# taz.de -- Verhandlung am BGH zum Mordfall Lübcke: Freisprüche im Prozess wa… | |
> Nach dem Mord an Walter Lübcke gab es eine Verurteilung und zwei | |
> Freisprüche. Der Bundesgerichtshof prüft diese Entscheidungen. | |
Bild: Stephan Ernst am Tag der Urteilsverkündung im Prozess zum Tod von Walter… | |
KARLSRUHE taz | Das Verfahren um den [1][Mord am Kasseler | |
Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU)] könnte in eine neue Runde gehen. | |
Mehrere Revisionen, die am Donnerstag am Bundesgerichtshof (BGH) verhandelt | |
wurden, haben Aussicht auf Erfolg. | |
Der Rechtsextremist Stephan Ernst hatte im Juni 2019 Walter Lübcke nachts | |
auf dessen Terrasse erschossen. Dafür wurde Ernst im Januar 2021 vom | |
Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt [2][wegen Mordes zu lebenslanger | |
Freiheitsstrafe verurteilt.] Ernst wurde aber vom Vorwurf freigesprochen, | |
er habe 2016 einen irakischen Asylbewerber hinterrücks niedergestochen. | |
Freigesprochen wurde auch Ernsts Freund Markus H., dem Beihilfe zum | |
Lübcke-Mord vorgeworfen wurde. Alle Verfahrensbeteiligten legten Revision | |
ein. | |
Jürgen Schäfer, der Vorsitzende Richter des BGH-Staatsschutzsenats, machte | |
gleich zu Beginn deutlich, worum es in der Revision geht: „Der BGH kann das | |
Frankfurter Urteil nur auf Rechtsfehler prüfen.“ Die Beweiswürdigung der | |
Frankfurter Richter müsse der BGH grundsätzlich akzeptieren. Deshalb wurden | |
am BGH auch keine Zeugen gehört und sonst keine Beweismittel geprüft. | |
Zunächst ging es um den Freispruch H.s.. Die Bundesanwaltschaft hatte ihm | |
Beihilfe zum Mord an Lübcke vorgeworfen. Der Rechtsextremist H. habe mit | |
Ernst Schießübungen gemacht und so dessen Fertigkeiten als Schütze | |
verbessert. Außerdem habe H. seinen Freund weiter radikalisiert und damit | |
psychische Beihilfe zum von Ernst geplanten Lübcke-Mord geleistet, den H. | |
zumindest für möglich hielt. | |
## Auch H. droht eine lange Haftstrafe | |
Das OLG hatte H. jedoch freigesprochen, weil es belastende Aussagen des | |
Schützen Ernst nicht glaubte. Ernst habe im Laufe des Verfahrens zu viele | |
unterschiedliche Versionen des Geschehens erzählt. „Die Alltagstheorie ‚wer | |
einmal lügt, dem glaubt man nicht‘ gilt aber nicht im Strafprozess“, | |
argumentierte Bundesanwalt Johann Schmid, der dem OLG die Anwendung | |
falscher Beweisregeln vorwarf. | |
„Ob H. in einem neuen Prozess wegen Beihilfe zum Mord verurteilt wird, ist | |
offen, aber es muss einen neuen Prozess geben“, betonte Bundesanwalt | |
Schmid. Die gleiche Argumentation vertraten die Anwälte der Familie Lübcke, | |
Ali B. Norouzi und Holger Matt. Bei einer Verurteilung droht auch H. eine | |
lange Freiheitsstrafe. Vor dem OLG hatte H. einfach nur geschwiegen. | |
Auch beim zweiten großen Streitpunkt zogen Bundesanwaltschaft und | |
Nebenklage an einem Strick. Der Freispruch Ernsts wegen des Angriffs auf | |
den Iraker beruhe auf einem Denkfehler, erklärte Bundesanwalt Schmid. Ernst | |
war hier freigesprochen worden, weil bei ihm zwar ein dolchartiges Messer | |
gefunden wurde, das der Tatwaffe entsprach, eine Kassenquittung belegte | |
jedoch einen Kauf nach der Tat. | |
## Quittung beweist gar nichts | |
„Diese Quittung begründet eine Vermutung, dass das Messer nach der Tat | |
gekauft wurde, aber es beweist dies nicht“, so der Bundesanwalt, „H. könnte | |
auch ein zweites Messer gekauft haben, nachdem er in den Fokus der Polizei | |
geraten war, um die Ermittler mit dem Kassenbeleg zu täuschen“. Der Anwalt | |
des Irakers, Alexander Hoffmann, sah dies ebenso. | |
Sollte es deshalb einen neuen Prozess gegen Ernst und sogar eine | |
Verurteilung wegen Mordversuchs geben, wären die Auswirkungen freilich | |
gering, da Ernst wegen des Mordes an Walter Lübcke bereits zu | |
lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt worden war. | |
Dagegen hat die Revision von Stephan Ernst wohl keine Aussicht auf Erfolg. | |
Sein Anwalt Mustafa Kaplan beantragte eine Verurteilung wegen Totschlags | |
statt wegen Mordes. Vor den tödlichen Schüssen habe es noch einen | |
Wortwechsel gegeben, Lübcke sei also „wehrlos, aber nicht arglos“ gewesen. | |
Damit entfalle das Mordmerkmal der Heimtücke. Damit will Anwalt Kaplan aber | |
nur ein anderes Beweisergebnis durchsetzen, womit er am BGH keinen Erfolg | |
haben kann. | |
## Familie fordert weitere Aufklärung | |
Außerdem wurde Ernst auch wegen eines zweiten Mordmerkmals, der „niedrigen | |
Beweggründe“, verurteilt. Anwalt Kaplan argumentierte zwar mit Ernsts | |
Glaube, die Tötung Lübckes liege im Interesse der Allgemeinheit. Doch diese | |
Selbstüberhöhung der eigenen extremistischen Ideologie wird beim BGH wohl | |
kaum Anerkennung finden. | |
Irmgard Braun-Lübcke, die Witwe des Ermordeten, war mit ihren zwei | |
erwachsenen Söhnen zur Verhandlung gekommen. Sie erinnerte in bewegten | |
Worten an ihren Mann, „er hat noch so gerne gelebt“. Die Familie forderte | |
erneut Aufklärung über die letzten Sekunden von Walter Lübckes Leben. Der | |
BGH wird ihr aber wohl nicht helfen können, weil er ja keine Beweise | |
erhebt. | |
Und auch ein neuer Prozess kann nicht verhindern, dass der Haupttäter | |
Stephan Ernst immer wieder mit neuen Versionen für Verwirrung sorgt. Der | |
BGH will sein Urteil am 25. August verkünden. | |
28 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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