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# taz.de -- Rennradprofi Guillaume Martin als Autor: Ansichten eines Peloton-Ph…
> Guillaume Martin macht sich in einem Essay Gedanken über eine strampelnde
> Meute, die vielleicht sogar als Spiegel der Gesellschaft taugt.
Bild: Denksportler aus Frankreich: Radprofi Guillaume Martin beim Giro d'Italia…
Was einem eben so einfällt, wenn man auf dem Rad unterwegs ist. Die
Gesellschaft als ein Pulk von Rennradfahrern. Der Kampf des Einzelnen um
den Sieg, der doch nur errungen werden kann, wenn man sich der
Unterstützung einer Mannschaft gewiss sein kann. Das Peloton als sich
selbst organisierende Gruppe mit Riten, aber ohne feste Regeln.
Das Beschwören des Gemeinsinns im Sport, der dann doch von der Überhöhung
seiner Stars lebt. Guillaume Martin, im vergangenen Jahr Achter im
Gesamtklassement der Tour de France, hat einen Essay verfasst. Der
rennradelnde Philosoph mit Uni-Diplom hat sich so seine Gedanken gemacht
über den Radsport, die Welt und überhaupt. [1][„Die Gesellschaft des
Pelotons“ heißt das Buch], das jüngst bei Covadonga erschienen ist.
Wer es heute mit der frischen Erinnerung an spektakuläre Etappen bei der
Tour de France dieses Jahres liest, für den ist es eine gedankliche
Fernfahrt durch den Sinn und Unsinn von Attacken, zu den taktischen
Meisterleistungen eines Teams oder dem Sportsgeist, den Zweitplatzierte
zeigen, auch wenn sie wissen, dass im Radsport immer nur der Sieger
gefeiert wird. Und dann wird über die kleine Radsportwelt die ganze
Gesellschaft beschrieben. Wie viel Kontrolle braucht sie? Wie viel
Individualismus ist noch gesund für etwas, was wir Gemeinwesen nennen?
Über den Radsport ist das schnell erklärt. Auch da werden Hierarchien nicht
mal eben so aufgebrochen. Das Risiko, Veränderungen könnten die Lage nicht
verbessern, wird als zu groß angesehen. Und so verlassen sich die Chefs am
Ende doch auf den bewährten, in die Jahre gekommenen Kapitän, auch wenn sie
ahnen, dass da ein junger Fahrer nachkommt, der es besser könnte. Und
ebenjener begabte Fahrer ordnet sich unter, weil er am Ende doch die
Verantwortung scheut, mit der die Führungsrolle verbunden ist.
## Fügsam oder rebellisch?
Guillaume Martin argumentiert in der Chefposition. Er ist bei dem
Mehretappenrennen [2][der Kapitän seines Teams Cofidis]. Er ist sich seiner
Rolle bewusst, wenn er mit dem Finger auf die Leserinnen und Leser zeigt
und fragt, ob wir es nicht bei aller Unzufriedenheit am Ende besser finden,
wenn sich an den bestehenden Strukturen nichts ändert.
So einfach ist die Welt, nicht schwerer zu verstehen als ein Radrennen. Wir
bleiben lieber Wasserträger, weil wir uns damit auskennen: „Das erklärt,
warum die Volksaufstände der Schwächsten so selten sind, obwohl diese allen
Grund dazu hätten …“ Da weiß einer Bescheid, der seinen Kant gelesen hat,
dessen Satz „Wir können nicht mit den anderen leben, aber auch nicht ohne
sie“ so etwas wie das Motto von Martins Überlegungen ist.
Und doch wird er nicht müde zu betonen, dass die „politische Korrektheit“,
mit der der Sport so oft beschrieben wird, nichts als eine Lüge ist. Wenn
von Gemeinschaft aller Sporttreibenden die Rede ist, vom olympischen Ideal,
nachdem der Gewinner nicht mehr wert ist als all diejenigen, die er
geschlagen hat, platzt ihm schier der Kragen. Als Sportler, meint er, wolle
man gewinnen. Immer. Er könnte recht haben: Selbst der ambitionierte
Freizeitradler ist erst dann richtig zufrieden, wenn ihm nach getaner
Strampelei ein Blick auf die Uhr die Gewissheit verschafft, gut unterwegs
gewesen zu sein.
In diesem Jahr musste Martin die Tour vor der 9. Etappe wegen eines
positiven Coronatests verlassen. Sein Team musste sich neu organisieren,
einer der Helfer in die Chefrolle schlüpfen. Es war Simon Geschke, der 36
Jahre alte Berliner, der um ein Haar die Bergwertung der Tour gewonnen
hätte. Was uns das wohl über die Gesellschaft sagt?
3 Aug 2022
## LINKS
[1] https://www.covadonga.de/shop/detail.php?id=155&cat=1
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Cofidis_(Radsportteam)
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
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