# taz.de -- Ermittlungen gegen Straßenblockierer: „Auf der Sachebene bleiben… | |
> Berliner Generalstaatsanwältin verwahrt sich gegen die Kritik, | |
> Ermittlungen gegen die Blockierer der Letzten Generation würden zu lange | |
> dauern. | |
Bild: Sitzblockade auf der Greifswalder- Ecke Ostseestraße in Prenzlauer Berg | |
taz: Frau Koppers, die [1][Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska | |
Giffey, und deren Innensenatorin, Iris Spranger], betreiben gerade heftige | |
Justizschelte, weil es noch keine Urteile gegen Straßenblockierer der | |
„Letzten Generation“ gibt. Der Subtext: Die Polizei mache ihre Arbeit, aber | |
die Staatsanwaltschaft komme nicht zu Potte. Was sagen Sie zu diesem Ton? | |
Margarete Koppers: Ich finde ihn sehr betrüblich, vor allem deshalb, weil | |
Staatsanwaltschaft und Polizei auseinanderdividiert werden. Wenn man die | |
jüngsten Erklärungen der Polizeigewerkschaften liest, fällt einem der Kitt | |
aus der Brille. Die sollten sich einfach einmal beim Landeskriminalamt | |
sachkundig machen, woran es liegt, dass sich die Ermittlungen so hinziehen. | |
Da hat doch jemand überhaupt keine Vorstellung vom Rechtsstaat. | |
Bitte klären Sie uns auf. | |
Wir sind natürlich nicht untätig und in gutem und engem Austausch mit dem | |
Landeskriminalamt. | |
Was heißt das konkret? | |
Bei der Staatsanwaltschaft gibt es 73 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang | |
mit den Sitzblockaden. Zu prüfen sind vor allem Delikte wie Nötigung und | |
Widerstand. Alle Akten haben wir zurückgesandt an die Polizei zu | |
Nachermittlungen. Bei der Polizei selbst sind nach meinem Kenntnisstand | |
seit Jahresanfang um die 600 Strafanzeigen wegen der Straßenblockaden | |
eingegangen. | |
In keinem einzigen Fall wurde bisher Anklage erhoben, was ist der Grund? | |
Die Rechtsprechung von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht | |
stellt sehr dezidierte Anforderungen an die Erfüllung der | |
Tatbestandsvoraussetzungen. Wir haben die Akten an die Polizei | |
zurückgesandt, um entsprechende Beweise hierfür zu erheben. | |
Können Sie Beispiele nennen? | |
Die Polizei muss ermitteln und belegen, wie lange die Blockaden angedauert | |
haben, ob sie hätten umfahren werden können, welche Instrumente dabei | |
genutzt wurden, zum Beispiel welcher Klebstoff, und wie lange das Ablösen | |
gedauert hat, wie viele Personen sich an der Aktion beteiligt haben und wie | |
viele Personen in etwa blockiert worden sind. Wichtig ist es auch | |
festzustellen, ob es besondere Situationen gab, etwa wenn die Feuerwehr | |
oder ein Rettungswagen blockiert worden ist. Das hätte natürlich ein | |
anderes Gewicht. Das alles muss genau dargelegt werden, um es bewerten zu | |
können: Ist das, was die Demonstrantinnen und Demonstranten tun, | |
tatsächlich verwerflich? Denn das ist die entscheidende Frage, die sich bei | |
der Prüfung des Nötigungstatbestands stellt. | |
Das Bundesverfassungsgericht hat sich auch mit der sogenannten zweiten | |
Reihe der Autos bei Blockaden befasst. Was hat es damit auf sich? | |
Die erste Reihe der Autofahrenden könnte theoretisch weiterfahren. Die | |
Blockierenden stellen für sie ein psychologisches, aber kein faktisches | |
Hemmnis dar. Und das reicht nach der Rechtsprechung nicht. Aber die zweite | |
Fahrzeugreihe dahinter wird physisch blockiert von der ersten Reihe. | |
Deshalb handelt es sich gegebenfalls um eine mittelbare Nötigung ab der | |
zweiten Reihe der Autofahrenden durch die Blockierenden. | |
Klingt alles verdammt juristisch. | |
Um es kurz zu machen: In jedem einzelnen Fall müssen ein individueller | |
Vorsatz und die Verwerflichkeit des Handelns geprüft werden. Im Rahmen der | |
