.de -- taz Sommercamp: Gespräch zwischen zwei Generationen | |
| > Dietrich Zeidler ist 13 und Michael Eder fast 80. Sie unterhalten sich | |
| > über Krieg, Klima, Krise. Und darüber, wie es ist, in ihrem Alter zu | |
| > sein. | |
| Bild: Krieg in der Ukraine – nach einem Raketenangriff | |
| Berlin [1][taz Panter Stiftung |] | |
| Dieter: Michael, du bist 13, ich fast 80. Im Sommercamp hast du dich für | |
| das Thema Krieg entschieden, ich für Klimawandel. Warum hast du das Thema | |
| gewählt? | |
| Michael: Ich habe das Thema gewählt, weil meine Großtante vor Krieg | |
| flüchten musste. In der Familie haben wir letztens ein Tagebuch von ihr | |
| gelesen. Das hat mich sehr berührt und ich höre ja jetzt ständig vom | |
| Ukraine-Russland-Krieg. Das ist näher bei uns und das hat mir mehr Angst | |
| gemacht. Deswegen wollte ich mich mehr mit Krieg auseinandersetzen. | |
| Dieter: Was hat dich im Tagebuch der Großtante besonders berührt? | |
| Michael: Dass sie von ihrer Familie getrennt wurde. Sie war damals, glaube | |
| ich, gerade 18. Sie ist 100 Jahre alt geworden. | |
| Dieter: Ich war drei Jahre alt, als meine Mutter mit uns fünf Kindern | |
| geflohen ist, auch im Krieg. Als der Ukraine der Krieg erklärt wurde, da | |
| habe ich zu Hause gesessen in einer warmen Wohnung und den ganzen Tag | |
| gefroren. Ich habe mich gefragt: Wieso frierst du? Vielleicht gibt es ja so | |
| etwas wie ein Gedächtnis im Körper, der in so einem Moment sofort anfängt, | |
| sich zu erinnern. Es waren wahrscheinlich die Fluchterfahrung im Februar | |
| 1945, die meinen Körper haben frieren lassen. Ich bin aber trotzdem | |
| erstaunt, dass du dieses Thema gewählt hast. | |
| Michael: Ich habe einen Freund, der kommt aus Afghanistan. Er musste auch | |
| fliehen mit seiner Familie. Da war er sechs. Zum Glück haben es fast alle | |
| überlebt, aber sein Onkel wurde vor seinen Augen erschossen. Der Vater von | |
| meinem Vater musste auch im Krieg kämpfen, er wurde bewusstlos. Alle | |
| dachten, er ist tot, aber er hat überlebt. | |
| Dieter: Wenn du jetzt über den Krieg in der Ukraine hörst, was für Gefühle | |
| hast du dann? | |
| Michael: Ich finde es vor allem schlimm, wenn Kinder ihre Eltern verlieren. | |
| Wir haben einen in der Fußballmannschaft, der kommt aus der Ukraine. | |
| Michael: Warum hast du dich für das Thema Klima entschieden? | |
| Dieter: Ich bin in einem Alter, dass ich diese ganz hohen Temperaturen | |
| vielleicht nicht mehr werde erleben müssen. Ich habe auch keine Kinder. | |
| Aber es gibt eben doch die große Familie: Ich habe viele Großneffen und | |
| -nichten. Also dachte ich: Mach dich ein bisschen schlauer. Und vielleicht | |
| muss ich selber auch noch aktiver werden. | |
| Michael: Wie war es für dich, im Krieg geboren zu werden? | |
| Dieter: Auf der Flucht war ich mit meiner älteren Schwester an der Hand | |
| angebunden, damit wir nicht verloren gehen. Meine beiden älteren | |
| Geschwister konnten schon eine Tasche tragen, meine Mutter trug die jüngste | |
| Schwester auf dem Arm. | |
| Michael: Und wie war die Welt, als du 13 warst? | |
| Dieter: Als ich 13 war, das war 1955, gab es unter der Woche Margarine, am | |
| Sonntag Butter. Es gab höchstens einmal in der Woche ein Fleischgericht. | |
| Ich musste die Klamotten meines Bruders auftragen. Ich war dann Ende der | |
| 1950er Jahre sehr stolz, als ich meine erste eigene Hose hatte. Also es war | |
| eine Zeit, die im Rückblick schon sehr karg gewesen ist. Aber während der | |
| Zeit selber habe ich das gar nicht so empfunden. Wie stellst du dir die | |
| Welt vor, wenn 80 bist, Michael? | |
| Michael: Ich stelle mir die Welt sehr technisch vor. Sie wollen ja schon um | |
| 2032 rum zum Mars fliegen. Es wird viel mehr Technologie, geben, fliegende | |
