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# taz.de -- Die These: Wer als Arbeitgeber „wir“ sagt, lügt
> Stefan Wolf vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall will, dass „wir“ länger
> und mehr arbeiten. Und meint ganz bestimmt nicht sich selbst.
Bild: Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall
Der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall Stefan Wolf fordert, das
Renteneintrittsalter auf 70 anzuheben und zugleich die Wochenarbeitszeit zu
verlängern. „Wir werden länger und mehr arbeiten müssen“, [1][so drohte
er].
Wenn jemand „wir“ sagt – und ein ganzes Volk meint –, dann lügt er sch…
oder hat keine Ahnung vom Sozialen. „Wir“ leben in nachgesellschaftlichen
Projektwelten, und die in Nationen zusammengefalteten „Völker“ sind
nichts als „Sandhaufen“, wie der Ethnologe Claude Lévi-Strauss sagte. Oder
mit den Worten des Gesamtmetall-Präsidenten Wolf: „Es zählen nur noch die
harten globalen Standortfaktoren.“
Sein „wir“ könnte allerdings auch ein angemaßter Pluralis Majestatis sein,
der den Klassenunterschied verdecken soll, von oben nach unten, also von
den „Arbeitgebern“, die befehlen – nämlich den anderen, die ihnen als
„Lohnabhängige“ gehorchen.
Der Jurist Stefan Wolf, verpaart mit einem amerikanischen „Musicalstar“,
ist Vorstandsvorsitzender eines schwäbischen Automobilzuliefererbetriebs.
Daneben vertritt er seit Corona die Arbeitgeberverbände der Metall- und
Elektroindustrie. Und als wäre seine obige Forderung nicht schon schlimm
genug, forderte er auch noch gleich den Bau neuer Atomkraftwerke. Ohne AKWs
und längere Lebensarbeitszeiten sei „das System mittelfristig nicht mehr
finanzierbar“. Mit dem „System“ meint er den deutschen
Kapitalismus-Parlamentarismus und eigentlich die ganze globale
US-dominierte Wirtschaft, zu dessen Profiteuren er gehört.
## Die Wölfe der Treuhand wickelten ab
Als der SS-Untersturmführer und Präsident der BRD-Industrie Dr. jur. Hanns
Martin Schleyer längere Arbeitszeiten und mehr AKWs forderte, wobei er
ebenfalls von „uns“ sprach und damit alle Westdeutschen meinte, wurde er
1977 entführt und ermordet. Heute ist die Situation eine andere: Es gibt
keine sozialistischen Staaten mehr und keine linke Bewegung in Deutschland
oder sonst wo, sondern eher populistische rechte Bewegungen und territorial
übergriffige Potentaten. Das lässt allerlei dumme, asoziale Forderungen
aufkommen.
Dieser social turn begann gleich nach Auflösung der Sowjetunion, wobei die
gesamte materielle Substanz etwa der DDR (Unternehmen, Immobilien, Äcker
und Wälder, ja sogar ihre Zirkustiere) in den Besitz der westdeutschen
Treuhandanstalt gelangte. Zu ihrem Präsidenten berief man den
Vorstandsvorsitzenden des Stahlkonzerns Hoesch, Dr. jur. Detlev Rohwedder.
Ein halbes Jahr später wurde er – angeblich von Linksextremisten (der RAF)
– erschossen.
Weil er über „seine“ Treuhandmanager und die anderen in das DDR-Gebiet
eingefallenen Businessmen beziehungsweise Schnäppchenjäger schimpfte: „Die
benehmen sich schlimmer als Kolonialoffiziere“, gibt es aber auch den
Verdacht, dass dieser Sozialdemokrat wegen seiner noch fast
menschenfreundlichen Privatisierungspolitik umgebracht wurde. Seine
CDU-Nachfolgerin, die Hamburger Bankierstochter Birgit Breuel, war
jedenfalls reaktionär und einfältig genug, um den Schmutzjob unbeschadet zu
überstehen.
Ich registrierte damals eine Namensmagie im ausgehenden 20. Jahrhundert: In
der Treuhandanstalt und ihren Nachfolgeorganisationen arbeiteten
auffallend viele Manager, die Wolf oder Fuchs hießen (Wolf Schöde, Günter
Wolf, Dr. Fuchs und so weiter), während unter ihren Gegnern in den zum
Verkauf oder zur Abwicklung vorgesehenen großen Ostbetrieben merkwürdig
viele Betriebsratsvorsitzende Gottlieb oder Lammfromm hießen, einer sogar
Feige. Diese Namensmagie, die auch für alle nach Raubtieren benannten
Waffensysteme der Naziwehrmacht und der Bundeswehr gilt, obwaltet
anscheinend auch heute noch im Führungskreis des Arbeitgeberverbandes
Gesamtmetall: Neben Dr. Wolf sind das unter anderen Wolf Matthias Mang und
Wolfram Hatz.