Verwerflichkeitsprüfung ist es relevant, das Versammlungsrecht der | |
Blockierenden abzuwägen mit den Freiheitsrechten der Blockierten. Hierfür | |
ist es relevant festzustellen, ob die Blockade vor allem so lange dauert, | |
dass sie nicht mehr hinnehmbar ist. | |
Weiß [2][Innensenatorin Spranger], dass die Polizei nachliefern muss? | |
Die Staatsanwaltschaft hat bereits im Februar entsprechende Vermerke an die | |
Polizei geschickt, und wir haben es auch aktuell noch einmal erklärt. | |
Haben Sie die Innensenatorin mal persönlich kennengelernt? | |
Nein, nur einmal virtuell in größerer Runde. | |
Warum machen Giffey und Spranger jetzt so einen Druck? | |
Das ist schwer einzuschätzen. Ich versuche, auf der Sachebene zu bleiben, | |
was allerdings schwer ist, wenn man so unsachlich angegangen wird und vor | |
allem die Polizeigewerkschaften so polemisieren. Meine Vermutung ist: Der | |
Druck aus der Stadtgesellschaft ist sehr groß. Berlin ist eine | |
Autofahrerstadt; dass es noch keine Anklagen und Urteile gibt, ist für | |
Menschen, die juristisch nicht vorgebildet sind, vermutlich schwer | |
nachzuvollziehen. Der Sachverhalt an sich erscheint ja auch einfach: Da | |
sitzt jemand und blockiert. Natürlich geht es den meisten Menschen nur | |
darum, dass die Blockierer weggetragen werden, damit sie weiterfahren | |
können. Aber sie wollen auch deshalb nicht dauernd im Stau stehen. Also | |
wächst der Druck auf die Politik, etwas dagegen zu unternehmen. | |
Sie als [3][Chefin der Staatsanwaltschaft], als Berlins oberste | |
Ermittlerin, wollen sich aber nicht zum Werkzeug der Autofahrerlobby machen | |
lassen, oder? | |
Wir sind weder Werkzeug der Autofahrenden noch der Blockierenden. Wir sind | |
Teil eines rechtsstaatlichen Verfahrens, und da bedarf es eben einer | |
sorgfältigen Prüfung. Es macht keinen Sinn, wenn wir solchen Forderungen | |
nachkommen, irgendetwas zu Gericht tragen und dann unterliegen mit unseren | |
Anträgen, weil man uns etwa schlampige Ermittlungen vorhält. Das hilft | |
niemandem. | |
Haben Sie ein wie auch immer geartetes Verständnis für die Blockierer? | |
Aus Strafverfolgersicht finde ich es überraschend, welche Erwartungshaltung | |
von der Bevölkerung an die Justiz herangetragen wird. Soweit mir bekannt | |
ist, sind die Blockierenden lauter junge Menschen, die diese Aktionen aus | |
tiefster Überzeugung veranstalten. Menschen, die tatsächlich verzweifelt | |
sind, weil sie keine Perspektive mehr zu haben glauben. Sie sind wirklich | |
voller Angst um das Klima und ihre Zukunft. | |
Das Engagement dieser Menschen beeindruckt Sie also? | |
Darum geht es nicht. Ich persönlich finde die Art ihres Vorgehens nicht | |
sinnvoll, und ich glaube auch nicht, dass sie damit weiterkommen. Aber ich | |
bin alt und privilegiert, das größte Drama werde ich wahrscheinlich nicht | |
mehr erleben. Diese jungen Menschen haben eine ganz andere Perspektive. | |
Deshalb finde ich die Erwartung an die Justiz auch so schwierig, dass wir | |
mit unseren strafrechtlichen Instrumenten die Haltung dieser jungen | |
Menschen beeinflussen können. | |
Hunderttausende fahren in Berlin jeden Tag allein in ihrem Auto zur Arbeit | |
und zurück. Wie bewegen Sie sich fort? | |
In früheren Zeiten bin ich auch täglich mit dem Auto über die Autobahn zum | |
Polizeipräsidium gefahren. Das habe ich dann irgendwann eingestellt und bin | |
aufs Fahrrad oder – je nach Wetter – die U-Bahn umgestiegen. Aber es ist | |
natürlich auch Luxus, so zu wohnen, dass man überall mit dem Fahrrad | |
hinkommen kann. | |
11 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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