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# taz.de -- Glaube vs. Aufklärung in Dürrezeiten: Da hilft nur hoffen
> Fangen wir bald an, Regentänze aufzuführen? Oder lachen wir darüber,
> wissen aber auch nicht weiter? Egal, wie: Unser Autor meint, wir sind am
> Arsch.
Bild: Das Flussbett des Po, Italiens längster Fluss, im Juni 2022
Unsere Mutter war ehrlich empört. Endlich hatten wir es im Sommer 1977 aus
dem kalten, nassen Berliner Sommer ins warme St. Lorenzen in Südtirol
geschafft. Gleich am ersten Wochenende ging es in die Kirche. Und da betete
die Gemeinde für Regen! Meine Mutter meinte: „Da kann ich ja gleich wieder
nach Hause fahren!“
Daran musste ich am letzten Wochenende denken. Inzwischen muss man ja für
Wärme und Trockenheit nicht mehr nach Italien, die südländische Dürrehitze
macht jetzt Hausbesuche. [1][Und so begann in Treuenbrietzen und Beelitz
südlich von Berlin pünktlich zum Ende der Spargelsaison die
Waldbrandsaison]: Hunderte von Hektar Forst fackelten ab, die Luft voller
Qualm und Ruß, Dörfer wurden geräumt. Die Feuerwehren waren überfordert,
auch weil sie im Wald wegen alter Munitionsreste nicht überall löschen
konnten. Und eine Sprecherin der Verwaltung sagte im Radio: „Eigentlich
können wir nur auf Regen hoffen.“
Das klang doch sehr nach den Gebeten der Bauern von St. Lorenzen, die
meiner Mutter vor 40 Jahren die Urlaubslaune vermiesten. Dabei gratulieren
wir uns doch eigentlich zu unserem ach so ab- und aufgeklärten Leben,
zumindest was die Technik angeht.
Statt Glauben und Aberglauben des finsteren Mittelalters feiern wir
Vernunft und Wissenschaft. Wir erforschen die Natur, um sie immer besser
auszubeuten. Wir lachen über betende Bauern, Regentänze der indigenen
Völker oder Scharlatane, die dürregeplagten Farmern versprechen, sie
könnten ihren Feldern den Regen herbeizaubern.
## Hohepriester in Slim-fit
Allerdings haben wir mit unserer Begeisterung für Technik die Dampfmaschine
und andere Massenvernichtungswaffen erfunden und machen den
Verbrennungsmotor zum Sinnbild des „Fortschritts“. Voller Stolz und
emanzipatorischer Kraft ruinieren wir die natürlichen Kreisläufe, in denen
wir stecken und von denen Bauern und Indigene noch eine Ahnung haben.
Unsere Hybris heißt Hybrid, unser Glaube nennt sich Kredit. Unsere Hoffnung
steckt im DAX, unsere Kathedralen stehen in Dubai und unsere Hohepriester
tragen Slim-fit-Anzüge. Sie lachen über die Theologie der Jungfrauengeburt
oder traditionelle Rituale – und glauben doch selbst an den Götzen des
ewigen Wachstums.
Und dann, wenn es schiefgeht (also: genau jetzt), stehen wir oberschlau da
und haben auch keine Ahnung, wie es weitergeht. Und wir tun, was wir seit
Jahrtausenden tun: auf Regen hoffen. So viel zum Triumph der Aufklärung.
Wenn ich an die Sommer in Norditalien denke, fällt mir ein, wie wir als
Kinder über diesen Fluss gekichert haben. Ein Wasserlauf mit Namen Po,
hihihi! [2][Jetzt ist der gewaltige Strom in der Klimakrisen-Dürre
zwischendurch mal praktisch ausgetrocknet]. Und nicht nur für Norditalien
gilt: Das war’s wohl mit dem Po. Wir sind jetzt am Arsch.
24 Jun 2022
## LINKS
[1] /Botaniker-ueber-Braende-in-Brandenburg/!5862102
[2] /Trockenheit-in-Suedeuropa/!5859386
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
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Kapitalismuskritik
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Konsum
Trockenheit
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