## Die Wolf'schen Forderungen
Früher war es allerdings unabdingbar, dass Manager in Führungspositionen
gedient haben mussten. Selbst bei der Zeit intervenierte der ehemalige
Wehrmachtsleutnant Helmut Schmidt noch, als die Redaktionen seiner Meinung
nach zu viele Wehrdienstverweigerer einstellten. Inzwischen dürfen die
„Wölfe“ jedoch ruhig ungedient und schwul sein und die Waffen ihrer Firmen
von halbstarken Ukrainern testen lassen.
Was ist nun aber von den Wolf’schen Forderungen zu halten? Wenn sie nicht
von oben kämen, wäre ich dafür! Als Selbstständiger habe ich weder
bezahlten Urlaub noch arbeitsfreie Wochenenden und kann auch mit 75 und
einer Rente von 220 Euro im Monat keine Ruhe geben.
Ich will das auch gar nicht. Früher wurde ich an Sonntagen regelmäßig
depressiv, weil die Leute nicht arbeiteten, sondern sich in scheußlichen
Freizeitdress zwängten, joggten und in Fitnesscentern abstrampelten oder
laute Musik hörten, soffen, rumgröhlten und an Bäume pissten. Infolge der
Automatisierung und Computerisierung hat die sportliche Betätigung nach
Feierabend, verbunden mit Tittitainment-Angeboten von oben, schier
pandemische Ausmaße angenommen.
Wenn diese Leute dann als Touristen im Urlaub massenhaft irgendwelche
„Paradiese“ anfliegen, verwandeln sie diese nach einiger Zeit in soziale
Wüsten. Die Freizeitindustrie ist die Pest. Aber die stumpfsinnige Arbeit,
die von oben organisiert wird, ist wie die Cholera. Überhaupt jede auf
Befehl ausgeführte Tätigkeit. Wenn man mich als taz-Aushilfshausmeister
darüber informiert, dass eine Toilette verstopft ist, dann ist das auch ein
Befehl – nämlich: Entstopfe sie! Eigentlich kein großer Akt, aber ich kann
nicht sagen: „Keine Lust!“ Meine Hauptbeschäftigung ist jedoch das Lesen,
Nosing-around und Schreiben, und dabei bestimme ich selbst übers Was und
Wie und Warum.
## Die Rente herbeisehnen
Von fest angestellten tazlern weiß ich hingegen, dass viele das Ende ihres
Arbeitslebens, ihre Verrentung, geradezu herbeigesehnt haben. Je eintöniger
ihre Arbeit war, desto eher reichte es ihnen irgendwann. Von unserem
DDR-erfahrenen Controller Reinfried Musch weiß ich: Je repetitiver eine
Tätigkeit, desto mehr Krankheitstage nimmt der Arbeitsplatzhalter in
Anspruch – und umgekehrt: Je abwechslungsreicher, desto gesünder ist das
Geld-verdienen-Müssen. Bis dahin, dass der Utopische Sozialist Charles
Fourier bei der Planung seiner Agrarkommune sagen konnte: „Daraus ergibt
sich, wie überall in der genossenschaftlichen Ordnung, ein erstaunliches
Resultat: Je weniger man sich um den Gewinn kümmert, umso mehr verdient
man.“
Der französische Philosoph Gaspard Koenig, der im Sommer 2020, den Spuren
von Michel Montaigne folgend, [2][mit seinem Pferd von Bordeaux über Bayern
bis nach Rom gelangte], übernachtete fast immer bei Leuten auf dem Land,
die sich für eine selbstbestimmte Tätigkeit entschieden hatten – und gegen
eine gut bezahlte Arbeit. Das ist das uralte anarchistisch-marxistische
Ideal von einem nicht entfremdeten Leben.
Heute kommt aber noch hinzu, dass diese ganzen „Projekte“ mehr oder weniger
ökologisch inspiriert sind, also ressourcenschonend angegangen werden und
sich ökonomisch bescheiden geben, also nicht unbedingt auf „mehr verdienen
(wollen)“ aus sind. Das gilt auch für den Philosophen Gaspard Koenig
selbst, der [3][für ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ eintritt] und sich
unterwegs wunderte, wie viele solcher „Projekte“ es in Mitteleuropa
inzwischen gibt – dies vor dem Hintergrund, dass sie nicht mehr global
denken dürfen, müssen oder wollen (wie die oben erwähnten „Wölfe“), son…
planetarisch.
To cut a long story short: Stefan Wolf ist ein Idiot, in der alten
Bedeutung des Worts, und seine Forderungen sind laut der Partei Die Linke
ein „unsozialer Bullshit“.
7 Aug 2022
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/rente-mit-70-gesamtmetall-praesi…
[2] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/wie-montaigne-zu-pferd-nach…
[3] /Bedingungsloses-Grundeinkommen/!5852815
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Kapitalismus
Arbeitgeber
Ausbeutung
Sozialismus
GNS
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