# taz.de -- AfD-Parteitag in Riesa: Völkische auf dem Vormarsch | |
> Die Reste des vermeintlich gemäßigten Meuthen-Lagers schwächeln. Und ein | |
> lebhafter Höcke baut seinen Einfluss aus. | |
Bild: Björn Höcke und Tino Chrupalla | |
RIESA taz | So früh hat der Rechtsextremist Björn Höcke wohl noch nie bei | |
einem Bundesparteitag der AfD eingegriffen wie am Freitag in Riesa. Gleich | |
zu Beginn war deutlich zu spüren, dass der Kopf der völkischen | |
Parteiströmung daran arbeitet, seinen Einfluss auszubauen. | |
Einen einfachen Antrag zur Tagesordnung nutzte der Thüringen-Chef gleich, | |
um eine halbe Grundsatzrede zu halten – dabei sollte es nur darum gehen, ob | |
zunächst Sachanträge debattiert werden oder gewählt wird. Das klang schon | |
fast wie eine Bewerbungsrede: „Erst das Land, dann die Partei, dann die | |
Personen.“ Dazu gab es Medien- und „Altparteien“-Bashing. Da war das erste | |
Mal richtig Stimmung im Saal. Der offiziell aufgelöste Flügel ist auf dem | |
Parteitag stark vertreten, soviel war klar. | |
Weniger schwungvoll trat AfD-Parteichef Tino Chrupalla auf. In seiner | |
Eröffnungsrede versuchte er zu integrieren. „Wir wollen die destruktive | |
Stimmung der Vergangenheit hinter uns lassen“, sagte er. Es müsse ein | |
Vorstand gewählt werden, der kollektiv und vertrauensvoll zusammen arbeite, | |
so Chrupalla. Um die „Herausforderungen im Osten genau so wie im Westen“ zu | |
bewältigen, brauche es Disziplin. Eine inhaltliche Idee, wie er den | |
AfD-Abwärtsstrudel aus Mitgliederschwund, Wahlniederlagen und | |
Streitigkeiten aufhalten will, nannte er wie gewohnt nicht. Chrupalla bekam | |
denn auch freundlichen, aber nicht gerade überschwänglichen Applaus. | |
Seit Freitagvormittag tagt die extrem rechte AfD in einer riesigen | |
Mehrzweckhalle in der als NPD-Hochburg bekannten sächsischen Kleinstadt | |
Riesa, knapp 600 Delegierte waren zugelassen. Chrupalla will wiedergewählt | |
werden und im Vorstand einen erneuten Rechtsruck herbeiführen. Sollten er | |
und sein Team durchkommen, hätte die völkische Strömung die Mehrheit im | |
wichtigsten Parteigremium. Die alte Mehrheit der vermeintlich Gemäßigten | |
des ausgetretenen Jörg Meuthen wäre dahin. | |
## Revolte gegen Chrupalla gescheitert | |
Der erneute Rechtsruck schien bereits vor Beginn des Parteitags greifbar: | |
Die [1][große Revolte gegen Chrupalla] war bereits abgeblasen – die | |
Meuthen-Vertraute aus dem alten Vorstand Joana Cotar, die Chrupalla nach | |
den kürzlichen Wahlniederlagen [2][heftig kritisiert und seinen Rücktritt | |
gefordert hatte], sagte der taz bereits vor Parteitagsbeginn, dass sie | |
nicht wieder antreten werde. Sie rechne damit, dass die Liste von Chrupalla | |
in großen Teilen durchgewählt werde. Cotar sagte: „Ich werde mich jetzt auf | |
die Digitalpolitik konzentrieren, das macht ohnehin mehr Spaß als | |
Vorstandsarbeit.“ Sie hätte auch mit einer weißen Fahne in den Saal kommen | |
können. | |
Der Weg für das Führerprinzip ist jedenfalls schon mal bereitet: Als erste | |
wichtige Entscheidung stimmte der Parteitag am Freitagnachmittag mit einer | |
Zweidrittelmehrheit für einen Antrag der Völkischen, dass künftig auch eine | |
Einzelspitze statt der bisherigen konfliktträchtigen Doppelspitze möglich | |
sein soll. Zuvor hatte sich Höcke dafür ausgesprochen, der Antrag stammte | |
