Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Vor Abschiebung bewahrt: Auf dem Weg zum Azubi
> Nach zwei Härtefallanträgen kann der schwerbehinderte Raheel Afzal in
> Berlin bleiben. Doch für Geflüchtete mit Behinderung gibt es weiter hohe
> Hürden.
Bild: Raheel Afzal vor dem Standort der Stephanus-Werkstätten in Berlin-Obersc…
Berlin taz | Raheel Afzals Augen strahlen, während er von seiner neuen
Krankenkassenkarte erzählt. „Da steht sogar mein richtiger Geburtstag
drauf“, sagt er. Bis vor Kurzem wurde ihm – wie vielen geflüchteten
Menschen auch – der erste Januar als Geburtsdatum zugeschrieben. Was für
die meisten eine weitere rechteckige Plastikkarte im Portemonnaie ist, ist
für Afzal ein Stück Identität. Diese ermöglicht ihm nun eine angemessene
medizinische Versorgung – denn aufgrund seiner Epilepsie gilt er mit einem
Grad von 70 als schwerbehindert.
Afzal scheint erleichtert an diesem Juni-Mittag in Berlin-Oberschönweide.
Er lächelt zur Begrüßung, wirkt entspannt und aufgeschlossen. Er sitzt auf
der Terrasse der Stephanus-Werkstätten, auf dem Holzstuhl neben ihm sitzt
die Sozialarbeiterin Anja Schlorke. Seit über einem Jahr arbeitet Afzal nun
in der behindertengerechten Werkstatt. Der Unterschied zum vergangenen
Jahr: Damals bangte der mittlerweile 34-Jährige Pakistani noch um seine
Duldung. Zwei Härtefallanträge, zahlreiche Briefe an die Politik und einen
Regierungswechsel hat es gebraucht, bis Afzal Anfang des Jahres endlich
aufatmen konnte: Er hat einen zunächst befristeten Aufenthaltstitel
bekommen und darf in Deutschland bleiben.
„Ich bin jetzt sehr glücklich, ja“, sagt Afzal und lächelt. [1][Beim
letzten Treffen mit der taz im vergangenen Oktober] war er von Freude noch
weit entfernt: Sein Blick war streng, er wirkte zurückgezogen. Die
Sorgenfalten auf seinem Gesicht konnte der etwas längere Bart nur zum Teil
verstecken. Der Aufenthaltstitel hat sich aber nicht nur auf Afzals
Lebensfreude ausgewirkt, sondern auch auf sein Deutsch – denn inzwischen
hat er einen behindertengerechten Deutschkurs besucht.
„Endlich wird sich richtig um Raheels Bedürfnisse gekümmert“, sagt
Schlorke. Raheel Afzal hat Glück – und einen großen Unterstützerkreis.
Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hatte im zweiten Härtefallverfahren
entschieden, ihm ein humanitäres Bleiberecht zu gewähren. [2][Zuvor hatte
der ehemalige Innensenator Andreas Geisel (SPD) die Empfehlung der
Härtefallkommission auf ein humanitäres Bleiberecht abgelehnt.] Als Grund
für die nun positive Entscheidung nannte die aktuelle Senatsverwaltung den
„neuen Sachverhalt und die dazugewonnenen Erkenntnisse“. Aus
Datenschutzgründen könne man dazu keine genaueren Angaben machen.
## Es fehlen Strukturen für behinderte Flüchtlinge
Viele behinderte Flüchtlinge haben dieses Glück allerdings nicht und werden
von der Politik übersehen – es fehlen Strukturen, die ihnen
behindertengerechte Sprachkurse vermitteln und ihnen ihren Fähigkeiten
entsprechende Arbeiten suchen. „Menschen mit schwerwiegenden körperlichen,
psychischen und seelischen Beeinträchtigungen vorzuwerfen, sie hätten nicht
genug ‚Integrationsleistungen‘ erbracht, ist zynisch“, heißt es vom
Flüchtlingsrat, der Afzal im letzten Jahr bereits begleitet hatte.
