# taz.de -- Afghanistan und der Strafgerichtshof: Verzögerte Gerechtigkeit | |
> Die Untersuchung der Kriegsverbrechen in Afghanistan stockt. Denn | |
> international ist nicht geklärt, wer das Land diplomatisch vertritt. | |
Bild: Der Chefankläger in Den Haag sorgt sich vor weiteren Verbrechen der Tali… | |
Die Wiedergutmachung in Afghanistan kommt nicht voran: Die Richter am | |
Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag haben bisher noch | |
keine Genehmigung zur weiteren Ermittlung der Kriegsverbrechen erteilt. Vor | |
16 Jahren begann der IStGH, sich mit Afghanistan zu befassen, und noch | |
immer steckt das Verfahren in der vorläufigen Prüfung fest. | |
[1][Chefankläger Karim Khan] hatte die Richter schon im September 2021 | |
aufgefordert, eine beschleunigte Entscheidung zu treffen, denn schließlich | |
gebe es [2][„erhebliche Veränderungen“] in Afghanistan. Khan scheint zu | |
befürchten, dass die Taliban Beweismittel vernichten könnten, denn ihre | |
Anführer würden zu den Hauptverdächtigen zählen. Zudem kommt es weiterhin | |
zu Kriegsverbrechen in dem Land. | |
Damit die Richter über Khans Antrag entscheiden können, muss Afghanistan | |
jedoch Stellung nehmen können. So sieht es das Komplementaritätsmandat des | |
Gerichts vor, das ein Herzstück des Römischen Statuts ist, das die Arbeit | |
des IStGH regelt. Demzufolge ist eine direkte Intervention des IStGH | |
überflüssig, wenn ein Staat als primärer Rechtsträger den Opfern im Inland | |
Gerechtigkeit gewährt. Das Problem für den IStGH ist jedoch: „Wer“ ist | |
jetzt Afghanistan? Wer vertritt das Land vor dem Gericht? | |
Seit dem 15. August 2021 stellen die Taliban in Afghanistan die | |
De-facto-Regierung, ohne jedoch international anerkannt zu werden. Zugleich | |
wurden die meisten diplomatischen Vertreter im Ausland noch vom gestürzten | |
Regime ernannt und behaupten jetzt, sie würden das Land weiterhin offiziell | |
vertreten. Die Botschaft in den Niederlanden ist seit 2016 der | |
diplomatische Kanal zwischen Afghanistan und dem IStGH. | |
Die Vorgängerregierung hatte einen Antrag auf Aufschub gestellt, weil sie | |
sich selbst in der Lage sah, Kriegsverbrechen zu verfolgen. Der IStGH muss | |
jetzt entscheiden, ob dieser Antrag noch Bestand hat. Bereits im Oktober | |
2021 schrieben die Richter an die Vereinten Nationen mit der Bitte um | |
„Informationen zur Identifizierung der Behörden, die derzeit die Islamische | |
Republik Afghanistan vertreten“. Denn die Richter können sich nicht direkt | |
an die Taliban wenden, da dies eine Anerkennung bedeuten würde. | |
## Kommunikation mit der alten Botschaft | |
Der UN-Generalsekretär teilte den Richtern postwendend mit, dass die | |
Entscheidung über die Anerkennung der afghanischen Regierung nicht bei ihm | |
liege, sondern „eine Angelegenheit der einzelnen Mitgliedstaaten“ sei. | |
Trotzdem versuchten die Richter weiter, das nach wie vor drängende Thema zu | |
klären. Am 24. Februar 2022 und erneut am 7. April 2022 forderten sie | |
Afghanistan auf, auf das Ersuchen des IStGH-Staatsanwalts eine | |
Stellungnahme abzugeben. | |
[3][Regierungswechsel], so heißt es in dem Schreiben, „haben keinen | |
Einfluss auf die Kontinuität der Staaten“ und unterbrechen die Arbeit des | |
Gerichts nicht. Die Richter stellen fest, dass „kein Staat die Gruppe, die | |