unter anderem von ihm. | |
Durchgesetzt hat sich der Ex-Flügel vielfach auch bei der Wahl von | |
Mitgliedern des Bundesschiedsgerichts. Gereon Bollmann aus | |
Schleswig-Holstein etwa wurde mit 76 Prozent gewählt. Das | |
Landesschiedsgericht hatte einst unter seinem Vorsitz die Entscheidung des | |
Bundesvorstands zum Rauswurf von Doris Sayn-Wittgenstein [3][wegen | |
rechtsextremer Kontakte verworfen]. | |
Gewählt wurde auch Roland Ulbrich aus Sachsen. Der kritisierte bei seiner | |
Vorstellung die „systemkonformen Tendenzen“ in der AfD und versprach, mit | |
ihm würde es „keine PAV-Orgien“ mehr geben. PAV ist die Abkürzung für | |
Parteiausschlussverfahren. Als Beispiel führte Ulbrich ein Verfahren wegen | |
„Teilnahme an einem Ferienlager vor der AfD-Gründung“ an. | |
Gemeint ist damit wohl der Brandenburger Rechtsextremist und ehemalige | |
AfD-Landeschef Andreas Kalbitz, der aus der Partei wegen Mitgliedschaft | |
[4][in der neonazistischen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ)] | |
ausgeschlossen wurde, Kalbitz hatte diese beim Eintritt in die AfD nicht | |
angegeben. Die HDJ führte vor ihrem Verbot regelmäßig Zeltlager durch, es | |
gibt Bilder von Kalbitz, die ihn bei einem von diesem zeigen. | |
Für Kalbitz selbst gab es auf dem Parteitag hingegen eine Niederlage. Ein | |
Antrag, der sein Auftrittsverbot bei AfD-Veranstaltungen kippen sollte, | |
wurde von der Tagesordnung gestimmt – und deshalb nicht behandelt. Gestellt | |
hatte ihn die Brandenburger Landeschefin Birgit Bessin, eine | |
Kalbitz-Vertraute. | |
Beatrix von Storch vor dem Ende? | |
Leicht resigniert wirkte Nicolaus Fest, der als Sprecher und Gegengewicht | |
zu den Völkischen für einen ausgeglicheneren Vorstand antreten wollte. | |
Allerdings hängt dem ehemaligen Bild-Journalisten nicht nur nach, dass er | |
den da gerade verstorbenen EU-Präsidenten [5][Sassioli als „Drecksschwein“ | |
bezeichnete], sondern auch, dass er beim Parteitag nicht einmal abstimmen | |
darf. Die 24 Berliner Delegierten des Parteitages wurden ausgeschlossen, | |
weil es laut Urteil des Bundesschiedsgerichtes bei der Delegiertenwahl eine | |
Wahlmanipulation gegeben hat. Fest musste deswegen im Gästebereich ganz | |
hinten in der Halle sitzen. Kandidieren darf er trotzdem. | |
Verheerend könnte die Affäre auch für [6][das alte Vorstandsmitglied | |
Beatrix von Storch] werden. Sie ließ bis zuletzt offen, ob sie wieder für | |
den Vorstand kandidieren werde. Ihre politische Karriere in der | |
Parteispitze der AfD könnte vor dem Ende stehen. Ebenfalls nicht zugelassen | |
zum Parteitag waren die Delegierten aus dem Saarland. Die eigentlich für | |
Freitagnachmittag geplante Vorstandswahl verzögerte sich unterdessen immer | |
weiter. | |
17 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Bundesparteitag-der-extrem-Rechten/!5861629 | |
[2] /Machtkampf-nach-Wahldebakel-in-NRW/!5852491 | |
[3] https://www.mopo.de/im-norden/er-will-mehr-blonde-maedchen-dieser-ex-richte… | |
[4] https://www.rbb-online.de/kontraste/themen/kalbitz-pfingstlager.html | |
[5] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-politiker-nicolaus-fest-soll… | |
[6] /Wahl-von-AfD-Delegierten-annulliert/!5850365 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
Sabine am Orde | |
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