Für viele Flüchtlinge mit humanitären Härten könnte die neue Berliner
Landesregierung ein Hoffnungsträger sein. Schließlich heißt es auch im
rot-grün-roten Koalitionsvertrag, dass bei Entscheidungen über
Kommissionsersuchen humanitäre Aspekte wie gesundheitliche Einschränkungen,
Alter, Behinderung und Pflege von Kindern oder Angehörigen im Zuge der
Einzelfallprüfung besonders zu berücksichtigen sind.
In den vergangenen Monaten hat es laut Flüchtlingsrat zwar bereits einige
positive Entscheidungen über Anträge von Menschen mit Behinderung oder
chronischen Krankheiten gegeben – ob die Politik der neuen Regierung aber
wirklich zu einem Paradigmenwechsel im Umgang mit behinderten Flüchtlingen
führt, wird sich wohl erst in den kommenden Jahren zeigen.
Auf Nachfrage der taz nach konkreten Plänen für den künftigen Umgang mit
behinderten Flüchtlingen verweist die Senatsverwaltung lediglich auf den
Koalitionsvertrag, in dem die Zusammenarbeit mit der Härtefallkommission
und die Beachtung humanitärer Aspekte verankert seien.
## Forderung: Rechtzeitig auf Bedarfe eingehen
2021 wurden 269 Anträge von den Mitgliedern der Härtefallkommission
gestellt. Allerdings führt die Senatsverwaltung keine eigene Statistik
dazu, wie viele davon von und für behinderte Flüchtlinge kamen und wie
viele davon letztendlich positiv entschieden wurden. [3][Der Flüchtlingsrat
wünscht sich, dass geflüchtete Menschen mit Behinderung oder chronischen
Krankheiten frühzeitig und systematisch als solche identifiziert werden],
damit – im Gegensatz zu Raheel Afzals Fall – rechtzeitig auf ihre
besonderen Bedarfe eingegangen werden kann. „Trotz klarer europarechtlicher
Vorgaben fehlt in Berlin nach wie vor ein solcher verbindlicher
Identifizierungsmechanismus“, sagt der Flüchtlingsrat.
Für die Berliner Flüchtlingspolitik ist Sprangers positive Entscheidung
also zunächst ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, für Afzal und
seine Unterstützer aber ein großer Erfolg. Er möchte sich nun sorgenfrei um
seine Zukunft in Berlin kümmern. Seit einem Jahr arbeitet er bei den
Stephanus-Werkstätten als Praktikant – ohne einen Cent Vergütung. „Er kom…
trotzdem jeden Tag motiviert hierher und hat Spaß bei der Arbeit“, sagt
Schlorke.
Die Aufenthaltsgenehmigung möchte Afzal nutzen, um so schnell wie möglich
eine Ausbildung bei den Stephanus-Werkstätten zu beginnen. Mit der neu
gewonnenen Lebensfreude möchte er auf dem ersten Arbeitsmarkt starten und
jedem Tag mit demselben Lächeln zur Arbeit gehen, wie er es jetzt schon bei
den Stephanus-Werkstätten tut.
4 Aug 2022
## LINKS
[1] /Schwerbehindertem-droht-Abschiebung/!5805383
[2] /Abschiebung-von-Menschen/!5690041
[3] https://fluechtlingsrat-berlin.de/presseerklaerung/28-09-2021-stoppt-die-ab…
## AUTOREN
Sara Guglielmino
## TAGS
Abschiebung
Leben mit Behinderung
Härtefall
Innensenatorin Iris Spranger
Pakistan
Asylverfahren
Pakistan
## ARTIKEL ZUM THEMA
Schwerbehinderter kann bleiben: Das Ende der Ungewissheit
Seit 2021 kämpft Raheel Afzal um humanitäres Bleiberecht – das er nun
erhalten hat. Für ihn beginnt ein neues Leben ohne Angst vor Abschiebung.
Geflüchteter ersucht weiter Asyl: Brief an Innensenatorin Spranger
Unterstützer versuchen, dass der schwerbehinderte Raheel Afzal nicht
abgeschoben wird. Ob es klappt, ist unklar.
Schwerbehindertem droht Abschiebung: Auf eigenen Beinen stehen
Raheel Afzal flüchtete vor sieben Jahren aus Pakistan nach Deutschland. Nun
soll der schwerbehinderte 33-Jährige abgeschoben werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.