die Regierung von Ashraf Ghani gestürzt hat, offiziell anerkannt hat“. | |
Zugleich nehmen sie aber zur Kenntnis, dass zahlreiche Staaten sowie die | |
UNO Gespräche mit den Taliban geführt und sie damit „offiziell als | |
‚De-facto-Behörden‘ oder ‚De-facto-Regierung‘ Afghanistans“ behandelt | |
hätten. | |
Die Richter forderten daher „die Islamische Republik Afghanistan auf, eine | |
Stellungnahme abzugeben“. Bisher kam von den Taliban jedoch keine Antwort. | |
Im Gegensatz zu den Richtern glauben sowohl der Ankläger als auch die | |
Verwaltung des IStGH, dass die afghanische Botschaft in den Niederlanden | |
weiter der einzig geeignete diplomatische Kanal ist. Dies würde die Taliban | |
aber nicht daran hindern, eine Stellungnahme abzugeben. | |
Khan hat nämlich vorgeschlagen, Versuche zu vermeiden, „die De-jure- | |
und/oder De-facto-Behörden in Afghanistan zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu | |
definieren“. Stattdessen könne man es den Taliban und den Diplomaten des | |
früheren Regimes überlassen, zu entscheiden, ob sie innerhalb einer | |
vereinbarten Frist eine Stellungnahme abgeben. | |
## Nur die Kriegsverbrechen von Taliban und IS | |
Ein weiterer Streitpunkt ist Khans Entscheidung, aufgrund der „begrenzten | |
verfügbaren Ressourcen“ nur die mutmaßlichen Kriegsverbrechen der Taliban | |
und des Islamischen Staates zu verfolgen. Damit nahm er den ursprünglichen | |
Ansatz zurück, auch das US-Militär und die CIA sowie die Sicherheitskräfte | |
der ehemaligen Regierung zu untersuchen. | |
[4][Seine Vorgängerin] war zu dem Schluss gekommen, sie alle hätten | |
„Kriegsverbrechen wie Folter, grausame Behandlung, Verletzung der | |
persönlichen Würde“ und „sexuelle Gewalt“ angewandt. Khans Entscheidung | |
schlug bei Opfern und Menschenrechtsverteidigern wie eine Bombe ein. Für | |
sie sah es so aus, als würde er eine „Hierarchie von Opfern“ schaffen. | |
Derweil kommt die Verfolgung von Kriegsverbrechen nicht voran. Die | |
zehnmonatige Suche der Richter nach den „zuständigen Behörden“ bedeutet | |
eine weitere Verzögerung. Allerdings hat der IStGH eine fünfmonatige | |
Konsultation beendet, um die Ansichten und Bedenken der Opfer zur möglichen | |
Wiederaufnahme der Afghanistan-Ermittlungen einzuholen. Dies war das zweite | |
Mal, dass das Gericht Opfer befragte. Die erste Konsultation wurde im | |
Januar 2018 abgeschlossen und hatte mehr als 6.000 Opfer beteiligt. | |
An der zweiten Konsultation nahmen 11.150 einzelne Opfer und 130 Familien | |
teil. Sie gaben insgesamt 16 Voten ab und forderten, dass das Gericht eine | |
Untersuchung autorisiert. Denn der IStGH sei „der einzige Gerichtshof“ für | |
afghanische Kriegsverbrechen. Ein Befragter sagte: „Für viele Opfer ist die | |
Erlangung von Gerechtigkeit der einzige Weg, um einen kleinen Teil des | |
Schmerzes und Traumas zu lindern.“ Eine weitere Eingabe erinnerte das | |
Gericht daran, dass „verzögerte Gerechtigkeit verweigerte Gerechtigkeit | |
ist“. | |
8 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Karim-Khan-wird-Chefanklaeger-in-Den-Haag/!5746994 | |
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/strafgerichtshof-taliban-ermittlun… | |
[3] /Taliban-uebernehmen-Afghanistan/!5789645 | |
[4] /Richterin-in-Den-Haag/!5073457 | |
## AUTOREN | |
Ehsan Qaane | |
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