| Autos möglicherweise, [2][viel mehr Luxus] und sehr viel mehr Hochhäuser. | |
| Ich glaube, dass es auf der Erde sehr, sehr viel heißer sein wird. Dass es | |
| nicht mehr so viele schöne Orte auf der Erde geben wird. Und dass wir sehr | |
| viel mehr Leute auf der Erde sein werden. Ich weiß nicht, ob es dann mehr | |
| Armut geben wird, weil ja alles teurer wird durch die Inflation, oder ob es | |
| weniger Armut geben wird. Hattest du Hobbies, in deiner Kindheit, Dieter? | |
| Dieter: Zum einen Singen: Ich war im Knabenchor. Und ich habe als | |
| Heranwachsender Basketball gespielt. Fußball war nicht mein Ding, da hatte | |
| ich die falschen Füße. Ich habe als Hauptschullehrer unter anderem Sport | |
| unterrichtet und habe mithilfe der Schülerinnen und Schüler bis zum 55. | |
| Lebensjahr noch den Handstandüberschlag geschafft. | |
| Michael: Redest du oft über die Flucht und den Krieg? | |
| Dieter: Das ist eine sehr gute Frage. Wir sind eine Generation, die nicht | |
| in der Lage war, die Eltern beispielsweise nach dem zu fragen, was in der | |
| Nazizeit und im Krieg passiert ist. Das war ein unausgesprochenes Tabu. Da | |
| wurde nicht geredet, wurde nicht nachgefragt. | |
| Michael: Was findest du, hat sich an der Welt gut verändert und was hat | |
| sich eher schlecht verändert? | |
| Dieter: Da sitzt gerade jemand vor mir, der mir das vormacht, was gut ist: | |
| Du beispielsweise. Also das finde ich großartig, dass Menschen in deinem | |
| Alter und auch die Heranwachsenden so aktiv sind und so interessiert sind | |
| an dem, was in der Welt geschieht und was man an ihr verändern muss. | |
| Traurig bin ich darüber, wie wenig sich in diesen fast 80 Jahren sich in | |
| dieser Welt zum Positiven gewendet hat. Das hält sich die Waage. Was sind | |
| denn deine weitere Interessen und Hobbys, Michael? | |
| Michael: Unter anderem Fußballspielen. In meinem Dorf habe ich richtig | |
| viele Freunde. Wir spielen dort alle Fußball und wir gucken auch immer zu, | |
| wenn die erste Mannschaft spielt, und dann grillen wir manchmal noch | |
| zusammen. Und den ganzen Sommer über gehe ich schwimmen. Wir haben | |
| Anlegestellen, da legen die Dampfer an, da kann man runterspringen, das | |
| sind so zweieinhalb Meter und das ist richtig cool. Und meine Familie ist | |
| mir sehr wichtig. | |
| Dieter: Was denkst du, wie das weitergehen soll oder weitergehen wird in | |
| der Ukraine? | |
| Michael: Wie kann eigentlich so blöd sein, Unschuldige umzubringen? Es ist | |
| ja immer noch nicht dein Land, wenn du die Leute umbringst. Ich verstehe | |
| gar nicht, wie man so was machen kann. Also übers Herz bringen kann. Ich | |
| meine, so ein Putin hat ja auch ein Leben. Der muss ja wissen, der bringt | |
| gerade tausende Unschuldige um wegen seiner Entscheidung, oder? Wie das | |
| weitergehen soll, da bin ich mir nicht sicher. Mit der neuen Generation | |
| könnte ich mir vorstellen, dass es besser wird. Weil keiner will ja | |
| eigentlich Krieg. Und der Putin ist auch nicht mehr der Jüngste. Hast du | |
| noch Freunde aus deiner Kindheit? | |
| Dieter: Ich habe Freunde, die mich seit fast 70 Jahren begleiten. Das sind | |
| wenige, weil einige schon nicht mehr leben. Aber die Freundschaften, die | |
| ich habe, sind alle in der Regel zwischen 70 und 40 Jahre lang. | |
| Michael: Welche Tipps hast du für die jüngere Generation? Weil du hast ja | |
| jetzt schon sehr viel erlebt. | |
| Dieter: Also erstens würde ich mir wünschen, dass es möglichst viele | |
| Menschen gibt, die so unterwegs sind, wie du es bist. Aus meiner Sicht ist | |
| ein Großteil der jungen Menschen auf dem richtigen Wege, in ihrem Leben für | |
| Verbesserungen zu sorgen. Ich würde mir nur wünschen, dass es noch viel | |
| mehr werden. | |
| 19 Aug 2022 | |
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